1. Die Modelleisenbahn – Spielzeug oder mehr?

Gastbeitrag von Rolf Derenbach

Hier ist des Modellbauers wahrer Himmel
Zufrieden jauchzet Groß und Klein
Hier bin ich Mensch, hier darf ich´s sein!

Die Anlehnung an Goethe[1] passt, denn an Ostern 2022 ist diese kleine Eloge an die große und kleine Eisenbahn geschrieben worden, fünf Jahre nachdem die Photographie entstanden ist. Vieles hat sich in der Zwischenzeit ereignet. Und es war nötig geworden, die Schienen wieder einmal zusammenzustecken und die Lokomotiven, die Personen- und Güterwagen auf die Gleise auf dem Zimmerboden zu setzen.

Einleitung

In einer Zeit, die nicht so vergnüglich ist, sollte man umso mehr dem Vergnüglichen nachspüren, das – ja oft aus dem Erinnern – in das Gemüt überschwappt. Umso mehr, wenn man nicht mehr der Jüngste ist, sich somit im nachberuflichen Zustand befindet und über viel Zeit verfügt, die auszufüllen ist.

Es kann zum Beispiel mit der Modelleisenbahn verbunden sein, dann, wenn sie wieder einmal aufgebaut wird. Wenn man damit beschäftigt ist, kommt so mancherlei ins Gemüt. Zunächst der zeitlich-familiäre Rückblick, die Modelleisenbahn als generationenübergreifendes Spielzeug.

Danach folgen [in Teil 2 dieses Gastbeitrags] die technischen Fragen: Warum heißt die Eisenbahn so? Wegen der eisernen Lokomotive etwa? Oft glaubt man eine Frage sofort beantworten zu können. Doch in diesem Fall irrt man. Mit dem Dampfross selbst sich zu beschäftigen, liegt auf der Hand. Wenig Spielzeug ist so geeignet, sich Grundwissen über Natur und Technik zu erwerben. Am 1. Oktober 1829 begannen die Probefahrten von vier konkurrierenden Lokomotiventwürfen der Bahn zwischen Liverpool und Manchester. Die Rocket, der Entwurf George Stephensons, Sohn eines armen Heizers, erfüllte nicht nur die gestellten Anforderungen, 20 tons Last und 16 miles pro Stunde, sondern übertrafen sie sogar. Auf ebener Strecke erreicht sie bis zu 50 miles pro Stunde! Am 15 September 1830 nahm die Liverpool-Manchester-Eisenbahn ihren Betrieb auf. Die Eisenbahn wird somit in wenigen Jahren 200 Jahre alt – 200 Jahre, die die Welt veränderten [Teil 3 dieses Gastbeitrags].

Welche Gedanken kommen dem Erbauer und Betreiber der Modelleisenbahn – und häufigem Nutzer der großen Bahn – noch in den Sinn? So liegt es vor allem nahe, sich wieder einmal mit Raum und Zeit zu beschäftigen, gewissermaßen von Isaac Newton bis zu Albert Einstein [Teil 4 dieses Gastbeitrags]. Alles bewegt sich, wir und die kleine Lok auch, wenn wir ihr Energie zukommen lassen. Im Weltall durch die Gravitation, im Zimmer über die Steckdose. Und lassen sich auch unsere inneren Gefühls- und Gedankenwelten durch eine Modelleisenbahn auf dem Zimmerboden nachbilden? Dazu ein Vorschlag am Ende dieser kleinen Eloge [Teil 5 dieses Gastbeitrags].

Die Modelleisenbahn – das generationenübergreifende Spielzeug

Es gehörte mit zu den größten Freuden eines in den 40er und 50er Jahren aufgewachsenen (wohl ausschließlich männlichen) Menschen, dass er eine Modelleisenbahn – von Märklin natürlich – zu Weihnachten bekommen hatte. So war es im Fall meiner beiden Brüder. Die Eisenbahn wurde zu Weihnachten ausgepackt, und dann wurden auch Experimente durchgeführt. Zum Beispiel konnte man ein Kissen auf den Boden legen, die Schienen hoch darauflegen, und dann konnte die Lok – eine schwere 001 D-Zug-Lok mit Vollgas drauflosfahren, und sie stürzte dann am Ende in die Tiefe. So habe ich es erlebt. Meine beiden Brüder waren zwar keine Rabauken, aber dieser Missbrauch hatte mich, der 8 und 4 Jahre jüngere, verblüfft. Das Besondere / Abwegige hat sich das Bewusstsein eingegraben, nicht das Sinngemäße, der Schienenkreis mit dem seine Runden drehenden Zug. Seltsam!

Allerdings nur episodisch, denn meine Brüder lebten in Stuttgart und ich in Baden-Baden[2]. Nur zu Weihnachten war ich Zeuge der Aktivitäten meiner Brüder auf diesem Gebiet. Und nur gelegentlich durfte auch ich tätig werden. Unser Vater freute sich, dass das Geschenk gut angekommen war, unsere Mutter hoffte, dass das Wohnzimmer demnächst wieder begehbar sein würde.

Als meine Brüder dann das Interesse an der Eisenbahn verloren hatten, erbte ich sie. Es waren noch mehr Schienen und so weiter hinzugekauft worden. So habe ich in der Halle der Tankstelle meines Onkels die Eisenbahn – mit Landschaft natürlich – aufgebaut.

Dann war auch ich älter geworden, und die Eisenbahn wurde erst wieder aktiviert, als unser Sohn in das entsprechende Alter gekommen war. Das heißt: Ende der 1970er Anfang der 1980er Jahre. Und so bauten wir an Weihnachten die Eisenbahn wieder auf, diesmal auf dem Wohnzimmerboden in Bonn.

Unser Kater schaute dem Treiben zu. War er der Meinung, dass es sich bei der Lok um eine besondere Art von Maus handelte? Anscheinend ja, denn nach langem Nachdenken ging er in Lauerstellung über, und als unsere kleine Rangierlok ohne angehängte Wagen vorbeiratterte, schlug er zu! Da die Lok nun neben dem Gleis lag und sich nicht rührte, war der Jagdspaß für ihn zu Ende.

Wieder ging auch diese Zeit zu Ende. Und ich musste noch warten, bis meine Enkeltochter und dann der Enkelsohn in das entsprechende Alter gekommen waren. Diesmal war der Plot schon etwas raffinierter. Denn wir simulierten eine Bahnstrecke von Wuppertal nach Köln, die Wuppertal-Kölner Eisenbahngesellschaft, die WKE. Meine Enkeltochter war Bahnchef und hieß dementsprechend Mehdorn, ihre Freundin bekam auch einen höheren Posten als Bahnhofsvorsteherin und Ansagerin, während ich eine bescheidene Rolle als Weichensteller und Ankuppler einnahm.

Einige Jahr später baute ich mit dem Enkelsohn lange Strecken, von einem Zimmer über den Flur in das andere Zimmer, mit einer Schleife durch die vorhandene kleine Kammer. In der Mitte der eingleisigen Strecke befand sich ein Ausweichgleis, dort musste der Zug von A nach B warten, bis der Gegenzug von B nach A vorbeigefahren war. Verständigt wurde durch lautes Zurufen von den beiden Endbahnhöfen aus.

Auf gut Kölsch natürlich, das heißt »ufjepasst, de Zoch kütt!«

Da wir drei Trafos hatten, bauten wir Stromkreise. Somit konnte ein Zug im Bahnhof auf dem Parallelgleis warten, bis der Schnellzug ein- und wieder ausgefahren war. Jetzt kam ein anderes Werkzeug hinzu, nämlich der kleine, digitale Fotoapparat. Wenn man ihn auf einen Güterwagen draufsetzte, konnten wir kleine Filmchen drehen, besonders anregend im Dunkeln, weil sich bewegende Lichter, die Lichter der Lok und die Bahnhofslampen, ein Spannungsfeld erzeugen, umso mehr, wenn zwei Züge unterwegs sind.

Wie zu sehen ist, sind auch Fotos fast realistischer Art entstanden.

Dann ging auch diese Epoche zu Ende und parallel dazu meine Berufszeit. Ich war also mit meiner Eisenbahn allein und musste sie ohne Hilfe wieder aufbauen. Gleichwohl war ich ab und zu der Meinung, dass in meinem vorgerückten Alter so kindliche Vergnügungen nicht mehr angemessen sind. Doch hat nicht Friedrich Schiller gesagt, dass man möglichst viel von dem, was man als Kind – und später mit den eigenen Kindern – erlebt hat, in das Alter mitnehmen sollte? »Nur wer spielt, lebt« – so lautet sein Ratschlag. Und ist es nicht so, dass das Bewegte das Vorherrschende in der Gemüts- und Verstandsempfindung ist?

Soweit die familiäre Geschichte.

Nächster Teil dieses Gastbeitrags: Technikwissen, Erfahrung und Planung

Wie immer freut man sich, wenn auf ein Schriftstück eine »Rückkopplung«, eine Antwort, erfolgt. Gerne auch per Mail an rderenbach@gmx.de


[1]  Johann Wolfgang von Goethe: Faust I, Osterspaziergang.

[2]  Rolf Derenbach: So ist es gekommen – Jahre in Baden-Baden, Stuttgart, London / Bath und im Berlin der »1968er«. Eine Autobiographie bis zum 28. Lebensjahr, aber keine Ich-Eloge, sondern, eine Folge aus beobachtenden und in der Erinnerung verankert gebliebenen Episoden. Vielleicht mit acht Jahren schon bin ich mit dem Zug allein von Baden-Baden nach Stuttgart »versandt« worden.

Über Rolf Derenbach

Rolf Derenbach( 1944) Dr.-Ing., Studium der Architektur, Stadt- und Regionalplanung an der Hochschule für bildende Künste Berlin und an der Technischen Universität Berlin. 1973 Institut DATUM (Projekt zur Nutzung des Computers für die räumliche Planung), seit 1976 Bundesforschungsanstalt für Landeskunde und Raumordnung mit den Themen Bildungsgeographie und eigenständige Regionalentwicklung durch Qualifikation und Innovation (einschl. Gutachten für die EU-Kommission). Seit 1989 Referent für Bildung, Kultur, Europa und internationale Partnerschaften. Nachberuflich: Schriften zur Architektur, Geographie, Geschichte und Philosophie, die im online Portal der Freien Universität Berlin verfügbar sind (refubium.fu-berlin.de).

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