Es geht auch anders
Beobachtungen zum städtischen Verkehr in drei spanischen Großstädten anlässlich einer Spanienreise im Juni 2024
Geographisch, aber auch historisch durch die Entwicklung der früher privaten Bahngesellschaften (Verstaatlichung erst 1941) bedingt, haben die meisten spanischen Großstädte einen oder zum Teil (Madrid) mehrere Kopfbahnhöfe. Diese sind auch beim Bau der neuen Hochgeschwindigkeitsstrecken in den meisten Fällen beibehalten worden. Während hierzulande die DB das Geld in wenig produktive Bahnhofsgroßprojekte versenkt, wurde in Spanien ein veritables Hochgeschwindigkeitsnetz in europäischer Normalspur (Elektrifizierung mit 25 kV, 50 Hertz Wechselstrom) aufgebaut und immer noch erweitert, während das Bestandsnetz in iberischer Breitspur von 1.668 Millimeter und 3 kV-Gleichstrom ausgeführt ist. Daneben gibt es noch ein umfangreiches Netz meterspuriger Nebenbahnen, die in den letzten 10 Jahren alle von RENFE übernommen wurden. All dies wurde trotz eines über weite Stecken anspruchsvollen gebirgigen Terrains geschafft. So hat Spanien mittlerweile das größte HGV-Netz in Europa und nach China das zweitlängste der Welt! Und Spanien erlaubt seit einigen Jahren auch fremden Bahnbetreibern wie Trenitalia und Ouigo, der Billigtochter der französischen Staatsbahn SNCF, der eigenen RENFE auf den Fernstrecken Konkurrenz zu machen. Leider gibt es für die HGV-Züge flughafenähnliche Sicherheitskontrollen. Diese wurden nach dem verheerenden Terroranschlag auf einen Vorortzug in Madrid vor rund 10 Jahren eingeführt.
Auch in den städtischen Nahverkehr wurde in den letzten 15 Jahren massiv investiert. In den vier vom Verfasser besuchten spanischen Großstädten Granada (231.000 Einwohner), Murcia (469.000 EW), Alicante (349.000 EW) und Valencia (808.000 EW) wurden in den letzten zwanzig Jahren wieder Straßenbahnen eingeführt und die Netze systematisch ausgebaut und dienen teilweise nur der Ergänzung eines umfassenden U-Bahn-Netzes (Valencia). Durch die Übernahme längerer meterspuriger Vorortbahnen verfügt Alicante heute über ein Tramnetz von 112 Kilometer Streckenlänge, welches sich nach Norden bis in die bekannten Seebäder Benidorm und Denia erstreckt, also neben der innerstädtischen Erschließungsfunktion in Alicante eine typische Überlandstraßenbahn darstellt, die nicht nur die Großstädte mit den Seebädern, sondern auch diese untereinander verbindet. Das meterspurige Straßenbahnnetz in Valencia ist mit 25 km Streckenlänger deutlich kleiner und bedient vier Linien eines 162 km langen U- und Vorortbahnnetzes. Die neuen normalspurigen Straßenbahnnetze in Granada (16km) und Murcia (18 km Streckenlänge) sind zwar deutlich kleiner, werden aber systematisch ausgebaut und verbinden die Innenstädte mit Großwohnsiedlungen in den Vororten.
Mit einer relativ konsequenten Politik der Beseitigung von Parkplätzen im Straßenraum der Alt- und Innenstädte, wobei zahlreiche Parkhäuser und Tiefgaragen gebaut wurden, wird ein gewisser Druck erzeugt, das deutlich verbesserte ÖPNV-Angebot auch zu nutzen. Dieses ist zudem preiswert. In Valencia koset eine Einzelfahrt 1,50 Euro, eine Zehner-Streifenkarte gibt es für 6 Euro. Bezahlt werden können die Tickets direkt in den Bussen in bar oder mit der Bank- oder Kreditkarte. Ein umständliches Prepaid-Kartensystem wie beim HVV in Hamburg gibt es zum Glück nicht. Begleitet wird dies durch einen für deutsche Verhältnisse außerordentlich schnellen und konsequenten Ausbau von Fahrradwegen (dazu werden Hauptverkehrsachsen zum Teil konsequent um eine Spur verschmälert). Als gutes Beispiel kann Valencia angesehen werden, wo es ein relativ vollständiges Radwegenetz mit einer auch an komplexen Kreuzungen konsequent durchgehaltenen Verkehrsführung gibt. Für deutsche Verhältnisse eher ungewohnt ist die Anlage von Radwegen mit Gegenverkehr auf einer Seite der Straße oder in der Mitte einer Allee. An manchen Kreuzungen gerät diese Gestaltung der Radwege angesichts eines steigendes Radverkehrs (auch durch Touristen) an ihre Kapazitätsgrenzen. Durch die Einrichtung von Radvorrangstraßen, besonders in Wohngebieten, wird die konsequente Ausrichtung des Verkehrs auf den Umweltverbund unterstützt. Und siehe da, die Belebung der Innenstädte lässt nicht auf sich warten – und als Nebeneffekt gibt es mehr Platz für die Außengastronomie.
Auffällig ist in den besuchten spanischen Städten das völlige Fehlen der bei uns in den größeren Städten zu einer Landplage gewordenen Leih-E-Roller(Scooter) der bekannten Vermieter Lime, Tier, Bolt, Voi, Bird, die achtlos abgestellt zur Stolperfalle für Fußgänger, ältere Menschen, aber auch Radfahrer werden können. Lediglich Scooter im Privatbesitz sind in diesen Städten erlaubt und werden auch zahlreich genutzt. Das Mietrollerverbot entlastet die Innenstädte enorm und reduziert die Konflikte mit Fußgängern und andren Verkehrsteilnehmern. Wie es die spanischen Städte geschafft haben, das Rollerverbot EU-konform umzusetzen, ist dem Verfasser nicht klargeworden. Aber Paris hat es ja vorgemacht, und bei ein bisschen Mut könnte man sicher auch in Deutschland ein mit dem EU-Recht konformes Verbot durchsetzen.
Fazit: Also liebe Städte: mehr Mut wagen beim Bau von Straßenbahnen und beim Verbot von E-Rollern. Was in Spanien funktioniert, müsste auch hier gelingen.