Der Schweizer Ex-Bahnchef Bendikt Weibel blickt auf die DB Krise
In der Ausgabe 127 vom August 2023 der Zeitschrift GRV- Nachrichten (GRV= Gesellschaft für Rationale Verkehrspolitik“) ist ein sehr lesenswerter Beitrag des früheren Chefs der SBB, Dr. Bendikt Weibel, erschienen, der eine schonungslose Abrechnung mit der deutschen Bahnpolitik und -Strategie enthält.
Ich habe Dr. Weibel mehrfach persönlich bei Veranstatlungen des VCS (=Verkehrsclub Scheiz) und bei Fernsehsendungen zusammen mit Franz Alt erlebt. Er war ungewöhnlich offen, gesprächsbereit und leidenschaftlich bahnaffin. Als Bahnchef war er beim Schweizer Volk wegen seiner Bürgernähe und Leidenschaft für die Bahn sehr beliebt. Er hat mit diesen Eigenschaften maßgeblich zur berühmten Bahnkultur der Schweizer Bahnen (also auch einschließlich der kooperierenden kantonalen und kommunalen Bahnen) beigetragen.
Kritik an der Personalpolitk der DB
Weibels Kritik an der DB beginnt mit dem Rückblick auf die unsägliche Betriebsstörung des Mainzer Stellwerks, die mehrere Wochen den Bahnverkehr im Rheinland massiv beeinträchtigt hat. Der Hauptgrund war seinerzeit der Personalmangel, der bei einer auf Kante genähten, rationalisierungsetriebenen Bahnpolitik mutwillig herbeigeführt wurde.
Kritik an bahnfremden Bahnchefs
Für Weibel ist das als Problem symptomatisch für die völlig verfehlte Unternehmenskultur der DB, die seit der Bahnreform mehrfach von völlig bahnfremenden und falsch programmierten Bahnchefs runtergewirtschaftet wurde. Sie waren fixiert auf die unsäglichen Börsengangsroßkuren und damit verbundenen Sparprogramme. Das hat laut Weibel bis heute andauernde Spätfolgen. Weibel kritisert die Fixierung auf die Rolle als „Global Player“ mit einer für die betrieblichen Alltagsprobleme der Bahn untauglichen „Flughöhe“, aus der die Mainzer Stellwerksprobleme völlig aus dem Fokus verschwinden.
Das war übrigens auch immer der Kern der Kritik von Bürgerbahn an den Bahnvorständen und dem DB-Aufsichtsrat.
Kritik an der unzureichenden Krisenwahrnehmung der Beteiligten
Weibel kritisiert die distanzierte Haltung des „Eigners“ der DB, also der Bundesregierung und ihrer Bundesverkehrsmnister. Die sei nicht ihrer Gestaltungsverantwortung nachgekommen und habe es versäumt, die DB mit einer Verkehrswendestrategie zu beauftragen und dafür fit zu machen. Sie habe die kontraproduktiven Engagements und Entscheidungen der DB AG nicht verhindert. Deswegen sieht Weibel die DB mittlerweile in einer Dauerkrise und die Infrastruktur als Sanierungsfall.
Branchenfremde Chefs und Ziele als zentrales Problem
Die vielen branchenfremenden und ausländischen Beteiligungen hält er für ein Problem. Weibel konstatiert ein „kollektives Versagen sämtlicher involvierter Organe: Aufsichtsrat und Vorstand der DB, Ministerium, Regierung, ja, auch des Rechnungshofes, der jahrzehntelang weggeschaut hat“.
Als wichtige Ursache für dieses Versagen identifiziert er, dass mehrere „operative Chefs der DB branchenfremd“ waren, damit meint er natürlich die Herren Dürr, Mehdorn und Grube. Zu deren unadäquaten Entscheidungen kontrastiert er das Gebaren von Insiderchefs, denn „Eisenbahner und Eisenbahnerinnen wissen bestens Bescheid über den Zustand ihrer Firma“. Aber bei der damaligen DB AG waren altegediente Eisenbahnerinnen und Eisenbahner verdächtig, hinderlich, bedenkentragend.
Mangelnde Dialogfähigkeit
Stattdessen wäre ideal gewesen, wenn „das Top Management einen systemischen und offenen Dialog mit den Mitarbeitenden im operativen Betrieb pflegt (hätte). Was bei der DB offenbar vernachlässigt wurde.“ Genau das war die permanente Kritik von Bürgerbahn am DB-Vorstand und Aufsichtsrat und den Verkehrsmnistern. Ihre mangelnde Gesprächsbereitschaft. Ihr „Lock in Syndrom“ und ihre „Ignoranz“ gegenüber Kritikern. Bei Mehdorn wurden sie sereinweise kaltgestellt, rausgeworfen und ausspinoniert.
Problem der Libearlisierung und Deregulierung
Weibel sieht als generellen Grund für die Fehlentwicklung die „Liberalisierungs- und Deregulierungswelle der 1990er Jahre“ und dass „der Börsengang der DB … ein dominiernedes Thema“ wurde.
„Vorstand und Aufsichtsrat dachten groß. In der Logistik und im Personenverkehr sah man sich als global Player. Damit ging nicht nur der Fokus aufs eigentliche Bahngeschäft verloren, man beschädigte auch die sprichwörtlich auf Disziplin beruhende Kultur der Eisenbahnerinnen und Eisenbahner. Vor Allem aber haben die Organe der Bahn ihre proritäre Aufgabe nicht wahrgenommen: Die Erhaltung und Erneuerung des Bestandnetzes.“
Vernachlässigung der Bahnhöfe
Weibel kritisiert die Vernachlässigung der vielen kleinen Bahnhöfe. Sie „waren ursprünglich die Kathedralen der Moderne, für viele Ortschaften ein Symbol für die Verbundenheit mit der Welt. Wenn man den beklagenswerten Zustand vieler Bahnhöfe in Deutschland sieht, kriegt man den Eindruck, dass die Führung der DB nicht verstanden hat, dass einladende Bahnhöfe nicht nur das Image von Bahn und Kommunen prägen, sondern auch kommerziell höchst interessant sind.“
Vernachlässigung der Elektrifizierung und S 21 als Sargnagel
Weibel kritisiert die unzureichende Elektrifizierung des DB Netzes. „Dass das Netz nur zu 61 % elektrifiziert ist, ist kaum zu fassen.“ Und er kritisiert S 21.:
„Geradezu grotesk ist Stuttgart 21. Ursprüglich als Immobilienprojekt gestartet, dann auf Eis gelegt, wieder reanimiert, wurde das Megaprojekt neu mit dem Passagieraufkommen von Patis nach Bratislava begründet. Wenn der neue Bahnhof…in Betrieb geht, wird er rund 10 Milliarden Euro gekostet haben. Mit dem Effekt, dass man aus dem südlichen Neckartal und der Schweiz nicht mehr in den Hauptbahnhof fahren kann.“
Fehlendes Netzkonzept
Weibel beklagt das fehlende Netzentwicklungskonzept der DB AG. Dafür muss man wissen, dass das Schweizer Schienenetz dezentral organisiert ist, mit einer starken Integration der kantonalen Bahnen und nationalen Bahn. Ein reines Korridorkonzept hat das Schweizer Volk immer abgelehnt und in mehreren Volksabstimmungen die Bahnpolitik auf regionale Ausgewogenheit und eine Flächenbahn festgelegt. Daraus resultiert die hohe Akzeptanz und intensive Nutzung der Bahnen in der Schweiz.
Fehlende Klimaorientierung
Weibel beklagt die unzureichende klimapolitische Ertüchtigung der DB AG:
„Die Situation ist fatal, weil die Bahn (DB AG) für die Erreichung der Klimaziele bis ins Jahr 2050 eine entscheidende Rolle spielt.“
Vier Folgerungen: Weibel folgert aus seiner Kritik
- Orientierung am operativen Betrieb: „ein strikter Fokus auf den operativen Betrieb – sicher, pünktlich, sauber- vom Topmanagement bis zur letzten Betriebsstelle.
- Primat für die Sanierung: „Die Sanierung und Modernisierung des bestehenden Netzes und der Bahnhöfe“. Das ist eine Absage an die deutsche Dominanz von Neubaustrecken der Hochgeschwindigkeit.
- Optimierung der Netzauslastung: „Erarbeitung eines Produktonskonzeptes, welches das bestehende Netz optimal auslastet und kurzfristige Fahrplanverbesserungen erlaubt.“ Das ist eine Absage an die weitgehende Vernachlässigung der Netzteile außerhalb der Hauptkorridore und ein Plädoyer für eine leistungssteigernde Harmonisierung der Geschwindigkeiten und eine optimale Nutzung des ganzen Netzes einschließlich der vielen Reaktivierungsoptionen und einer Renaissance des IR und regionaler Güterbahnverkehre.
- Absage an Großprojekte: Überprüfung aller Neu- und Ausbauvorhaben und „Konzentration auf Investitionen, die rasch zu verwirklichen sind und eine große Hebelwirkung haben.“ Das meint das Ernst nehmen der vielen Kleinigkeiten und kleinen Projekte und eine Abkehr der monopolistischen Fixierung auf wenige Großprojekte.
Man könnte meinen, Bürgerbahn wäre mit seinen durchweg gleichen Forderungen bei Bendedikt Weibel in die Lehre gegangen. Und in der Tat, führende Bürgerbahner haben immer wieder ihre Inspirationen aus den Strategien und Maßnamen der Schweizer Bahnen gewonnen. Und oft mit Schweizer Bahnmanagern diskutiert. Während die „großen“ DB-Bahnchefs, allen voran Herr Mehdorn, stets diese Bezugnahmen auf die Schweiz belächelt haben, mit dem Hinweise, die Schweiz sei ja so klein und eigentlich handele es sich damit um eine Art S-Bahn.
Man kann sich nur wünschen, wir hätten in Deutschland 16 Länderbahnen mit dem Format der Schweizer kantonalen Bahnen und eine so dezentral und bürgernah und gut geerdet aufgestellte nationale Bahn wie die SBB. Und so versierte und bahnaffine Bahnchefs wie Benedikt Weibel einer war. Aber die Bundesregierung und ihre bahnfernen Verkehrsminister rekrutieren ihre Bahnchefs lieber aus der Auto- und Luftfahrtindustrie ohne Bahnerfahrung, ohne Bahnleidenschaft und mit maximaler Globalisierungs- und Rationalisierungspespektive.