Das Stuttgarter Milliardengrab bedroht Bahnsanierung bundesweit

22.05.2024 Pressemitteilung


Nach dem Urteil im Streit über die ungedeckte Stuttgart21-Finanzierung

Nachdem das Verwaltungsgericht Stuttgart am 7. Mai 2024 nach  einem 8-jährigen Rechtsstreit der Bahn die alleinige Kostenträgerschaft für die bisher ungedeckten 7,5 Mrd.€ Mehrkosten von Stuttgart21 aufgebürdet hat, befürchtet Bürgerbahn -Denkfabrik weitere Stornierungen, Kürzungen und Absagen bundesweit wichtiger Bahnsanierungs- und Ausbauprojekte.

Stuttgart21 ist im Wesentlichen ein „eigenfinanziertes Projekt“ der Bahn mit ihren Partnern Stadt Stuttgart (incl. Flughafen und Region) und dem Land Baden-Württemberg. Dass es zu diesem Urteil kam, ist die Folge einer unsäglichen Schlamperei und Leichtfertigkeit bei der Vertragsabfassung und der Planung, die durch die vielen Planungsfehler und das kostenignorante Planungskonzept die Kostenexplosion verursacht hat. Der Vertrag  enthielt keinen klaren Konfliktlösungsmechanismus, obwohl alle Beteiligten schon bei Vertragsabschluss von erheblichen Mehrkosten ausgingen.

Die jahrelang unklar gelassene Finanzierungsverantwortung für das finanziell und zeitlich völlig auf dem Ruder gelaufene Projekt ermöglichte es den Beteiligten, ungebremst weiterzubauen und Milliarden zu versenken. Nun hat die DB AG den „Schwarzen Peter“ . Zwar kann die Bahn innerhalb eines Monats noch einen Antrag auf  Zulassung der Berufung beim VGH Baden-Württemberg stellen. Das aber würde den millionenteuren Megaprozess, an dem bislang 26 Richter und Parteienvertreter*innen beteiligt waren, fortsetzen.

Das Urteil mag formaljuristisch in Ordnung gehen. Politisch stellt es aber die Verantwortlichkeiten für „Deutschlands dümmstes Großprojekt“ (Slogan der S21-Gegner*innen) falsch dar. Auch wenn die vermutlich von ihrem Kanzleramtsminister schlecht beratene Kanzlerin Merkel 2010 Stuttgart21 mit der Zukunftsfähigkeit Deutschlands verband, ging die Haupt-Initiative und Basismotivation des Projekts von der Stadt Stuttgart und dem Land Baden-Württemberg aus. Beide waren damals in der Konzept- und Beschlussphase CDU geführt. Der bis dahin gut funktionierende Stuttgarter Kopf-Bahnhof mit seinem ingenieurtechnisch genialen Gleisvorfeld sollte einem neuen Stadtviertel Platz machen. Dafür sollte der Bahnhof irgendwie unter der Erde verschwinden. Stuttgart21 war also von Anbeginn an vor allem ein Immobilienprojekt zulasten des dadurch in seiner Kapazität beschränkten wichtigsten Bahnknotens im Südwesten.

Dass S21 auch zu Lasten der generellen deutschen Bahnentwicklung gehen würde, weil es die finanzielle Leistungsfähigkeit der DB AG überstrapazieren würde, wollte in der Startphase bei den offiziellen Projektpartnern Niemand sehen. Die S21- Gegner dagegen und vor allem auch Bürgerbahn haben auf dieses Problem von Anfang an verwiesen. Leider ohne in der Politik und bei der Bahn Gehör zu finden. Stadt, Land und DB-Planer haben, seit 2011 bzw. 2012 auch mit „Grüner“ Unterstützung, das Projekt über alle Krisen und galoppierenden Kostensteigerungen hinweg weiterverfolgt. Sie haben alle Chancen für einen frühzeitigen Projektausstieg und späteren Umstieg verstreichen lassen. Sie haben auch die milliardenschweren Projekterweiterungen um weitere 40 km neue Tunnelstrecken mit getragen. Und sie wollen bis heute keinen Abstriche, v.a. an ihrem (klimapolitisch unverantwortlichen) Bebauungsprojekt „Rosensteinviertel“ machen.

Die Projektpartner sind daher politisch gemeinsam für den kompletten Kontrollverlust und das von ihnen gemeinsam verursachte finanzielle Desaster verantwortlich. Und wenn sie die DB AG jetzt auf den explodierenden Mehrkosten, die noch lange nicht in ihren endgültigen Dimensionen vorhersehbar sind, sitzen lassen, dann hat das gravierende Konsequenzen für das künftige anderwärtige Investitionsverhalten der DB. Sie wird ohnehin unabhängig von S 21 von den drastischen Sparzwängen der aktuellen Haushaltsplanung der Bundesregierung massiv in ihrer fiskalischen Handlungsfähigkeit eingeschränkt. Viele Projektpläne kommen auf den Prüfstand. Die Frage ist, wie die Revision der Investitionsstrategie erfolgt. Wird sie mit Lerneffekten zu Gunsten der vielen dringend notwendigen kleineren Ausbau- und Sanierungsprojekte verbunden? Oder werden die anderen fragwürdigen Großprojekte mit aller Macht weiter verfolgt? Die eigentlich alle auf den Prüfstand künftiger, nachhaltiger, klimarettender Bahnstrategien gehören. Die Bahn brutal kaputt sparen darf keine Strategie werden.  Die Großprojekte anhalten und eindampfen zu Gunsten sinnvoller kleinerer Projekte , dagegen schon. Die Bahnstrategen und Bahnplaner müssen endlich ihre klimapolitischen Hausaufgaben abarbeiten. S 21 darf nicht zum Sargnagel deutscher Bahnpolitik werden.  Deswegen müssen „die Projektpartner von S 21 sich an der Finanzierung der Mehrkosten im Vorhaben Stuttgart 21 beteiligen  und sich konstruktiv  an der Debatte über einen kostensparenden qualifizierten Aus- und Umstieg in Stuttgart beteiligen“. Dazu Prof. Heiner Monheim, Verkehrswissenschaftler und Sprecher von Bürgerbahn Denkfabrik: „Es kann nicht sein, dass bundesweit der ohnehin marode und unterfinanzierte Bahnbetrieb weiter darunter leidet, dass in Stuttgart auf Teufel komm raus ein Immobilienprojekt und ein unterdimensionierter Bahnhof zu Ende gebaut werden sollen“.

Gemeinsame Verantwortung heißt nach Auffassung von Bürgerbahn Denkfabrik:

  • Einstellung des Rechtstreits und außergerichtlich Vereinbarung über eine faire Verteilung der bislang aufgelaufenen Mehrkosten
  • Kein Weiterbau von Stuttgart21, erst recht kein Weiterbau mit weiteren milliardenteuren Ergänzungsprojekten ohne einen Kassensturz, ohne Prüfung aller ungeklärten technischen und juristischen Risiken und ohne Öffnung der Diskussion über Konversionsmöglichkeiten zur Bewahrung und Modernisierung des jetzigen Hauptbahnhofs
  • Keine verdeckte S21-Finanzierung über Mittel aus dem Bundesverkehrswegeplan (geplanter Pfaffensteigtunnel) oder aus dem Fördertopf für ETCS (Digitaler Knoten Stuttgart)
  • Keine Kürzungen der DB-Mittel für Bahnsanierungen und der Regionalisierungsmittel bundesweit, aber regional ausgewogenere und klimapolitisch sinnvollere Verteilung dieser Mittel im ganzen Netz
  • Stattdessen Rückzug aus den vielen anderen sinnlosen Großprojekten nach dem Stuttgart21-Muster

Bürgerbahn Denkfabrik appelliert an die Bundes- und Landespolitik, die Bahn bundesweit nicht in den Abwärtsstrudel eines missratenen Bahn-/Immobilienprojekts in Stuttgart geraten zu lassen. Und endlich den Lernprozess darüber zu beginnen, wie die Bahn ohne überteuerte und falsch aufgegleiste Großprojekte schnellstmöglich zur Klimabahn werden kann, die im ganzen Land zur Minimierung des Autoverkehrs und der CO2 Emissionen beiträgt. 

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Ein Kommentar zu “Das Stuttgarter Milliardengrab bedroht Bahnsanierung bundesweit”

  1. Die PM spricht für sich! Alle Großprojekte müssen einem Moratorium unterworfen und vermutlich größtenteils gecancelt werden. Das betrifft insbesondere die aufwändigen Tunnelprojekte. Stattdessen muss in die Fläche investiert werden, die Digitalisierung, die Taktung verbessert werden. Ich habe den Eindruck, die profunden Bahnkritiker wären die besseren Bahnmanager! Priorität muss die Attraktivität der Bahn für viele Nutzer/innen haben, keine Prestigeprojekte!

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