Fahrt mit dem ICE 1575 – Überreste des Interregio-Netzes existieren noch
Der ICE 1575 nutzt die Fahrplantrasse der ehemaligen Interregio-Verbindung von Flensburg bis Konstanz, leider an beiden Fahrtenden eingekürzt. Der Streckenast Flensburg – Hamburg und der Ast Karlsruhe – Konstanz über die Schwarzwaldbahn wurden gekappt. Als Fahrzeugmaterial wird ein siebenteiliger IC-T eingesetzt, der aber leider nicht mehr bogenschnell fährt. Daher ist die Fahrzeit zum Teil deutlich länger als zum Beginn der Umstellung vom lokbespannten Waggonzug auf die ICE-Garnituren, und durch die Einfügung zusätzlicher Haltepunkte auch länger als zu Interregio-Zeiten.
Ich nutze den Zug auf der Strecke von Hamburg-Altona nach Heidelberg. Der Zug mit Abfahrt um 6:07 Uhr steht eine Viertelstunde vor Abfahrt am Kopfbahnhof Altona bereit. Bequemes Einsteigen und Sitzplatzsuche. Hier das erste Problem: die Sitzplatzreservierung wird erst nach Abfahrt des Zuges aufgeschaltet, sodass ein vermeintlich freier Sitzplatz dann doch besetzt ist, und in einigen Waggons funktioniert die Sitzplatzanzeige nicht. Erst auf Nachfrage beim Schaffner wird der Defekt der Anlage bestätigt, und er kann auf seinem Smartphone sehen, welche Plätze reserviert sind oder nicht. Ein proaktiver Hinweis wäre gut gewesen.
Was auch gegenüber früheren Zeiten fehlt, ist das Faltblatt „Ihr Zugbegleiter“. Es wurde wegrationalisiert, mit ihm aber auch die Informationen für die Reisenden. So konnte man sich schon zu Fahrbeginn darüber informieren, wo der Zug hält, welchen Laufweg er hat, an welchen Stationen welche Anschlüsse erreicht werden und über diese Informationen Gedanken für neue Reiseabenteuer spinnen. Jetzt gibt es schlicht überhaupt keine Infos mehr, denn die mittlerweile auch schon 20 Jahre alten IC-T-Züge haben noch keine der in den heutigen ICE-4-Zügen üblichen elektronischen Displays, die alles Mögliche anzeigen, aber meistens nicht das, wo nach man sucht.
Störend sind auch die zum Teil sinnentleerten Ansagen, wenn an der Station Hamburg Dammtor, keine 10 Minuten Fahrtzeit hinter Altona, den Aussteigern für die Fahrt mit dem ICE gedankt wird. Wer nimmt für diese Strecke den ICE, es sei denn der Schwarzfahrer, denn sofort nach dem Einstieg gibt es keine Fahrkartenkontrolle, diese beginnt erst hinter Harburg. Gleichermaßen absurd – aber von der Ortsunkenntnis des Zugbegleitpersonals zeugend – sind Ansagen beim Halt in Lüneburg, die auf den RE Richtung Winsen/Luhe und Harburg verweisen, kommt doch der Zug gerade aus Harburg – und wer fährt einen Umweg über Lüneburg, um von Harburg nach Winsen/Luhe zu kommen?
Unverständlich auch der Halt in Bad Bevensen, wo gerade einmal zwei Personen einsteigen. Dieser Halt sieht eher nach einem politischen Zugeständnis an die Region aus, dass hier auch ein Fernzug hält. Bloß einer am Tag tut es nicht: Wenn man die Region wirklich erschließen will, dann muss ein mindestens zweistündlicher Systemhalt her.
Als nächstes wird auch in der 2. Klasse Kaffee zum Verkauf gereicht. Ein Service, der auf den meisten ICE-Zügen ärgerlicherweise eingestellt wurde. So darf man zum Beispiel in einem langen ICE 4 sich durch acht Waggons hindurchquälen, um sich einen Kaffee zu besorgen. Angesichts langer Wege nimmt man davon Abstand, und die Bordgastronomie muss sich über geringe Umsätze nicht wundern. Aber vielleicht diente der Kaffeeverkauf nur dazu, die Fahrgäste zu beruhigen, denn gleich zu Beginn der Reise wurde angesagt: Im Bordbistro steht aus technischen Gründen heute nur „ein sehr, sehr eingeschränktes Angebot zur Verfügung“.
Die Strecke Hamburg bis Heidelberg ist sicher eine landschaftlich schöne Strecke, aber immer häufiger wird der Ausblick durch sechs Meter hohe Lärmschutzwände verstellt, die über Kilometer mit schlicht hässlichen Graffitis verziert sind. Es scheint fast so, als wolle die DB mit dem Aufstellen der Lärmschutzwände eine Förderung der Graffiti-Kunst und der Streetgangs, die mit ihren Tags ihre Claims markieren, betreiben. Bloß darf man sich dann nicht wundern, wenn über Nacht nicht nur Lärmschutzwände, sondern auch Züge „verziert“ werden! Zudem scheint das Aufstellen der Lärmschutzwände keinem durchdachten Konzept einer Lärmsanierung einer Strecke zu folgen, sondern nur der stumpfsinnigen Befolgung irgendwelcher DB-Bauvorschriften. Eine Verschiebung der Gleislage erfordert das Aufstellen von Lärmschutzwänden, sodass einzelne, zum Teil weit entfernt liegende Häuser angeblich einen Lärmschutz bekommen, andere dicht an der Bahntrasse liegende Häuser und Siedlungen aber nicht, denn sie liegen an einer nicht von Baumaßnahmen betroffenen Bestandsstrecke.
Fazit: Eine Bahnfahrt führt einem täglich die Defizite des Konzerns DB vor Augen, aber 600 km Bahnfahren ist allemal entspannter und befriedigender als 600 km auf das Betonband einer Autobahn bzw. auf einen Verkehrsstau zu starren.