Wie die Deutsche Bahn Schleswig-Holstein, Skandinavien und eine Batteriefabrik abklemmt
1. Die Verlagerung des Fernbahnhofs Altona nach Diebsteich ist seit längerem Gegenstand heftiger Diskussionen und Kontroversen. Im Mittelpunkt stehen dabei – neben den Kosten – die gravierenden Verschlechterungen im Personenverkehr für Hamburgs Westen sowie die Kapazitätsminderungen durch geringere Anzahl von Bahnsteiggleisen, die dem Deutschlandtakt diametral entgegenwirken. Hilflose Planungen versuchen nun, durch weitere Riesenprojekte (Verbindungsbahnentlastungstunnel) das völlig aus der Zeit gefallene Projekt zu retten.
All dieses erinnert fatal an Stuttgart 21.
Viel zu wenig bekannt ist, dass im Planfeststellungsbeschluss für Diebsteich auch der Güterverkehr massiv betroffen ist. Es wird darin ausdrücklich darauf hingewiesen, dass dieser dann nicht mehr – wie bisher noch genutzt – über Diebsteich und die Verbindungsbahn stattfinden kann und soll.
Als elektrifizierte Alternative gibt es für den Gesamtverkehr aus dem Norden aktuell nur die eingleisige Güterumgehungsbahn Eidelstedt – Rothenburgsort, die zusätzlich noch als Umleitungsstrecke bei Bauarbeiten in Hamburg für Personenverkehr und Aussetzfahrten herhalten muss.
Diese muss – seit über hundert Jahren bereits so trassiert – vorrangig zweigleisig ausgebaut werden. Dafür fehlt jedoch jede Planung.
2. Was ist klimapolitisch zu fordern? Neben der Verdoppelung der Fahrgastzahlen für die Schiene steht die Verlagerung des Güterverkehrs besonders im Fokus – dafür baut Dänemark gerade im Fehmarnbelt einen riesigen Tunnel (unter erheblicher Naturzerstörung!). Die „Hinterlandanbindung“ durch Schleswig-Holstein Richtung Lübeck ist aber aktuell auf der finanzbedingten Streichliste an oberster Stelle und wird wohl nur als abgespeckte, überwiegend eingleisige Variante deutlich zeitverzögert kommen.
3. In Heide entsteht für die Elektromobilität mit „Northvolt“ eine riesige Batteriefabrik – der Abtransport der Akkus (etwa 12 Güterzüge pro Tag) soll auf der Schiene stattfinden.
4. Im Februar stellte InfraGO-Vorstand Nagl einen 10-Punkte-Plan für Schleswig-Holstein vor. Enthalten ist darin unter anderem die Elektrifizierung der Marschbahn und ein Ausbau der Strecke Heide – Neumünster, nicht aber die Verlängerung bis Bad Oldesloe, die den Knoten Hamburg entlasten würde.
5. Die aktuelle Situation ist von großen Unsicherheiten bestimmt: Alle Riesenprojekte laufen zeit- und finanzierungsbedingt völlig aus dem Ruder. Zudem ist generell im Schienennetz ein großer Sanierungsbedarf entstanden, im Hamburger Raum betrifft das besonders die großen Brücken. Für alles wird bei weitem nicht genug Geld vorhanden sein.
Am „Fernbahnhof Diebsteich“, der eigentlich schon 2023 fertig sein sollte, wird seit Monaten gar nicht mehr gebaut; der kleine S-Bahn-Teil, seit 2022 außer Betrieb, soll aktuell frühestens Anfang 2025 in Betrieb gehen – ohne Rolltreppen, Rampen oder Aufzüge. Die Politik schaut dabei planlos zu und kürzt ihre Finanzmittel, die DB versinkt immer mehr in Schulden.
6. Das Projekt „Fernbahnhof Diebsteich“ hat eine äußerst bedrohliche Komponente: Als nächster geplanter Bauabschnitt soll der westliche Bahnsteig 4 gebaut werden. Dafür muss eine Rampe für ein Überwerfungsbauwerk, das die kreuzungsfreie Zu-/Abfahrt zu den westlichen Gleisen 4-7 des bestehenden Bahnhofs Altona Richtung Norden sichert, entfernt werden.
Dadurch käme es zu einer nicht zu korrigierenden Infrastrukturzerstörung, die den Bahnhof Altona von einem weiteren sinnvollen Betrieb empfindlich abschneiden würde – ohne ihn wäre aber schon jetzt das Chaos auf der Schiene in Hamburg erheblich größer und gegenwärtig auch kein Deutschlandtakt möglich. Denn während mit dem bestehenden Bahnhof Altona ein Deutschlandtakt möglich wäre und er zusätzlich eine wichtige Pufferfunktion für den Hauptbahnhof erfüllt, bedeuten die geplanten Eingriffe die mutwillige Zerstörung wichtiger Bahninfrastruktur. Man würde sozusagen den Hamburger Bahnverkehr für viele Milliarden Euro verschlimmbessern.
Fazit: Besonders unter den gegenwärtigen Rahmenbedingungen erscheint es unverantwortlich, den Bau des Fernbahnhofes Diebsteich fortzusetzen. Vorrangig muss unter anderem jetzt dafür gesorgt werden, dass der klima- und europapolitisch gewünschte steigende Schienengüterverkehr aus dem Norden sinnvoll durch Hamburg oder daran vorbeigeführt werden kann. Voreilige und nicht mehr zu korrigierende Infrastrukturzerstörungen sind zwingend zu unterlassen.
Martin Schwager
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