Wissing beschleunigt Klimakatastrophe
Bundesverkehrsminister Volker Wissing setzt bei der Schiene auf Neubaustrecken. Und damit auf Höchstgeschwindigkeit. Anfang 2023 drückt er auf die Tube. So bei der Neubaustrecken Hannover-Bielefeld. Was die Landwirte aus Ostwestfalen-Lippe, die am 8. Februar ihren entsprechenden Protest in Berlin vortrugen, zu spüren bekamen.
Seit Jahrzehnten trage ich bei meinen Veranstaltungen das folgende Bahn-ABC vor: 92 Prozent aller Fahrten mit der Eisenbahn finden im Nahverkehr statt – mit S-Bahn, Regionalbahn, Regionalexpress. Weniger als 10 Prozent sind Fernverkehr (ICE, IC/EC). Soweit das Verkehrsaufkommen (= Fahrten). Wenn wir von gefahrenen Kilometern (= Verkehrsleistung) ausgehen, dann entfallen immer noch 55 Prozent auf den so definierten Nahverkehr. Wenn wir schließlich nur den Fernverkehr nehmen, also ausschließlich ICE- und IC/EC-Fahrten, dann liegt die durchschnittliche Reiseweite je Fahrt bei 302,3 Kilometern (Stand: 2021). Ob ein ICE da Tempo 200 oder 300 fährt, bringt nur Zeitgewinne im Bereich von 10 Minuten. Selbst in diesem – wohlgemerkt: deutlich minoritären – Segment ist es für den Fahrgast weit wichtiger, ob der Zug pünktlich ist, ob der Anschluss am Beginn und Ende der Fahrt klappt, ob man auch ohne Reservierung einen Sitzplatz bekommt und ob es im Bordrestaurant ausnahmsweise heißen Kaffee gibt.
Aber bringt dann Hochgeschwindigkeit wenigstens auf langen Distanzen nicht doch eine Verlagerung auf die Schiene? Nein! So das Ergebnis einer Reihe von Untersuchungen aus Italien und Spanien. Und so eine neue Untersuchung zur Neubaustrecke Berlin – München. Danach entwickelte sich nach der Eröffnung der Schienen-Neubaustrecke, die ja die Fahrtzeit zwischen beiden Städten deutlich reduzierte, der Pkw-Verkehr zwischen München und Berlin „wie der Pkw-Verkehr auf der Vergleichsstrecke Frankfurt/Main – Berlin“. Es gab „einen leichten Rückgang der Fluggastzahlen“, allerdings „keine Abnahme der Anzahl der Flüge“. Die Zahl der Fahrgäste auf der Schiene nahm zu. Letzteres heißt: Es gab vor allem ein induziertes Verkehrswachstum. Also zusätzlichen Verkehr. Bilanz der Studie: „Es zeigt sich also insgesamt ein Prozess weiteren Verkehrswachstums, in dem es in der Summe zu einer deutlichen Verkehrszunahme auf der Relation Berlin – München kommt […] So verbesserte der Ausbau schneller Bahnverbindungen in Deutschland zweifelsohne die Qualität des Angebots für Fahrgäste im Fernverkehr. Ein relevanter Beitrag zum Klimaschutz ist der Ausbau aber nicht.“
Für diese Fehlinvestitionen mit Schienenverkehrs-Hochgeschwindigkeit wurden seit der Wende weit mehr als 50 Milliarden Euro ausgegeben. Dieses Geld fehlt im Nah- und Regionalverkehr – bei den 90 Prozent der Fahrgäste. Wissing hat jetzt hoch & heilig drei Dinge versprochen. Erstens: Er will exakt diese Politik fortsetzen. Zweitens: Sein Ministerium respektive die Ampel werden Beschleunigungsgesetze verabschieden, mit denen Kritik und Einwände gegen diese Fehlorientierung weitgehend ausgehebelt wird. Drittens: Auch neue Straßen sollen schneller gebaut werden. Was heißt: Überall wächst der Verkehr. Die Klimabelastung erhöht sich deutlich.
Zitierte Studie: Christian Holz-Rau, Oliver Huber und Jens Müller, Der Hochgeschwindigkeitsverkehr der Bahn als Beitrag zum Klimaschutz?, in: Straßenverkehrstechnik 7/2021; Zusammenfassung hier: https://trid.trb.org/view/2023107 Dort auch Literatur zu den Neubaustrecken in Italien und Spanien.