Generalsanierung Hamburg-Berlin: Neun Monate Totalsperrung sind nicht notwendig

Pressemitteilung von Bürgerbahn – Denkfabrik für eine starke Schiene

zur sogenannten Generalsanierung der Bahnstrecke Hamburg-Berlin von August 2025 bis Mai 2026

An keiner Bahnstrecke in Deutschland wurde in den letzten 20 Jahren so viel herumsaniert wie an der 278 km langen Strecke Hamburg-Berlin, die aber keineswegs zu den höchstbelasteten Strecken im Lande zählt. Die Sanierungsarbeiten waren immer mit längeren Totalsperrungen – seit 2020 alleine bisher dreimal – verbunden. Was jeweils defekt war, was erneuert wurde und warum die Instandhaltung damals nicht wie im Eisenbahnbereich zum Beispiel in der Schweiz üblich, unter dem „rollenden Rad“ stattfinden, konnte oder wollte die DB nicht erklären.

Nun steht ab 1. August 2025 und bis zum 30. April 2026 eine erneute und mit neun Monaten die bislang längste Totalsperrung auf dieser Strecke an. Und das, obwohl die DB den Einbau eines neuen Signalsystems (ETCS) aus Geldmangel und wegen mangelnder Zuverlässigkeit und begrenztem Nutzen des Systems erst einmal verschoben hat.

Somit stellt sich die Frage, wieso die angekündigten Baumaßnahmen überhaupt eine Totalsperrung erforderlich machen, wenn nach Einschätzung unserer Fachleute ein Großteil der geplanten Bauarbeiten entweder überhaupt keine Streckensperrung erfordern (wie bei Verbesserungen an Haltepunkten) oder aber die Sperrpausen auf wenige Wochenenden und Nächte beschränkt werden könnten. Zumal die Strecke ja durchweg mindestens zweigleisig ist und daher in der Regel ein Ausweichen auf das Gegengleis möglich wäre.

Bürgerbahn – Denkfabrik hat sich die angekündigten Baumaßnahmen näher angesehen. Daraus ergeben sich folgende Fragen:

  1. Die DB gibt auf ihrer Webseite zur Generalsanierung Hamburg-Berlin https://hamburg-berlin.deutschebahn.com/bauarbeiten.html an, dass die Strecke mit 110 Fernverkehrszügen, 270 Regionalverkehrszügen und 90 Güterzügen hochbelastet sei. Eine Überprüfung anhand der DB Fahrplanauskunft ergibt, dass diese Zahlen völlig übertrieben sind. So verkehren von Hamburg Hbf. nach Berlin Hbf. an einem normalen Werktag gerade einmal 33 Fernverkehrszüge pro Richtung, also 66 Züge/Tag. Das sind nur 60% der von der DB angegebenen Zahl. Genauso weit hergeholt ist die angegebene Belastung mit Regionalzügen, die ja teilweise nicht die gesamte Strecke, sondern nur Teilstrecken befahren. Selbst auf dem am höchsten belasteten Streckenabschnitt zwischen Nauen und Berlin-Spandau fahren im SPNV nur 48 Zugpaare, also 96 Züge am Tag. Nimmt man an, dass die angegebene Zahl der Güterzüge stimmt (sie schwankt saisonal stark), ergibt sich mit rund 250 Zügen /Tag, also 125 Zügen pro Richtung und Tag, nur eine Belastung von durchschnittlich 5 Zügen pro Stunde und Richtung, das heißt: alle 12 Minuten ein Zug. Das ist keineswegs eine Spitzenbelastung im deutschen Schienennetz.
  2. Ferner argumentiert die DB: „Gleichzeitig wird die Strecke nicht zuletzt durch die hohen Geschwindigkeiten stark abgenutzt.“ Das ist wiederum nur teilweise richtig: Zum einen fahren die Regionalzüge nie schneller als 160 km/h, die Güterzüge nicht mehr als 120 km/h, lediglich einige der ICEs nutzen auf dieser Strecke die zugelassene Höchstgeschwindigkeit von 230 km/h.  Interessant ist, dass die DB damit selber zugibt, dass durch hohe Geschwindigkeiten die Strecken schneller verschleißen und häufiger gewartet werden müssen. Gleichzeitig fordert sie aber für den weiteren Netzausbau regelmäßig den Bau neuer Hochgeschwindigkeitsstrecken für 300 km/h! Um also die Strecke vor übermäßigem Verschleiß zu schützen, wäre eine Begrenzung der Höchstgeschwindigkeit sinnvoll, was dann im Zielfahrplan für den Deutschlandtakt entsprechend zu berücksichtigen wäre und bei den Infrastruktur- und Unterhaltungskosten erhebliche Einsparungen ermöglichen würde.
  3. Es sollen sechs zusätzliche Überleitstellen eingebaut werden. Ursprünglich war einmal vom Einbau von 28 Überleitstellen die Rede! Der Einbau einer Überleitstelle kann nach Einschätzung unserer Experten bei professioneller Vorbereitung in einer verlängerten Wochenendsperrpause geschehen. In der Schweiz werden solche Maßnahmen regelmäßig mit minimalen Sperrpausen realisiert.
  4. Es sollen umfangreiche Arbeiten an der Leit- und Sicherungstechnik stattfinden. Interessanterweise wurde die gesamte die Leit- und Sicherungstechnik (es gibt z.B. auf der ganzen Strecke keine höhengleichen Bahnübergänge mehr) bei dem Ausbau der Strecke auf 230 km/h vor 20 Jahren komplett erneuert. Die Züge werden auf der Strecke wie auf fast allen Schnellfahrstrecken in Deutschland über das bewährte System LZB gesteuert. Wenn aus verschiedenerlei Gründen nicht das europäische Zugsicherungssystem ETCS eingebaut wird, dann ist eine Steuerung über LZB immer noch Stand der Technik. Wieso hier trotzdem umfangreiche Erneuerungen erforderlich sind, bleibt schleierhaft. Und wieso Maßnahmen, die ohne Eingriffe in die Schienenwege vollzogen werden können, langdauernde Totalsperrungen erfordern sollen, bleibt vollends rätselhaft.
  5. Für die geplante Sanierung von fünf Kilometern Lärmschutzwänden im Bereich Wohltorf/Aumühle bedarf es nun wahrlich keiner neunmonatigen Streckensperrung. Der Austausch von Lärmschutzanlagen ist auch ohne Streckensperrungen möglich.
  6. Gleiches gilt für die geplante Modernisierung „diverser Bahnhöfe“ an der Strecke „für ein besseres Kundenerlebnis durch den Einbau neuer WC-Anlagen, Wetterschutzhäuser, verbesserter Wegeleitsysteme und Fahrradabstellanlagen“. Abgesehen davon, dass es auf der Strecke nur vier größere Bahnhöfe (Büchen, Ludwigslust, Wittenberge und Nauen) gibt – der Rest sind nur kleine Nahverkehrshaltepunkte (Verkehrsstationen im DB-Amtssprech) –, können diese Arbeiten auch bei laufendem Zugbetrieb vorgenommen werden. Zudem wurden die größeren Bahnhöfe schon vor Jahren modernisiert, ohne dass die von der DB immer betonte „Verbesserung der Aufenthaltsqualität“ erreicht wurde. Denn die dazugehörigen Bahnhofsgebäude sind weiterhin marode und wurden von der DB schon vor Jahren an Spekulanten verkauft. Sie sind somit nicht Gegenstand der „Generalsanierung“. Allerdings sollten für die ICE-Halte auf der Strecke die Bahnsteige überdacht werden. Aber solche Überdachungen sind zum Beispiel für Büchen nicht geplant. Und sie wären problemlos neben laufendem Bahnbetrieb möglich.
  7. Die geplante Aufstellung von G5-Sendemasten für das sogenannte „Future Railway Mobile Communication System (FRMCS)“ erfordert ebenfalls keine Streckensperrungen. Die Masten werden außerhalb der Gleiszone gesetzt. Und die Aufstellung ist zum jetzigen Zeitpunkt auch eine Geldverschwendung, da die Umstellung der Streckensignalisierung auf ETCS wegen technischer Probleme mit ETCS aus dem Bauprogramm gestrichen wurde.
  8. Die geplante Erneuerung von Schienen und die Ausbesserung der Gleislagen kann auf mehrgleisigen Strecken im laufenden Betrieb durchgeführt werden, im Eisenbahner-Deutsch nennt man das Sanierung unter dem „Rollenden Rad“ Es sei daran erinnert, dass die weit umfangreicheren Baumaßnahmen zur Anhebung der Streckenhöchstgeschwindigkeit auf 230 km/h vor zwanzig Jahren bei laufendem Betrieb durchgeführt wurden !
  9. Die Generalsanierungen treiben in der bislang geplanten und bei der Riedbahn erstmals vollzogenen Form die Preise für Bauleistungen und Planungskosten in bislang nicht marktübliche Kostenhöhen. Denn für solche Großprojekte können nur große Firmen bieten. Davon gib es in der Bahnbranche nicht so viele, das führt dann aufgrund der Anbietermonopole zu überhöhten Preisen. Deswegen wurde die erste der geplanten Generalsanierungen auf der Riedbahn von Frankfurt nach Mannheim, deutlich teurer als erwartet. Statt der bei Baubeginn im Juni 2024 angekündigten 1,5 Mrd. Euro stiegen bei Fertigstellung im Dezember 2024 die bis dahin bekannten Kosten schon auf 1,8 Mrd. Euro. Und die Endabrechnung liegt noch nicht vor. Man erwaret, dass die Gesamtkosten für die Riedbahn 2 Mrd. Euro übersteigen werden. Für die Generalsanierung Hamburg – Berlin sind 2,2 Mrd. Euro veranschlagt. Am Ende werden also voraussichtlich mehr als 2,5 Mrd. Euro auf der Rechnung stehen. Die DB agiert hier nach dem Motto: „Das zahlt ja sowieso der Steuerzahler“. Der Bundesrechnungshof kritisiert das Konzept dieser bisherigen Generalsanierungen als extrem preissteigernd und verschwenderisch.
  10. Die ganze Fragwürdigkeit des Generalsanierungskonzepts mit langdauernden Totalsperrungen wichtiger Korridore zeigt eine Vergleich zur Bauparaxis an Autobahnen. Dort sind Totalsperrungen nahezu tabu und kommen nur bei Brückeneinstürzen in Betracht. Normalerweise wird der Verkehr bei mehrspurigen Autobahnen auf die Parallelspur oder bei gleichzeitiger Sanierung mehrerer paralleler Fahrspuren durch Umspuren auf Teile der Gegenfahrbahn umgeleitet. Die monatelange Totalsperrung wichtiger Autobahnen wäre politischer Selbstmord und würde die gesamte Autolobby mobilisieren. Schon bei kleinen Querschnittseinschränungen auf Autobahnen werden für die betroffenen Abschnitte leistungsfähige Umleitungen angeboten. Bei den Bahngeneralsanierungen unterbleibt dagegen der vorangehende Ausbau leistungsfähiger Umfahrungen.

Bürgerbahn – Denkfabrik fordert daher:

  1. Durchführung der Sanierungsarbeiten unter dem „rollenden Rad“, um die Einschränkungen für die Bahnreisenden zu minimieren,
  2. Minimierung der Sperrzeiten auf das unumgänglich Maß durch Konzentration der Baumaßnahmen auf die Wochenenden und Nachtstunden und durch Herausnahme aller die Gleistrassen selber nicht unmittelbar betreffender Baumaßnahmen aus dem sperrzeitenrelevanten Bauprogramm.
  3. Zeitliche und netzabhängige Minimierung der Schienenersatzverkehre auf das unumgängliche Maß der Sperrzeiten und Sperrabschnitte.
  4. Sicherstellung umwegminimierender Umfahrungen der Sperrabschnitte durch vorausgeschaltete Ausbaumaßnahmen an den Umfahrungsstrecken. Umleitung der dann betroffenen Nachtverkehre über Stendal und Uelzen .
  5. Im Falll Hamburg-Berlin Herrichtung der Ausweichstrecken, damit die wenigen unumgänglichen Umleitungsverkehre schnell eingerichtet und mit minimalen Fahrtzeitverlängerungen gefahren werden können. Das heißt vor Beginn der Generalsanierung Hamburg-Berlin Fertigstellung des vollständig zweigleisigen Ausbaus der Strecke von Uelzen nach Stendal. Dieses Projekt war einmal Verkehrsprojekt Deutsche Einheit Nr. 3 und sollte bis 2000 fertig sein. Es wurde aber von der DB in Vorbereitung des Börsengangs 2008 erst einmal langfristig verschoben. Das rächt sich jetzt.
  • Wo kurzzeitige Totalsperrungen unumgänglich sind, dürfen nur die Streckenabschnitte gesperrt werden, auf denen konkret gearbeitet wird. Vor allem der Regionalverkehr, der oft nur Teilstrecken der Generalsanierungsstrecken nutzt,  darf durch die Sperrungen nur geringst möglich tangiert werden. .
  •  Vollumfängliche Entschädigung der Pendler für die Zeiten der Totalsperrungen.  Zumindest müssen die Fernverkehrszüge für Pendler mit Nahverkehrsmonatskarten und Deutschlandtickets freigegeben werden.
  • Im Fernverkehr darf die DB die Verknappung des Angebots (nur eine statt sonst zwei Direktverbindungen Hamburg-Berlin pro Stunde) nicht für Preiserhöhungen über ihr auslastungsabhängiges Preissystem nutzen.
  • Transparente Information der Öffentlichkeit, wann und wo welche Arbeiten erledigt werden.

Dazu Prof. Heiner Monheim, Sprecher von Bürgerbahn-Denkfabrik:

„Dass die Autobahn GmbH des Bundes die A 24 zwischen Hamburg und Berlin ein Dreivierteljahr auf voller Länge total sperrt, weil Asphalt erneuert, Leitplanken ausgetauscht und die Rasthöfe saniert werden sollen, wäre unvorstellbar. Aber bei der Bahn soll genau das durchgezogen werden – auf Kosten der Fahrgäste und der Umwelt!

Von der neun Monate langen Streckensperrung im Rahmen der „Generalsanierung“ Hamburg-Berlin sind hauptsächlich Pendler und Reisende im Nahverkehr betroffen, denn dieser wird weitgehend eingestellt. Der Fernverkehr wird immerhin – wenn auch mit grooßen Umwegstrecken und -Zeiten umgeleitet. Diese Praxis bringt unzumutbar lange Fahrzeiten und schwer kalkulierbare Zeitrisiken mit sich. Sollten sich einzelne Baumaßnahmen nicht unter dem „Rollenden Rad“ durchführen lassen, dann sind die Sperrpausen auf einzelne Wochen/Wochenenden und vor allem die Nachtzeiten zu beschränken. Der Bauzeitplan der DB ist konsequent auf Verkürzungsmöglichkeiten zu überprüfen. Bei Sperrpausen von mehr als einer Woche sind die Pendler für die Zugausfälle und längeren Fahrtzeiten im Schienenersatzverkehr umfassend zu entschädigen.

Noch ist es möglich, die unzumutbare neunmonatige Totalsperrung abzusagen. Deutsche Bahn und Politik sind gefordert, Konzepte zu erarbeiten, wie die notwendigen Sanierungsarbeiten an der Bahnstrecke nach Berlin ohne monatelange Streckensperrungen durchgeführt werden können. Denn jeder Pendler, der von der von der Bahn aufs Auto umsteigt, schadet der Umwelt.“

 www.buergerbahn-denkfarik.org  

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