rail blog 325 / Aktionsbündnis gegen Stuttgart 21

Nach der AEG-NovelleWie steht’s um Stuttgart 21?


Sind die aktuellen Turbulenzen um Stuttgart21 nur ein weiterer Tropfen, von dem man wieder nicht weiß, ob er das Fass zum Überlaufen bringt? Oder stehen wir vor einer „Zeitenwende“ bei Stuttgart21, ist die Novellierung des Allgemeinen Eisenbahngesetzes AEG ein game changer? – um mal zwei trendige Begriffe aufzugreifen – wobei sich Ähnliches auch für andere umstrittene Bahn-Immobilienprojekte, wie z.B.  Hamburg Altona/Diebsteich, abzeichnet

Zu oft hat diese Bewegung das Projekt schon scheitern gesehen. Nach den Protesten der Hunderttausend nach dem brutalen Polizeieinsatz am 30.9.2010 oder nach den Kostenexplosionen, z.B. Anfang 2013. Auf der Befürworterseite dagegen waren allenfalls bei abgeschalteten Mikrophonen Zweifel am Weiterso mit dem Projekt zu hören. Das ist jetzt anders und ein deutliches Indiz, dass es wirklich ernst steht um Stuttgart21.

Es gibt auf Befürworterseite de facto keinen ernsthaften Zweifel mehr, dass der neue § 23 des AEG eine Entwidmung der Kopfbahnhofgleise ganz klar verhindert und damit die beabsichtigte Bebauung des Rosensteinareals ausschließt. Das aber ist der Super-Gau für die Befürworter, weil Kern der ganzen Nummer ja immer das Immobilienprojekt Rosensteinquartier war, während der Bahnhof halt irgendwie und irgendwohin verschwinden sollte.

Selbst Michael Theurer (FDP), Staatssekretär bei Verkehrsminister Wissing, Beauftragter der Bundesregierung für den Schienenverkehr und einer der verbissensten S21-Propagandisten kommt an dieser Konsequenz aus der AEG-Novelle nicht herum: Auf Anfrage von Michael Donth, MdB und Verkehrspolitiker der CDU aus Reutlingen, schreibt Theurer, dass sich der Bahnbetriebszweck in der Abwägung gegenüber anderen öffentlichen Belangen regelmäßig durchsetzen wird, soweit diesen nicht zumindest ein – gesetzlich – gleichwertiger Rang zugesprochen wird. Dies wäre beim Wohnungsbau tatsächlich nicht der Fall. So zitiert von Christian Milankovic in der StZ vom 20.8.24

An dieser Stelle käme normalerweise ein „Ja, aber …“, würde also das Ganze als eine Art Betriebsunfall (nicht so gemeint) dargestellt, auf jeden Fall mit dem Hinweis, dass man versuchen werde, das Gesetz nochmal zu ändern, also kurzerhand eine Art Sondergesetz („Lex Stuttgart21“) zu machen. Aber nichts dergleichen. Keine Tricks und Auswege und Ausreden, um aus der Bredouille herauszukommen! Folgerichtig ist Milankovics Beitrag auch überschrieben:

„Dem Rosensteinquartier droht ein Fiasko“

Tatsächlich wäre das „Fiasko“ ein Segen für die Stadt. Ihr würde eine weitere Aufheizung durch die Blockade der zentralen Frischluftschneise erspart, ebenso Betonorgien, Bodenversiegelung und Baustellenbetrieb bis weit in die 40er Jahre. Und v.a.: der Kopfbahnhof und auch die Gäubahnanbindung wären gerettet. Die Ergänzungsprojekte, die ja immer mit der Kapazitätsproblematik begründet werden, wären noch absurder als sie ohnehin schon sind – und vermutlich obsolet.

Aber was bedeutet das für den S21-Tiefbahnhof samt Tunnelei? Wenn der Kopfbahnhof erhalten bliebe, ist es noch lange nicht sinnvoll, S21 in Betrieb zu nehmen. Dann müssen erstmal all die alten Fragen zum Thema Brandschutz, Gleisneigung, Überflutungsrisiko, Energieverbrauch politisch oder juristisch geklärt werden. Und wenn dann rauskäme, dass allenfalls ein paar wenige Züge aus Sicherheitsgründen zugelassen werden könnten und auch die nur mit begrenzter Passagierzahl, dann fragt sich, ob es nicht bessere Nutzungen, die sogar noch was fürs Klima brächten, besser wären. Stichwort: Umstieg21.

Gut möglich, dass es die immensen Kosten waren, die mit den Ergänzungsprojekten und den ETCS-Kostenrisiken bei einem Weiterso auf Bahn und Bund zugekommen wären, die jetzt zum Griff nach der Notbremse geführt haben. Immerhin sind ja sowohl die Bahn selbst als auch der Bund in superkritischen Haushalts- bzw. Verschuldungslagen, die täglich die Schlagzeilen füllen. Kann auch sein, dass es bei dem AEG-Coup um einen Revancheakt der Berliner ging, nachdem der VG Stuttgart es abgelehnt hatte, die Stadt Stuttgart und das Land Baden-Württemberg an den 6,5 Mrd. € S21-Mehrkosten zu beteiligen – nach der Devise: dann machen wir denen in Stuttgart eben ihr Lieblingsding kaputt, das mit Bahnverkehr ja ohnehin nichts zu tun hat.

Wenn dieses Kalkül dahinterstehen würde, dann wäre es am Ende doch die Kostenfrage gewesen, die die Wende gebracht hätte. Das Elegante aus Befürwortersicht daran ist allerdings, dass es gar keinen Beschluss des Aufsichtsrats oder der Bundesregierung bedarf, das Projekt mit Verweis auf die nächste Kostensteigerung abzublasen. Es reicht der Verweis auf die Novellierung des AEG, die irgendwie von der EU kam. Ein Geschenk für alle, die ansonsten große Gesichtswahrungsprobleme bei den am Ende ohnehin unvermeidlichen Rückzugsmanövern bekommen würden.

Natürlich warnen alte S21-Bewegungs-Hasen vor Übermut. Und das zurecht, denn Totgesagte leben bekanntlich länger. Niemand sollte sich zurücklehnen und darauf vertrauen, dass es bei dem jetzigen Stand der Dinge bleibt. Alle Sargnägel müssen weiter und tiefer eingeschlagen werden. Die juristischen Fragen um Gäubahnkappung und Brandschutz bleiben auf der Tagesordnung, genauso die politischen Diskussionen um die Kapazität, um die verkehrlichen Absurditäten, um die Sicherheitsaspekte (Gleisneigung, Risiko kritische Infrastruktur) und die ökologischen bzw. klimapolitischen Aspekte (Verkehrsverlagerung auf die Straße, Betonverbrauch, Hochwasserrisiko, Überhitzungsrisiko, Artenschutz, Bodenversiegelung, Flugverkehrförderung …).

Der schnellste und direkteste Weg zum Ziel scheint jetzt jedoch die Verteidigung des §23 AEG gegen eine Verwässerung, gegen eine Lex Stuttgart21 zu sein. Beim Ringen um dieses Gesetz geht es um die Polarisierung der unterschiedlichen Interessen: Auf der einen Seite die Stuttgarter S21-Kompanie, die weitermachen will, auf der anderen Seite das Interesse von Bahn, Bund und den übrigen Bundesländern, dass nicht weiter Milliarden nach Stuttgart fließen, die andernorts zur Bahnsanierung viel dringender benötigt werden.

In diesem Sinne hat sich das Aktionsbündnis, zusammen mit dem VCD Stuttgart und der Schutzgemeinschaft Filder in einem breit angelegten

Schreiben an die Bahnpolitiker*innen in Bund und Ländern

gewandt, an dem Gesetz festzuhalten, nicht wieder den Lobbyisten aus Stuttgart auf den Leim zu gehen und alle Versuche zu unterbinden, mit nachträglichen Sonderregelungen, das „Fiasko“ zu verhindern:
https://kopfbahnhof-21.de/briefe/keine-verwaesserung-des-allgemeinen-eisenbahngesetzes-%c2%a7-23-keine-lex-stuttgart-21/
– und dies natürlich in einer Pressemitteilung verbreitet.

Ganz zentral ist dabei der Begriff (keine) Lex Stuttgart21, der auf den Punkt bringen soll, worum es bei dieser komplizierten Sache geht. In diesem Sinne hat eine Gruppe Aktiver aus Mahnwache und Aktionsbündnis ein neues 3×6 m-Banner machen lassen (Entwurf Uli Stübler) und jetzt auf der Rückseite der Mahnwache angebracht:

Über Werner Sauerborn

Dr. rer. soc. *1949, Geschäftsführer des Aktionsbündnis gegen Stuttgart21, dort Vertreter der „Gewerkschafter*innen gegen Stuttgart 21“. Zuvor wiss. Mitarbeiter FU Berlin, Otto-Suhr-Institut, Forschung zur Privatisierung Öffentlicher Dienstleistungen, Gewerkschaftssekretär bei ötv bzw. ver.di im Bereich Politik und Planung

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