Mehr Bahn statt mehr Beton
Von Hendrik Auhagen|
Datum: 11.05.2022
Zwischen der herrschenden deutschen Bahnpolitik und den Anforderungen der Klimakrise klafft ein tiefer Graben. Alternativen aufzeigen soll eine zweitägige Konferenz am kommenden Wochenende in Stuttgart. Im Zentrum steht das Konzept der „Klimabahn“ – was es ausmacht, erklärt unser Autor.
„Die Schiene ist die Grundlage für eine klimaschonende und effiziente Mobilität“, sagte Bundesverkehrsminister Volker Wissing (FDP) am vergangenen Montag, als er weitere Zuschüsse und Investitionen für die Bahn ankündigte. Das klingt erst einmal gut. Wer in die Bahn investiert, tut etwas für den Klimaschutz, so ein gängiger Schluss. Aber Vorsicht: Nicht Bahn an sich ist ökologisch – es kommt auf das Konzept an.
Und das Konzept der DB AG ist überholt: Es geht von der ewigen Selbstverständlichkeit bezahlbarer Spritpreise und der Dominanz des motorisierten Straßenverkehrs als universalem Hauptverkehrsmittel aus. Darüber hinaus wird die unbeschränkte Flugzeugnutzung als gegeben angenommen. In dieser Welt des ungebremsten Wachstums von Verkehr und Ressourcenverbrauch soll der Schienenverkehr als Ergänzungsverkehrsmittel Nischen erobern: durch Hochgeschwindigkeitszüge mit einem weiterhin hochsubventionierten Luftverkehr konkurrieren, Zubringerdienste für einen wachsenden Luftverkehr erbringen, im Umfeld der Großstädte verstopfte Autobahnen durch Regionalexpress und ICEs entlasten und den Verkehrsinfarkt in den Ballungsgebieten verhindern. All das verlangt gigantische Investitionen in zusätzliche Hochgeschwindigkeitsstrecken, Tunnelbauten und Bahnhofsneubauten ohne nennenswerte Einsparung von CO2-Emissionen.
Grundsätzlich anders ausgerichtet ist das Konzept der Klimabahn. Denn es orientiert sich dagegen an den Herausforderungen einer Ökosphäre, die nur dann überleben kann, wenn auch die Verkehrsbedürfnisse mit möglichst niedrigem Einsatz von (auch regenerativen) Energien und Rohstoffen (die für jede Art Verkehrsmittel benötigt werden) befriedigt werden. Das hat drei zentrale Konsequenzen: 1. Notwendig ist eine deutliche Reduktion von motorisiertem Verkehr – insbesondere was den Ferngüterverkehr angeht. 2. Die Bahn ist das zukünftige Hauptverkehrsmittel bei weitgehendem Ersatz der anderen motorisierten Verkehrsträger. 3. Die unverzichtbaren Schienenverkehrsleistungen müssen auf möglichst ressourceneffiziente Art und Weise erbracht werden.
„Takt vor Tempo“ als Sofortmaßnahme
Der heutige Güterverkehrsanteil der Bahn liegt bei knapp 20 Prozent; beim Personentransport liegt der Anteil der Schiene bei weniger als zehn Prozent. Die DB AG strebt bis 2035 eine Verdoppelung der Personen-Verkehrsleistungen an. Für das Konzept Klimabahn ist diese Zielsetzung völlig unzureichend. Stattdessen erfordern die Ziele Klimaschutz und Verringerung der Ressourcenabhängigkeit (also auch von knappen Erzen und Seltenen Erden für E-Autos) tendenziell eine Verdreifachung der Bahnkapazitäten bei gleichzeitiger Senkung des Gesamtverkehrsvolumens.
Im ersten Schritt bedeutet das die Konzentration der knappen finanziellen und vor allem der Baukapazitäten auf die schnelle und zielgenaue Ertüchtigung des Bestandsnetzes – anstelle weiterer Hochgeschwindigkeitsstrecken, Prestigebahnhöfe und gigantischer Tunnelbauten, die auch langfristig gesehen eine extrem schlechte Klimabilanz haben.
Das Konzept „Takt vor Tempo“ bietet in diesem Zusammenhang einen Weg an, wie auf Nadelöhr-Strecken die Kapazität schnell und kostengünstig gesteigert werden kann – nämlich durch eine Harmonisierung des Tempos. Um mit den Missverständnissen zu beginnen: Eine Presseüberschrift für unser Bahnkonzept lautete: „Tempo-Limit für Züge“. Das trifft aber die Sache nicht, weil wir kein Verbot von hohen Geschwindigkeiten auf der Schiene verlangen. Gerade bei Verspätungen ist es sehr gut, wenn Züge durch höheres Tempo wieder pünktlich werden können. Stattdessen geht es um eine Harmonisierung der Geschwindigkeit auf angepeilte 120 km/h nur für heute völlig überbelastete Strecken mit Mischverkehr.
Das heißt: Auf solchen Strecken (z.B. Lüneburg–Celle) fahren alle Güter-, Regional- und Fernzüge in einem vergleichbaren Tempo. Damit erhöht sich die Durchlässigkeit enorm. Die dort langsamer fahrenden ICEs holen die Zeitverluste auf den folgenden reinen ICE-Strecken weitgehend wieder auf.
Dieses Konzept könnte bei schnellen kleinen Ausbauten die Kapazität des Gesamtnetzes innerhalb weniger Jahre verdoppeln! Im nächsten Schritt bietet sich parallel zum unvermeidlichen Rückgang des Fernstraßenverkehrs der Neubau von Bahnstrecken entlang und zum Teil auch auf Autobahntrassen an. Damit würden langfristige Genehmigungsverfahren ohne Einschränkung der Bürgerbeteiligung verkürzt werden.
Wieder aktivieren: europäische Direktverbindungen
Insbesondere mit Steigerung des Personenfernverkehrs wird die Herstellung von Direktverbindungen zwischen entfernten Regionen innerhalb und außerhalb Deutschlands sinnvoll – zum einen, weil dadurch das Bahnfahren für viele Reisenden-Gruppen wieder attraktiv wird (kein Umsteigezwang mehr für Familien, mobilitätseingeschränkte Personen und Fahrradtouristen) und zum anderen, weil dann überbelastete Knoten wie Frankfurt und Hannover großflächig umfahren werden können.
Klimabahn-Konferenz
Wie kann im Verkehrsbereich angesichts der Klimakrise möglichst schnell möglichst viel CO2 eingespart werden? Zum einen muss massiv Verkehr von der Straße auf die Schiene verlagert werden – und die Stärkung des Schienenverkehrs muss ohne CO2-intensive „Beton-Orgien“ vonstattengehen, wie sie Hochgeschwindigkeits- und Tunnelprojekte wie die Neubaustrecke Wendlingen–Ulm oder Stuttgart 21 gerne begleiten. Diese Überlegungen bilden den Rahmen für die zweitägige Konferenz „Klima-Bahn statt Beton-Bahn“, die am 14. und 15. Mai in Stuttgart stattfindet. Den Auftakt bildet am 14. Mai um 12.30 Uhr eine Kundgebung am Hauptbahnhof, ehe die eigentliche Konferenz mit Vorträgen und einer Diskussion um 14 Uhr im Gewerkschaftshaus (Willi-Bleicher-Straße 20) beginnt. Mit dabei sind unter anderem der Verkehrswissenschaftler Hermann Knoflacher aus Wien, der Klimaforscher Helge Peukert von der Uni Siegen, Kontext-Autor Winfried Wolf und der Filmemacher und Autor Klaus Gietinger, der seinen Film „Klima-Skandal Stuttgart 21“ vorstellt. Das komplette Programm samt Anmeldemöglichkeit gibt’s hier. (os)
Zum Personen-Verkehrskonzept einer Klimabahn gehört selbstverständlich die Schaffung von komfortablen, und das heißt durchgehenden internationalen Zugverbindungen. Einmal durch die Wiederherstellung des europäischen Nachtzug-Netzes mit Angeboten deutlich unter den Preisen des Luftverkehrs (unbürokratisch schnell durch eine Abflugabgabe zu erreichen). Aber auch schnelle Tagesverbindungen zwischen deutschen und europäischen Ballungsgebieten müssen statt abgebaut zu werden (Stuttgart–Zürich–Milano) wieder hergestellt werden (Dresden–Wroclaw, Nürnberg–Prag).
Im Güterverkehr heißt Klimabahn die Verwirklichung eines engmaschigen Schienengüterverkehrs, insbesondere mit Containerzügen, die im Takt auf dem deutschen zweigleisigen Kernnetz verkehren. Eine Voraussetzung für die Maximalverlagerung auf die Schiene ist langfristig die technisch mögliche Lärmreduktion der Güterzüge. Durch die neuentwickelten Schnellverlade-Systeme könnten die Container auf und von Regional-LKWs verladen werden. Straßenverkehrs-Abgaben und mit Fahrer-Löhnen auf deutschen Niveau (um der asozialen Selbstverständlichkeit des Lohn-Dumpings entgegenzuwirken) müssen dazu führen, dass der durchgehende Fern-LKW zur besonders zu begründenden Ausnahme wird.
Wissenschaftliche Evidenz statt modischer Ideologie
Grundsätzlich heißt Klimabahn: Nicht die modische Ideologie („Bahn an sich ist ökologisch“) zählt, sondern die wissenschaftlich überprüfte Evidenz. Und zwar ohne die Ausblendung von Kosten und Schäden auch durch überdimensionierte Bahnbauten und extreme Energieverschwendung durch Maximalgeschwindigkeiten. Für das Konzept der Klimabahn sind Rechenexempel völlig unakzeptabel wie dasjenige des Hamburger Verkehrssenators Anjes Tjarks im Fall des Weiterbaus der U-Bahn-Linie 5 anstelle einer Tram: Da die CO2-Emissionen bei der Herstellung von benötigtem Stahl und Beton nicht in Hamburg anfielen, bräuchte diese nicht in die CO2-Bilanz einzufließen. Diese Begründung ist geradezu obszön vor dem Hintergrund, dass für eine Studie ausgerechnet wurde, dass dieses Projekt erst nach 500 Jahren einen positiven Klimaeffekt hat – ganz im Gegensatz zu einer oberirdischen Straßenbahn. Für die Klimabahn kann nur diejenige Bilanz zählen, in die alle weltweit anfallenden Emissionen Berücksichtigung finden.
Interessant wären solche Zahlen für Stuttgart 21. Sicher gehen die in die gleiche Richtung. Wobei – S 21 dürfte sogar für immer ein Klima-Defizit sein, weil es ja um eine Bahnhofsverkleinerung geht. Und wer auch noch im Jahr 2022 ein neues Mega-CO2-Projekt wie den Pfaffensteigtunnel (wie der Bilgertunnel inzwischen genannt wird) ernsthaft betreibt, der bekennt sich zur Klimazerstörung, der sagt ein deutliches Ja zur Klimakatastrophe – und muss dann auch vor seinen Nachkommen Rede und Antwort stehen.
Hendrik Auhagen ist Mitgründer des Bündnisses „Bahn für Alle“, Mitglied beim Verkehrsclub Deutschland (VCD) und bei den Grünen.
Quelle: Kontext-Wochenzeitung