Warum schon ein einmaliges Umsteigen einem eine Bahnfahrt verleiden kann
Eigentlich keine Herausforderung: eine Bahnfahrt von Berlin Hbf nach Lüneburg am Samstag, den 25.2.2023. Bis 2019 gab es eine umsteigefreie Verbindung von Berlin über Stendal, Salzwedel, Uelzen, Lüneburg nach Hamburg, die von der Zugkategorie IRE (InterRegioExpress) von der DB auf eigenwirtschaftlicher Basis angeboten wurde. Die Verbindung wurde eingestellt, um auf der nach wie vor eingleisigen Strecke Uelzen – Salzwedel mehr Trassen für den in diesem Fall profitableren Güterverkehr freizubekommen.
Also bleibt nichts anderes übrig, als die Verbindung mit Umsteigen in Büchen zu nutzen, die 20 Minuten schneller und preisgünstiger ist als die Verbindung über Hamburg Hauptbahnhof. Die Verbindung mit Halt in Büchen wird alle zwei Stunden vorwiegend von den Eurocities nach/von Prag und Budapest bedient. In Tagesrandlagen hält sogar mal ein ICE dort. Die Weiterfahrt nach Lüneburg erfolgt dann mit dem RB 83 von Lübeck nach Lüneburg über Lauenburg/Elbe. Eigentlich eine normale Nahverkehrsnutzung in Ergänzung zum Fernverkehr.
Aber die Aufregung der Fahrt beginnt schon in Berlin, als zwei Stunden vor Abfahrt eine Mail der DB einen informiert, dass der Zug in Berlin Hbf. eine Abfahrtsverspätung von 13 Minuten habe. Angesichts einer ursprünglich mit 20 Minuten reichlich bemessenen Umsteigezeit in Büchen sollte die Verbindung noch klappen. Der Zug aus Budapest (EC 252) kommt dann mit 10 Minuten Verspätung in Berlin Hbf. an, wobei die DB-Ansage süffisant bemerkte „wegen verspäteter Zugübergabe aus dem Ausland“. Aber der Zug ist bis Berlin schon mehr als zweieinhalb Stunden auf dem deutschen Streckennetz unterwegs, da hätte man die Verspätung sicher reinholen können. Üblicherweise lässt die DB alle Fernverkehrszüge aus Süden in Berlin Hbf 10 Minuten stehen, um Verspätungen abzupuffern, aber bei diesem Zug ist das nicht eingeplant, obwohl er mit einer Laufstrecke von mehr als 1200 km und vier Grenzübergängen ein typischer verspätungsanfälliger Langläufer ist. Es ist aber ein Zug der MAV (Ungarn), und dem gönnt man eine Verschnaufpause nicht. Es ist ein moderner Wagen und ein echter Speisewagen, in dem noch gekocht und gebraten wird und alles zu sehr manierlichen Preisen auf den Tisch kommt.
Der Lokführer tut sein Bestes und schafft es, die Verspätung bis Büchen auf 8 Minuten zu reduzieren. Der Bahnhof Büchen ist zugig und unwirtlich wie bekannt. Bahnsteigüberdachungen ein Fremdwort. Ein typischer Sparbahnhof á la DB. Die Gleisnummerierung wie bei der DB gewohnt wirr. Es gibt die Gleise 1, 4, 40, 41 und 140. Wie soll das ein Unkundiger kapieren. Der Bahnhof selber ein eigenartig konstruierter Keilbahnhof. In Fahrtrichtung Lübeck und Kiel Bahnsteigzugang nur ebenerdig mit Schranke. Der Zug in Gegenrichtung wartet noch. Es ploppen die Mails auf dem Handy auf: Der Zug „(RB83) nach Lüneburg verspätet sich um 9 Minuten“. Abfahrt geplant 21.07. Info um 21.23, die „Ankunft von RB 83 in Lüneburg verspätet sich um 11 Minuten“. Keine drei Minuten später um 21.36 die Info: „Abfahrt von RB 83 in Büchen verspätet sich um 40 Minuten“. Es verdichtet sich die Vermutung unter den Wartenden, dass der Zug einfach ausfällt, wie häufiger auf der Strecke, nachdem der Betrieb beim letzten Fahrplanwechsel von der DB-Schleswig-Holstein auf die Gesellschaft Erixx-Schleswig-Holstein überging, die mit den alten DB-Fahrzeugen weiterfährt und erhebliche Personal- und Performance-Probleme bei der Übernahme des Dieselnetzes Ost-Holstein hatte.
Die Reisenden warten auf dem zugigen Bahnsteig oder in einem ungeheizten Glaskäfig, den die DB `großzügiger´ Weise dem Bahnhof spendiert hat. Dann um 21.25 die Ansage: „der Zug fährt jetzt auf Gleis 140 ein“. Die Reisenden stürmen auf den Bahnsteig, aber kein Zug ist in Sicht. Man kehrt in den Glaskäfig zurück. Dann kommt um 21.30 Mail Nummer vier: „Verspätung um 25 Minuten“. Und plötzlich taucht wie deus ex machina um 21.29 ein Zug (DB BR 642, außen völlig verdreckt, im Inneren geht jede zweite Lampe nicht) auf. Dann um 21.32 die Mail: „Ihre Ankunft mit erx RB83 in Lüneburg verspätet sich um 22 Minuten“. Der Lokführer des Dieseltriebwagens gibt mächtig Gas, der Zug schaukelt über die z.T. schlecht gewartete Strecke und erreicht Lüneburg statt fahrplanmäßig um 21.30 nun um 21.48, obwohl er schon um 21.45 von dort hätte die Fahrt in umgekehrter Richtung hätte antreten müssen. Die Ansage im DB-Neusprech: „Die Abfahrt verzögert sich wegen Verspätung aus vorangegangener Fahrt“.
Fazit: Am Ende der Tage liegt die Verspätung mit rund 15 Minuten noch im Bereich des Üblichen, aber das dauernde Informationschaos und die Aussicht, weitere 40 Minuten auf einem zugigen Bahnsteig ohne beheizte Aufenthaltsmöglichkeit warten zu müssen, verschreckt jeden Bahnreisenden, der nicht durch jahrelange DB Zumutungen abgehärtet ist. Oder anders herum, wenn die Performance der Nebenstrecken-Anschlussverbindungen nicht dramatisch besser wird, kann die Bahn keinen signifikanten Beitrag zur Änderung des Verkehrsverhaltens der Bürger und zur Bekämpfung des Klimawandels leisten können.
Lieber Michael Jung, Vorsicht mit dem Dämonisieren des Umsteigens. Umsteigen gehört zu jedem guten ÖV-system, weil es ein so dichtes Netz gubt, dass man für viele Relationen zwischen mehreren Verindungen auswählen kann. Nicht umsonst sind die weltweit besten ÖV-systeme in Japan und in der Schweiz gleichzeitig systeme mit besonders vielen Umstiegen. Nicht das Umsteigen an sich ist das Problem, sondern die miserable Umsteigequalität durch weite Wege zwischen den Haltestellen, lange Wartezeiten durch unabgestimmte Fahrpläne und gringe Taktdichten, unabgestimmte Tarifsysteme, fehlende Niederflurfahrzeuge und deswegen viel Treppensteigen. Deswegen sollten wir eben ITF-Systeme mit optimierten Umsteigebedingungen fordern. Und eine ausreihende Differenzierung zwischen Dorfbus, Ortsbus, Stadtbus, Regionalbus, Plusbus, S-Bahn. Regionalbahn, Regeionalexpress, Interregio und IC/EC/ICE. Alle diese Teilsysteme müssen räumlich und zeitlich gut zusammen passen und mit einem einheitlichen Tarifsystem und Fahrplansystem nutzbar sein.
Also bitte: Umsteigen gehört dazu und muss wie am Schnürchen klappen. In Deutschland wird das Umseigstehma immer zur Killerphrase als Ausrede für maximalen Autoverkehr genutzt In der Schweiz wird für perfektes Umsteigen gesorgt.
Ärgerlich ist also nur unnötiges Umsteigen und Umsteigen mit miserabler Umstiegsqualität.