rail blog 362 / Michael Jung

Wie Kreativität des Zugpersonals vom DB-Apparat abgewürgt wird

Zugfahrt mit ICE 805 am 4.6.2025 von Hamburg-Altona nach Berlin. Letzter ICE am Tag, eigentlich eine Routinefahrt. Abfahrt pünktlich um 21.34 ab Altona. Und dann fuhr der Zug in Hamburg Hbf nicht weiter. Eine Viertelstunde Schweigen. Dann die Information, es seien vor Bergedorf Personen im Gleis (S-Bahn-Surfer, die wohl ein TikTok-Filmchen drehten) und der davor fahrende RE könne nicht weiterfahren. Man werde bei neuen Nachrichten informieren. Nach circa 30 Minuten ging das Zugbegleitpersonal durch den Zug, gab eine alternative Reiseverbindung nach Büchen bekannt und zählte die Passagiere, die an den Zwischenhalten Ludwigslust und Wittenberge aussteigen wollen.

Die Idee des Zugpersonals (unverkennbar mit Reichsbahnhintergrund) war: da anzunehmen war, dass die Streckensperrung noch länger dauern würde, die alternative Route von Hamburg nach Berlin über Uelzen – Stendal zu nehmen, was von dem Gleis auf dem Hbf, auf dem der Zug stand, auch möglich gewesen wäre. Ich fragte: Anweisung von oben oder eigene Überlegung? Letzteres wurde bejaht. Dann wieder beredtes Schweigen. Nach anderthalb Stunden stand der Zug noch immer im Hauptbahnhof, und das Zugpersonal kam erneut durch den Zug, um auf frei verfügbares Wasser im Bordbistro hinzuweisen. Auf die Frage, was denn nun aus ihrer Idee mit der Umleitungsfahrt geworden sei: Die Verkehrsleitung habe diesen Vorschlag abgelehnt. Also weiter Warten. Schließlich fuhr der Zug mit knapp zwei Stunden Verspätung ab. Bei sofortiger Entscheidung für die Alternativstrecke hätte man Berlin mit rund einer halben Stunde Verspätung erreicht, so waren es dann zwei Stunden.

Fazit der Geschichte: die Verkehrsleitung der DB hat den Fall ausgesessen, aus zwei Gründen: Zum einen hat sich vermutlich DB-Fernverkehr geweigert, die höheren Trassengebühren für die längere Umleitungsstrecke sowie die Kosten für den Bustransport zu bezahlen, und zum anderen war man sich sicher, dass eine Fahrkostenerstattung nicht greifen würde, da Personen im Gleis höhere Gewalt sind und damit nach der Änderung der DB-Erstattungspraxis solche Fälle nicht mehr anspruchsberechtigt sind. Und wieder hat man motiviertes und mitdenkendes Personal ausgebremst und damit demotiviert.

Über Michael Jung

Jahrgang 1950, Dipl.-Volksw., arbeitete zuerst in einem Großkonzern der Mineralölwirtschaft und dann 28 Jahre bei einer deutschen Großbank, davon 10 Jahre lang im Bereich Finanzierung von Eisenbahn- und Nahverkehrsprojekten weltweit. Seit 8 Jahren ist er Sprecher der Bürgerinitiative Prellbock-Altona e.V., die sich für den Erhalt und Modernisierung des Fern- und Regionalbahnhofs Altona am jetzigen Standort einsetzt.

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