Bahn in der Krise: Wie kann die Deutsche Bahn wieder auf Kurs gebracht werden?
Rede von Dr.med.Dipl.-Psych. Angelika Linckh, Capella Rebella, auf der 721. Montagsdemo am 26.8.2024
Liebe Freundinnen und Freunde,
heute möchte ich über die tiefe Krise sprechen, in der sich unser Bahn-Schienenverkehr befindet.
Schauen wir uns die Lage an: Vernichtende Kritik an den unhaltbaren Zuständen der Deutschen Bahn gibt es inzwischen fast täglich – sei es im Spiegel, im Focus, in der Süddeutschen Zeitung und auch in den Hauptnachrichtensendungen von ARD und ZDF. Fast alle beschreiben die Situation im Bahnverkehr beinahe wollüstig hoffnungslos – ohne Konzept – ohne Perspektive. Bemerkenswert ist, dass es bei all dieser berechtigten Kritik wesentliche Punkte gibt, die nicht erwähnt, die unterschlagen werden:
- Erstens wird kaum thematisiert, wer politisch und auf Management-Ebene für diese Zustände verantwortlich ist. Das Versagen der Verantwortlichen wird selten hinterfragt, als wäre der Verfall der Deutschen Bahn ein unglückliches Naturereignis, das niemand wirklich wollte und niemand absichtsvoll herbeigeführt hätte. Folgerichtig gibt es kaum Rücktrittsforderungen – diese kommen nur von der Bürgerbahn Denkfabrik und der Gewerkschaft der Lokomotivführer (GDL).
- Zweitens bleibt die Kritik an der Oberfläche: Sie beschreibt die Deutsche Bahn als beinahe irreparablen Fall auf dem Weg in den Total-Bankrott – mit dem wir uns leider abfinden müssen. Doch das, liebe Freundinnen und Freunde, ist nicht nur falsch, sondern gefährlich. Denn ohne eine funktionierende Bahn werden wir die klimaschonende Verkehrswende nicht schaffen. Die Menschen werden wieder verstärkt aufs Auto umsteigen – genau das, was die FDP in ihrer verkehrspolitischen Ausrichtung auch forciert.
Doch wir sagen: Nein! Wir werden uns damit nicht abfinden, und wir dürfen es auch nicht.
Ein persönlicher Blick zurück: Ich selbst habe in den 80er Jahren erlebt, wie eine funktionierende Deutsche Bundesbahn aussieht. Von 1984 bis 1986 war ich Bahnpendlerin. Ich wohnte in Stuttgart gegenüber vom Hallenbad Heslach und studierte in Heidelberg. Damals gab es das Tramper-Monatsticket, mit dem junge Menschen für 232 DM, etwa 120 Euro, einen Monat lang alle Züge in der ganzen Bundesrepublik benutzen konnten. Es ermöglichte mir, in Stuttgart zu wohnen und täglich nach Heidelberg zu pendeln.
Jeden Morgen machte ich mich auf den Weg zur S-Bahn, die minutengenau von der Schwabstraße zum Hauptbahnhof fuhr. Dort angekommen, stieg ich direkt in den pünktlichen IC, der mich innerhalb von 70 Minuten nach Heidelberg brachte. Im Zug lernte ich in aller Ruhe für meine medizinischen Staatsexamina, und nach meiner Ankunft in Heidelberg konnte ich nahtlos auf mein am Bahnhof geparktes Fahrrad umsteigen, um pünktlich im Hörsaal zu sein. Abends wiederholte sich das Ganze in umgekehrter Reihenfolge – stets zuverlässig, stets pünktlich. Die Züge waren sauber, die Toiletten funktionierten, und ich wusste: Bahnfahren klappt. Hier arbeiten gut ausgebildete, fähige Menschen, die jederzeit vor Ort sind, wenn es Probleme gibt.
Heute scheint all das verloren gegangen zu sein. Stattdessen verfolgt die Deutsche Bahn das Ziel, ein global agierender Konzern zu sein, während unser Schienennetz zum Nebengeschäft degradiert wird.
Warum ist das so?
Weil das Management der Bahn und die verantwortlichen Politiker andere Prioritäten gesetzt haben. Statt sich auf das Kerngeschäft – den Schienenverkehr in Deutschland – zu konzentrieren, werden LKW-Logistik-Konzerne betrieben und fragwürdige Auslandsprojekte in den Vordergrund gestellt. Die Deutsche Bahn baut bis heute z.B. neue Eisenbahnlinien in Mexiko, Ägypten oder Brasilien. Und unterstützt damit sogar Regenwaldzerstörung und Vertreibung von Indigenen. Verantwortlich für diese Desaster ist der DB-Vorstand – und die Verantwortlichen in der Politik. Das Ergebnis: marode Infrastruktur, langsame Züge, eine überbordende Bürokratie und ein Top-Management, das von Bahnverkehr wenig versteht.
Wir haben jahrzehntelang eine gut funktionierende Bahn erlebt, der Laden war gut organisiert und es ist folglich kein Geheimnis, was zu tun ist, damit er wieder so funktionieren kann wie damals. Also gibt es Hoffnung. Wir wissen, wie ein funktionierendes Bahnsystem aussieht, und wir wissen auch, was getan werden muss, um dorthin zurückzukehren.
Liebe Freund*innen, der von mir eben beschriebene funktionierende Zustand des deutschen Bahn-Systems war erlebte Realität. Es ist also kein Geheimnis, sondern liegt klar auf der Hand, was wieder repariert und geändert werden muss, damit dieser heute utopisch erscheinende Zustand im Schienenverkehr von damals wieder erlebte Realität werden kann!
Die Bürgerbahn-Denkfabrik für eine starke Schiene – unterstützt vom Aktionsbündnis gegen Stuttgart 21, der Aktionsgemeinschaft Inselbahnhof Lindau und Prellbock Altona – hat vergangene Woche und ganz aktuell heute eine Pressemitteilung veröffentlicht. Die PM bringt die Situation ganz klar auf 12 Ursachen und 5 Forderungen:
Zu den aufgezählten Ursachen gehört:
- Dass die Schieneninfrastruktur nicht instand gehalten, sondern demontiert worden ist. Im maroden Schienennetz bremsen heute über 300 Langsamfahrstellen den Verkehr aus. Hauptachsen des Schienennetzes stehen vor dem Kollaps.
- Und dass die Deutsche Bahn AG mit über 400 Beteiligungsfirmen einen gigantischen Verwaltungswasserkopf unterhält, der mehr hoch bezahlte Leitungs-Stellen umfasst als 1993 die gesamte Verwaltung von Bundesbahn und Deutscher Reichsbahn zusammen – ein unüberschaubarer Koloss, der Personal und Planungskapazitäten bindet, die dringend für die Rekonstruktion einer Bürgerbahn gebraucht würden! Und noch schlimmer: ein Koloss mit völlig überforderten und autoaffinen und daher am Bahnverkehr Desinteressierten in Ministerien und Aufsichtsrat – ohne vernünftige Kontrolle.
- Statt hektischer „Generalsanierung“ mit monatelanger Stilllegung wichtiger Strecken, können und müssen die Reparaturen mittelfristig unter rollendem Rad stattfinden, was die Reisenden nicht zum Ausweichen aufs Auto treibt. Die Schweiz macht es wieder einmal vor: Benedikt Weibel hat die „Generalsanierungen“ der Bahn als kundenfeindlichen Generalunsinn bezeichnet.
- Also Einstellung des Generalunsinns „Generalsanierung“, stattdessen Sanierung des gesamten 33.000 km umfassenden Bestandsnetzes und nicht nur von 4.500 km des sogenannten Kernnetzes.
- Alle eingleisigen Streckenabschnitte müssen zweigleisig werden. Alle Strecken müssen elektrifiziert werden.
- Die aktuelle Digitalisierungsstrategie und Prestigeprojekte wie Stuttgart 21, die zweite S-Bahn-Stammstrecke in München oder neue Hochgeschwindigkeitsstrecken führen in die Irre. Diese Großprojekte binden Kapazitäten und Ressourcen, die dringend zur Sanierung des bestehenden Netzes benötigt werden. Es ist an der Zeit, diese Projekte zu stoppen und die 100 Milliarden Euro, die sie verschlingen, in die Reparatur und Modernisierung unseres Schienennetzes zu investieren.
- Die Schieneninfrastruktur muss instand gesetzt, das Netz ausgebaut und das Management von echten Eisenbahn-Expert*innen geführt werden. Die Bürgerbahn Denkfabrik und die GDL haben klare Forderungen gestellt: Rücktritt des Vorstands und erfahrene Eisenbahner*innen in die Führung der Deutschen Bahn!
- Ein weiteres Beispiel: Der angekündigte Abbau von 30.000 Arbeitsplätzen durch den DB-Finanzvorstand – das wären 10 % der Gesamtbelegschaft! Das wird keines der Probleme lösen. Im Gegenteil: Er wird die Situation weiter verschärfen, da qualifiziertes Know-how, besonders im technischen Bereich, verloren geht. Auch hier stimmen Bürgerbahn, GDL und EVG überein: Das ist der falsche Weg.
Liebe Freundinnen und Freunde, unsere Kritik ist nicht einfach nur Bahn-Bashing. Wir haben konkrete Vorschläge, wie eine klimafreundliche und bürgernahe Bahn wiederhergestellt werden kann. Leider werden diese Vorschläge von den Medien kaum aufgegriffen. Warum? Weil ein Plan, um so eine funktionierende Flächenbahn wieder herzustellen, ein Frontalangriff auf die Autogesellschaft und ihre Profiteure wäre. Die vielfliegenden und autofahrenden Chef-Meinungsmacher, die Bahn-Basher an der Spitze der Leitmedien, sind offensichtlich eher an den Aktienkursen von Porsche, Mercedes und BMW interessiert und daran, der kriselnden Autoindustrie wieder aufzuhelfen.
Deshalb: Lasst uns laut und deutlich unsere Forderungen vertreten. Nehmt die Pressemitteilungen der Bürgerbahn mit und informiert eure Nachbar*innen und Freund*innen. Wir haben Grund zur Hoffnung: Mit unserer Kritik am Skandalprojekt Stuttgart 21 standen wir 15 Jahre lang alleine. Jetzt wendet sich das Blatt.
Zum Schluss meiner Rede möchte ich auf eine meiner jüngsten Bahnreisen zurückblicken: Ende Juli fuhr ich von Stuttgart nach Dresden. Zuerst mit dem IC nach Nürnberg, dann per Deutschlandticket im Regionalverkehr zunächst nach Hof und dann nach Dresden. Alle Züge waren pünktlich, sauber und gut klimatisiert. Es hat reibungslos funktioniert – genauso, wie es wieder die Regel werden kann und so, wie es wieder die Regel werden muss!
Vielleicht kennen einige von Euch das Buch „Gebrauchsanweisung fürs Zugreisen“ von Jaroslav Rudiš. Es ist eine Liebeserklärung an das Reisen auf Schienen, an die Menschen, die für die Bahn arbeiten oder einfach gerne mit ihr unterwegs sind. Rudiš schreibt so hinreißend vom Gleisverkehr, von Speisewagen und Bahnhöfen, dass ich mich schon beim Lesen auf mein nächstes Bier im Speisewagen gefreut habe.
Und tatsächlich versuche ich jetzt auf all meinen Bahnreisen, den Speisewagen zu genießen – so er denn geöffnet sein sollte – und auf eine gute Zukunft der Bahn anzustoßen.
Lasst uns weiter laut und deutlich für eine bessere Bahn und unseren Kopfbahnhof kämpfen. Denn Hoffnung gibt Kraft. Die brauchen wir, um die Bahn wieder zu einem Symbol für Zuverlässigkeit, Effizienz, Komfort und Klimaschutz zu machen.
Liebe Freundinnen und Freunde, es liegt also vorerst an uns und unseren phantastischen Bündnispartnern wie DUH, Robin Wood und Bürgerbahn, die Deutsche Bahn wieder dorthin zu bringen und die Verantwortlichen mit unseren Forderungen für ein Wiederaufbau-Programm einer funktionierenden Bahn für alle unter Druck zu setzen.
Was wir zur Zeit bei Stuttgart 21 erleben, zeigt: wir haben Grund zu sagen: unser Kampf kann sich lohnen!
Vielen Dank und: Oben Bleiben!
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