Von Andreas Müller (Stuttgarter Zeitung, Innenstadtausgabe vom 29.6.23)
Überlingen zeigt eine Schau um die Stuttgart-21-Skulptur des Bildhauers – doch manchen Lokalpolitikern ist seine Kritik am Bahnprojekt zu politisch.
Stuttgart. In Überlingen am Bodensee gilt Peter Lenk als verlässlicher Publikumsmagnet. Tausende von Besuchern zählte die städtische Galerie bei den beiden bisherigen Ausstellungen des Bildhauers und Provokateurs aus dem Nachbarort Bodman-Ludwigshafen, in den Jahren 2003 und 2017.
Derzeit läuft die dritte Schau des inzwischen 76-Jährigen, wieder auf Initiative des Kulturamts, und wieder ist der Andrang groß. Man müsse „hoch anerkennen, dass die Überlinger das jetzt gemacht haben“, lobte Lenk in einem TV-Interview, aber es sei wohl das letzte Mal: „So was wird nicht noch mal genehmigt.“
Tatsächlich scheint die von einem SPD-Oberbürgermeister regierte Stadt inzwischen etwas Angst
vor der eigenen Courage bekommen zu haben. Seit der Eröffnung der noch bis Oktober dauernden
Ausstellung betont sie immer wieder, es gehe um Kunst und nicht um Politik. Bereits gedruckte Plakate und Handzettel wurden – weil angeblich zu politisch – zurückgezogen und durch ent-
schärfte ersetzt. Lokale Politgrößen vermeiden es derweil tunlich, die Botschaften von Lenk zu kommentieren.
„Das Trojanische Pferd“ heißt die vom Künstler selbst kuratierte Ausstellung. Gemeint ist das Pro-
jekt Stuttgart 21, das er früh als „brandgefährliches Geschenk“ der Bahn an die Landeshauptstadt erkannte. Im Mittelpunkt steht daher jene Großskulptur, die schon 2020 in Stuttgart Furore mach-
te : der „Schwäbische Laokoon“, jenes fast zehn Meter hohe Figurenensemble, in dem Winfried Kretschmann mit einer Schlange in Gestalt eines ICE-Zugs ringt, umgeben von diversen Akteuren
aus Politik und Wirtschaft. Nach der temporären Aufstellung vor dem Stadtpalais hatte sich in
Stuttgart kein dauerhafter Platz gefunden , nun steht das Werk in Lenks Garten am Bodensee. In
Überlingen werden großformatige Entwürfe und originale Figurenmodelle gezeigt, dazu andere,
noch unbekannte jüngere Werke des Bildhauers.
Integraler Bestandteil der Schau ist für ihn der Film des Regisseurs Klaus Gietinger („Daheim ster-
ben die Leut“) über Stuttgart 21. Auch der heißt „Das Trojanische Pferd“ – weil es in Wahrheit um ein Immobilienprojekt gehe – und handelt von fortgesetzten Täuschungen, Fehlplanungen, Kostensteigerungen und vielen anderen Kritikpunkten. Die filmische Abrechnung mit dem Tiefbahnhof
läuft ständig parallel zur Ausstellung. Auch zum Auftakt wurde sie gezeigt, zum Missvergnügen
des langjährigen Bodenseekreis-Landrats Lothar Wölfle (CDU), wie der „Südkurier“ andeutete:
„Kein Kommentar“ habe der nur geknurrt.
Auch auf Plakaten und Handzetteln wurde „S 21“ als Thema der Ausstellung zunächst klar be-
nannt – rot auf weiß, angelehnt an das Bahn-Design. Doch plötzlich verschwanden die bereits ein-
gesetzten Werbemittel, auf den neuen fehlte das Signet, an seiner Stelle prangte nun Freiraum – zur Verwunderung mancher aufmerksamer Überlinger. OB Jan Zeitler, wurde gewispert, habe per-
sönlich interveniert.
Die Initiative für die Änderung „ging von der Stadt aus“, bestätigt eine Rathaus-Sprecherin, ohne konkreter zu werden. In Absprache mit dem Künstler habe man sich „darauf geeinigt, einen neutralen Ausstellungstitel zu wählen“. Begründung: Es handele sich „um eine Kunstausstellung, nicht um eine politische Veranstaltung“ – was bei Lenk freilich nie klar zu trennen ist. Ursprünglich wollte der Bildhauer auch ein Kretschmann-Zitat zur S-21-Volksabstimmung auf dem Plakat unterbringen: In der Demokratie entscheide nicht die Wahrheit, sondern die Mehrheit. Doch das sei von
Anfang an nicht durchsetzbar gewesen. Dem Erfolg der Ausstellung scheint das Gerangel derweil nicht zu schaden: Bisher kamen nach Angaben der Stadt bereits 6000 Besucher, bis zum 8. Oktober würden insgesamt 15000 erwartet.
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