DIE RACHE DER 23er – UND EIN HAPPY END
Die Dampflok der BR 23, die letzte gebaute der DB, mochte ich nicht. Wenn ich eine sah, ertönten Komplimente wie „Wasserreißer, Kohlefresser…“ und „kein Vergleich mit der P 8!“ Der Einsatz der P 8 war 1975 unwiderruflich vorbei, und selbst das Ende der 23 stand bevor. Heidelberg, wo ich im Frühjahr 1975 meine Meisterprüfung absolvierte, erreichte sie noch mit einem N-Zugpaar aus Osterburken.
Für die mündliche Meisterprüfung, zum Abschluss der theoretischen, war ich am 11. März 1975 um 14.30 eingeteilt. Die theoretischen, nicht fachlichen Fächer (Arbeitsrecht, Jugendschutz, Hygienevorschriften, etc…) liefen schon nicht gut, ich konnte daher nur durch die mündliche Prüfung eine gute Note erreichen. Gegen die Nervosität half nur eine „Ablenkung“ durch Führerstandsmitfahrten, streckenweise auf einer Dampflok, auch wenn es „nur“ eine 23er war.
Mein Freund Reinhard Dobler, zu dieser Zeit MA-Vorstand in Ulm, ermöglichte mir dies an diesem Tag: Es begann ab Aulendorf auf einer 221 (!), ab Ulm auf einer 110 und schließlich ab Eberbach auf der 023-032 vor 7342; planmäßige Ankunft in Heidelberg 14.08. Bei der Abfahrt in Neckarelz hatte die Lok mit dem linken Zylinder Probleme, die immer schlimmer wurden; die Verspätung wurde immer größer, und der Lokführer zweifelte, ob man überhaupt noch ans Ziel kommt oder in Neckargemünd vom nachfolgenden E Hof-Kaiserslautern überholt wird? Der Zug kam schließlich in Heidelberg um 14.26 an.
Um den Ausschluss wegen Nichterscheinens nicht zu riskieren, fuhr ich, ohne mich umzuziehen, direkt mit dem Taxi zur IHK. Dort kam mir ein Prüfling entgegen, der völlig fertig war, weil er die theoretische Prüfung nicht bestanden hatte. Und ich wurde schon 2 x aufgerufen. Der Vorsitzende des Prüfungskomitee meinte lautstark: „Sie sehen ja aus, wie wenn Sie von einer Dampflok kämen“ – „Ja, da komm ich gerade her“ – „Machen Sie Witze?“ – „Nein die Dampflok hatte Probleme“… Die Prüfungsmeister, alles hoch geachtete, nicht nur in Deutschland bekannte Meister ihres Faches (u.a. auch Bekannte meiner Eltern), waren sprachlos; mit so einer Situation waren sie anscheinend noch nie konfrontiert. Dies nützte ich aus, um die 23er als den „Sündenbock“ für diese unangenehme Situation an den Pranger zu stellen, wohlwissend, dass sie mit der 23 und anderen verschiedenen Lokomotiven nicht viel anfangen konnten. Dadurch gewann ich wertvolle Zeit, sodass zum Abfragen meiner Schwachpunkte (Diätküche, Arbeitsrecht, Jugendschutz) nicht viel Zeit blieb und ich als Tagesbester mit dem theoretischen Teil der Meisterprüfung, vor der ich mich am meisten fürchtete, sogar mit 1,9 abschloss.
So entspannte ich mich auf der Heimfahrt im Kurswagen Norddeich-Friedrichshafen des D 715 und sah der praktischen Prüfung einige Tage später gelassen entgegen.