blog 8 / Michael Jung

Südtirol: Es geht auch ohne Hochgeschwindigkeit und Digitalisierungsgeklingel – echte Verbesserungen werden von den Menschen akzeptiert

In der Urlaubsregion gibt es ein vorbildliches System: im jeweiligen Hotelpreis ist für die Dauer des Aufenthaltes ein Ticket (Südtirol Holiday Pass) für den gesamten Südtiroler Verkehrsverbund inkludiert. Gute Hotels schicken einem das Ticket vorab zu, so dass es auch für den letzten Rest der Anreise per Bahn genutzt werden kann. Das Ticket gilt für die Bahnstrecken vom Brennerpass im Norden bis Bozen im Süden und von Mals im Westen bis nach Silian an der Grenze zu Österreich im Osten.

Das schönste Ticket nutzt nichts, wenn das Verkehrssystem nichts taugt. Aber beim Südtiroler Verkehrsverbund hat man seine Hausaufgaben gemacht. Die Bahnlinie z.B. von Franzensfeste nach Toblach ist über die Grenze durchgebunden bis nach Lienz in Osttirol. Die insgesamt 202 km lange Bahnlinie von Franzensfeste nach Maribor (heute Slowenien) wurde 1869 bis 1871 in nur zwei Jahren (!!!) in technisch durchaus anspruchsvollem Gelände gebaut. Sie startet in 747 Meter über NN und hat ihre Scheitelhöhe bei 1250 Meter in Toblach (keine Bahnlinie in Deutschland erreicht diese Höhe), um dann in Lienz auf 670 Meter über NN das Tal der Drau zu erreichen. Auf der eingleisigen, mit 3kV DV auf der italienischen und mit 15 kV 16 2/3 Hz auf der österreichischen Seite elektrifizierten Strecke wird, soweit die Strecke im Bereich des Südtiroler Verkehrsverbundes gelegen ist, Sommers wie Winters (auch bei meterhohem Schnee) ein stabiler Halbstundentakt gefahren. Dies ist nur möglich, weil alle Bahnhöfe der Strecke bei ihrer letzten Modernisierung in 2009 als Begegnungsbahnhöfe ausgebaut, die Signalisierung angepasst und weitestgehend alle schienengleichen Bahnübergänge beseitigt wurden. Die Bahnstrecke wird mit modernen fünfteiligen Niederflur Stadler Flirt Elektrotriebzügen bedient, die zusammen mit den überall 55 cm hohen Bahnsteigen und geräumigen Aufzügen an allen Bahnhöfen einen barrierefreien Zugang ermöglichen. Die Züge haben ausreichend Abstellplätze für Fahrräder und Ski. Separate Türen für Ein- und Ausstieg ermöglichen einen schnellen Fahrgastwechsel.


Die historischen Bahnhöfe wurden unter Beibehaltung der alten Bausubstanz aus der Errichtungszeit der Bahnstrecke sinnvoll modernisiert. Sie haben alle beheizte Wartesäle mit Toiletten, Skidepots und Fahrradständer, die größeren Bahnhöfe auch personenbesetzte Verkaufsschalter. Die Bushaltestellen liegen direkt vor den Bahnhofsgebäuden. Für die Sauberkeit auf den Bahnhöfen sind die jeweiligen Kommunen zuständig, die im Interesse der Tourismusförderung dann dafür auch etwas tun. Denn der Bahnhof ist das Eintrittstor zum Ferienort. Busse, deren Fahrpläne auf die Züge abgestellt sind, übernehmen die Feinverteilung. Die Busse wie auch die Züge sind mit einem modernen Check-in / Be-out System ausgestattet. Es ermöglicht eine saubere Fahrgastzählung, wie auch einen schnellen Fahrgastwechsel. Allerdings ist für Einzelfahrt in den Bussen auch ein Barkauf von Tickets möglich.

Alles in allem ein gut funktionierendes System. Nach Einführung des Halbstundentaktes auf der Bahnstrecke konnte die Zahl der Fahrgäste verdreifacht und die – zwar noch immer hoch belasteten – Straßen im Pustertal soweit entlastet werden, dass ein ursprünglich geplanter Autobahnbau nicht mehr erwogen wird. Damit wieder durchgängige Fernzüge in dieses Urlaubsgebiet und Güterzüge fahren können, wird derzeit der zweigleisige Ausbau größerer Streckenabschnitte geplant.

Fazit: Angebotsverbesserungen, leichter barrierefreier Zugang und Flatrate Tickets sind die Erfolgsfaktoren in diesem System. Warum tut man sich in Deutschland damit so schwer?

Über Michael Jung

Jahrgang 1950, Dipl.-Volksw., arbeitete zuerst in einem Großkonzern der Mineralölwirtschaft und dann 28 Jahre bei einer deutschen Großbank, davon 10 Jahre lang im Bereich Finanzierung von Eisenbahn- und Nahverkehrsprojekten weltweit. Seit 8 Jahren ist er Sprecher der Bürgerinitiative Prellbock-Altona e.V., die sich für den Erhalt und Modernisierung des Fern- und Regionalbahnhofs Altona am jetzigen Standort einsetzt.

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