rail blog 319 / Joachim Holstein

Phase IV

Phase I: Die DB verkauft als Deutsche Bundesbahn, aber auch noch als Deutsche Bahn AG ihre Fahrkarten am Schalter mit Bedienung, teilweise am Automaten. Die Quote an Fehlern und Irrtümern dürfte kaum messbar gewesen sein – und wenn, dann war es kein Drama, denn Fahrkarten des Fernverkehrs galten vier Tage, bei Hin- und Rückfahrt einen Monat. Da war die Flexibilität eingebaut Ansonsten wurden sie eben umgetauscht. Zu dieser Phase gehören der legendäre Slogan »nur die Straßenbahn fährt öfter« bei der Einführung des IC-Stundentakts 1979 und die Großplakatwerbung eines knutschenden Pärchens auf einem Bahnsteig mit dem Spruch »Eigentlich wollte sie den InterCity um 10.28…11.28…12.28…nehmen«.

https://www.pro-bahn.de/disk/ic_reklame.html

Phase II: Die Deutsche Bahn AG führt Sparpreise mit Zugbindung ein und forciert den Fahrkartenkauf per Internet. »Forciert« ist hier wörtlich zu nehmen – sie erzwingt ihn geradezu durch flächendeckende Schließung von Verkaufsstellen. Damit taucht Stornieren als Problem auf. Es ist bei manchen Fahrartentypen nicht vorgesehen, und bei anderen ist es zwar möglich, aber es kostet so viel »Bearbeitungsgebühr«, dass man auf die Idee kommen könnte, sich besser zwei oder drei Supersparpreise zu kaufen, um etwas flexibel zu sein und immer noch weit billiger wegzukommen als beim Kauf einer Fahrkarte zum regulären Preis.

Allerdings gibt es auch Fälle, in denen man sich beim Hangeln durch die Buchungsmasken vertippt hat – und erst nach Bezahlung stellt man fest, dass man den falschen Tag, einen unmöglichen Anschluss, die falsche Personenzahl oder die falsche Uhrzeit erwischt hat. Pech. Volle Stornogebühr, falls überhaupt Storno zulässig ist.

Phase III: Die DB führt am 12. Dezember 2021 das »Sofortstorno« ein: Innerhalb von 12 Stunden kann man die im Internet erworbene Fahrkarte kostenfrei stornieren. Prima Sache, wenn sich am Ende des Tages herausstellt, dass man umplanen muss, oder wenn am nächsten Morgen die Firma anruft und die Reisepläne obsolet werden lässt. Und natürlich auch, wenn einem der nächtliche Vertipper erst bei Tageslicht auffällt.

Phase IV: Die DB verkürzt am 1. August 2024 die Stornozeit um 75 Prozent von 12 auf 3 Stunden. In den drei obigen Fällen würde man also auf seinem Fehlkauf sitzenbleiben. Warum diese Einschränkung? Warum dieser Rückschritt in der Kundenfreundlichkeit? Die Deutsche Bahn AG hat dafür eine verblüffende Erklärung – Es liegt an der Kundschaft selber:

Die Zahlen haben ergeben, dass die meisten Kunden innerhalb der 3 Stunden die Fahrkarten stornieren. Daher wurde auch diese Stornozeit angepasst.

Man weiß nicht, ob man lachen oder weinen soll. Lachen, weil die Vokabel »anpassen« im Werbesprech stets zum Einsatz kommt, wenn eine Verschlechterung kaschiert werden soll, und die DB sich hier grandios in die Reihe der Mogelpackungshersteller einreiht, oder weinen, weil der Kunde als Sündenbock herhalten muss, damit die DB ihr Defizit ein bisschen anpassen – Verzeihung: verringern – kann, auch wenn das bei ihren Kunden zu Frust und finanziellen Einbußen führt.

Man stelle sich mal vor, die örtliche Bäckerei würde ihre Öffnungszeit von 6 bis 18 Uhr auf 6 bis 9 Uhr verkürzen mit der Begründung »Die Zahlen haben ergeben, dass die meisten Kunden ihre Brötchen innerhalb dieser drei Stunden kaufen. Daher wurde die Öffnungszeit angepasst.«

Oder ein Restaurant öffnet nur noch an zwei Tagen pro Woche, weil die meisten Gäste am Freitag und Samstag kommen … weitere absurde Beispiele mag ich mir gar nicht ausdenken.

Aber wenn die DB um 75 Prozent kürzen möchte – könnte man dann nicht mit den Vorstandsgehältern und Boni anfangen?

Über Joachim Holstein

(*1960) arbeitete von 1996 bis 2017 als Steward in Nacht- und Autozügen der DB, war von 2006 bis zur Einstellung dieser Verkehre Betriebsrat der DB European Railservice GmbH und zuletzt Sprecher des Wirtschaftsausschusses. Mitbegründer der Initiative zur Rettung des Nachtzuges Hamburg-Paris (2008; »Wir wollen nach Paris und nicht an die Börse«) und des europäischen Netzwerks für Nachtzüge »Back on Track« (2015; https://back-on-track.eu/de/); Weiteres unter www.nachtzug-bleibt.eu

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