05.07.2023 Pressemitteilung „Bürgerbahn – Denkfabrik für eine starke Schiene“
Die Forderung der Monopolkommission an die Bundesregierung nach einer Entflechtung der Infrastruktursparte der Deutschen Bahn AG (DB) wird vom Bündnis „Bürgerbahn – Denkfabrik für eine starke Schiene“, einem Netzwerk von Bahnexpertinnen und -experten, unterstützt. Diese Unterstützung ist allerdings mit weitergehenden Forderungen nach einer Bahnreform 2.0 verbunden.
Ausdrücklich unterstützt wird die Forderung nach einer Gemeinwohlorientierung der Infrastruktursparte der Bahn, die derzeit aus DB Netz, DB Stationen und Service, DB Energie und DB Kommunikation besteht. In der Vergangenheit haben die Praktiken der alten DB-Infrastruktursparte viele Fehlentwicklungen der Bahn herbeigeführt, die dringend abgestellt werden müssen, damit die Bahn in Zukunft ihre klimapolitisch herausragende Rolle angemessen wahrnehmen kann.
Begriff „Zerschlagung“ der Bahn ist unangemessen, es geht um „Ertüchtigung“
Bürgerbahn-Denkfabrik kritisiert den falschen Begriff „Zerschlagung“ der Bahn. Aus Sicht von Bürgerbahn ist die Entflechtung und die Rückgabe der Infrastruktursparte in eine gemeinwohlorientierte und vom Bund als Eigentümer verantwortlich gelenkte, eigene Infrastrukturgesellschaft keine Zerschlagung. Es ist vielmehr der Aufbau einer neuen Bahnstruktur, die die Infrastruktursparte befähigt, die klimapolitisch dringenden Hausaufgaben eine nachhaltigen Bahnpolitik abzuarbeiten. Dazu gehören der schnelle Netzausbau im ganzen Land, die Sicherstellung der angemessenen Kundennähe im Personen- und Güterverkehr durch viele neue Personen- und Güterbahnhöfe und die Beendigung der bisher vielfachen Streckenstilllegungen, Gütergleisabhängungen, Güterbahnhofsschließungen und Netzeinschränkungen. Stattdessen muss die neu aufzustellende Infrastruktursparte – statt der vielen Immobilienspekulationprojekte und das Netz auf wenige Korridore monopolisierenden Neu- und Ausbauprojekte weniger Hochgeschwindigkeitsstrecken – endlich wieder die Bahninfrastruktur zur Basis einer durchgreifenden Verkehrswende weg vom massenhaften Autoverkehr und dem damit einhergehenden bevorzugten Straßennetzausbau hin zu einem schnellstmöglichen Ausbau einer das ganze Land dezentral erschließenden Flächenbahn machen. Also nicht „Zerschlagung“, sondern „Ertüchtigung“ wäre das richtige Motto für diese Stufe einer durchgreifenden Bahnreform.
Generalsanierung anders angehen
Dazu gehört, dass die angedachte sog. „Generalsanierung“ mit lang andauernder und weitreichender Sperrung wichtiger Hauptkorridore vom Bund und seiner neuen Infrastrukturgesellschaft gestoppt wird. Stattdessen muss ein kundenfreundliches Sanierungsprogramm aufgelegt werden, das überwiegend ‚unter rollendem Rad‘ durchgeführt wird und weitgehend ohne die genannten Sperrungen auskommt. Gut funktionierende Infrastrukturbestandteile sollten bis zu Ende ihrer Lebensdauer genutzt werden. Das Sanierungsprogramm sollte sich nicht auf wenige Hauptkorridore beschränken, sondern das ganze Netz in Angriff nehmen und die bestehenden Mängel bestandsschonend und minimal invasiv beseitigen.
Gemeinwohlorientierung praktisch verankern
Das gravierendste Problem der bisherigen Bahnpolitik war die einseitige Fixierung auf Gewinnmaximierung und die viel zu enge Sicht auf die sog. „Wirtschaftlichkeit“. Im Straßenbau hat dieses Kriterium bislang nie Anwendung gefunden, weil dieser ganz anders von Bund, Ländern, Kreisen und Gemeinden finanziert und reguliert wurde. Gemeinwohlorientierung bedeutet in diesem Zusammenhang ein Ausbau dezentraler regionaler und demokratischer Mitbestimmungsrechte. Die Bahnpolitik darf nicht auf die Mitwirkung des Bundesparlaments und des Bundesministeriums für Digitales und Verkehr (BMDV) reduziert werden. Auch die von Bahnfragen direkt und indirekt betroffenen Gebietskörperschaften und Kundenvertretungen im Personen- und Güterverkehr sowie die in der Klimapolitik immer wichtigeren Umweltverbände müssen über die Zukunft des Netzes und seiner stationären Anlagen mitbestimmen können. Anstelle vielfacher, trickreicher Gewinnmaximierungsroutinen der bisherigen Infrastrukursparten, die immer wieder zu massiven Fehlallokationen fiskalischer und planerischer Ressourcen geführt haben (allen voran Projekte wie Stuttgart 21 oder Zweite S-Bahn-Stammstecke in München), müssen die gemeinwohlorientierten Geschäftspraktiken der neuen Infrastruktursparte die erforderliche Infrastukturausstattung für eine Verkehrswende sicherstellen. Einseitige Rationalisierungs- und Wirtschaftlichkeitszwänge müssen beendet werden, um wirklich wieder eine dezentrale und verkehrswendetaugliche Bürgerbahn zu ermöglichen.
Infrastruktur und Betrieb regionalisieren
Es war ein grundlegender Webfehler der ersten Bahnreform, dass nur der Schienenpersonennahverkehr (SPNV) regionalisiert wurde. Im SPNV hat die Bahnreform erfreuliche Angebotsverbesserungen ermöglicht, denen aber der Infrastrukturausbau nur unzureichend gefolgt ist. Das Ergebnis solcher falschen Orientierungen ohne Gemeinwohlauftrag sind die vielen Elektrifizierungslücken, eingleisigen oder sogar stillgelegten Strecken, abgebauten Weichen und wegrationalisierten Stellwerke – allesamt Ergebnisse einer verfehlten Rationalisierungs- und Rückzugspolitik. Diese Mängel behindern massiv die dringend erforderliche Verkehrswende, zuvorderst im Güterverkehr, der leider vielfach bei den Verkehrswendedebatten ausgespart bleibt. Bei der Güterbahn ist eine analog zur SPNV angelegte Regionalisierung dringend erforderlich, um sie auch für die vielen regionalen Verkehrsaufgaben zu ertüchtigen und die dafür erforderlichen Infrastrukturausbauten (Netz, Güterbahnhöfe, kleine, dezentrale kombinierte Ladungsverkehranlagen) zu forcieren.
Bund als Aufgabenträger eines dezentralen Fernverkehrs
Und auch der Personenfernverkehr muss im Zuge einer weiteren Bahnreform neu aufgestellt werden, damit die Netzanforderungen für eine massive Erweiterung der SPFV-Angebote im Rahmen des Deutschlandtaktes infrastrukturell bewältigt werden können. Für eine Verkehrswende ist – ausgehend von den großen Erfolgen des InterRegio (IR) und vergleichbarer Angebote in den Nachbarländern – eine Renaissance von IR-Verkehren erforderlich, die vom Bund als Aufgabenträger und Besteller auch angemessen dort unterstützt wird, wo sie nicht eigenwirtschaftlich gefahren werden kann. Dafür müssen zum einen die Infrastruktur dringend ertüchtigt werden und zum anderen die Verteilung der vom Bund verantworteten Netzinvestitionen dezentraler und weniger auf die wenigen Magistralen erfolgen. Die Bahn braucht ein dezentrales Flächenbahnnetz, das überall (!) die klimapolitisch dringend notwendige Minimierung des Kfz-Verkehrs ermöglicht. Voraussetzung für einen angemessenen Infrastrukturausbau ist ein bundesweiter Gesamtverkehrsplan, der die bisherige Dominanz der Fernstraßenprojekte beendet und der der neuen Infrastruktursparte die nötigen Finanzen und Personalressourcen für schnelle Planung und Umsetzung der notwendigen Neu- und Ausbauprojekte bereitstellt.
Fazit: Es wird Zeit für eine neue Bahnreform 2.0
Vor dem Hintergrund dieser Herausforderungen fordert Bürgerbahn die schnelle Vorbereitung einer neuen Bahnreform, die sich nicht nur in wenigen organisatorisch-formalen Weichenstellungen erschöpft, sondern die die klimapolitischen Herausforderungen als Maßstab für eine expansive Infrastukturpolitik und -finanzierung nimmt. Diese Bahnreform sollte vor allem auch die Länder, Regionen und Städte und Gemeinden sowie die fachlich versierten Kundenvertretungen im Personen- wie im Güterverkehr angemessen beteiligen und ihnen eine aktive Mitwirkung an der künftigen Infrastrukturpolitik nicht nur bei den einzelnen Projekten, sondern vor allem auch bei der Konzeptentwicklung und Priorisierung ermöglichen.
Bürgerbahn-Denkfabrik für eine starke Schiene
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