Notizen aus der Provinz, Teil 1
Fernab von den Rennstrecken der Prestigezüge wohnen, arbeiten und verreisen auch Menschen. Etwas, was manche offenbar vergessen, wenn man sich die Prioritäten des Bahnkonzerns anschaut.
Beginnen wir in Immendingen, einem beschaulichen Örtchen mit 6.500 Einwohnern an der Donau im Landkreis Tuttlingen »am Kreuzungspunkt uralter Handelsstraßen«, wie Wikipedia weiß. Das hat sich auch in Gestalt eines Eisenbahnknotens erhalten – Immendingen reiht sich also ein in die Galerie von kleinen Orten mit großen Verbindungen wie Plattling, Selzthal, Osterburken, Altenbeken, Falkenberg (Elster), Doberlug-Kirchhain oder Bad Kleinen. Stündlich zur halben Stunde kreuzen sich in Immendingen die Regionalexpresse auf der Linie Karlsruhe – Offenburg – Konstanz, also der Schwarzwaldbahn, die einst auch von Interregios ab Hamburg und teilweise ab Flensburg befahren wurde. Um fünf nach halb fährt der Regionalexpress über Tuttlingen nach Ulm, und Freiburg im Breisgau sowie das Höllental sind über die in Donaueschingen mündende S-Bahn im perfekten Takt angeschlossen. Und natürlich war Immendingen auch stolzer Halt des »Kleber-Express« auf dem Weg von München nach Freiburg. Hinzu kommt, dass in der Region das innovative Nahverkehrskonzept »Ringzug« eingerichtet wurde, womit Rottweil, Trossingen, Spaichingen, Tuttlingen und kleinere Orte ziemlich engmaschig miteinander verknüpft sind – nicht zuletzt der Ort Blumberg, der nördliche Ausgangspunkt der legendären »Sauschwänzlebahn«.
Es ist also auf dem Bahnhof Immendingen weit mehr los, als man bei einer Gemeinde mit 6.500 Einwohnern vermuten würde. Fünf Gleise stehen zur Verfügung, von denen im Regelfall vier für Reisezüge benutzt werden. Am von der Straße aus direkt erreichbaren Gleis 1 halten die Züge der »Ringbahn«. Am längsten und breitesten Bahnsteig halten auf Gleis 3 die Züge von Konstanz nach Karlsruhe, während auf Gleis 2 die Züge von und nach Ulm Kopf machen. Der etwas kürzere und schmalere Bahnsteig mit den Gleisen 4 und 5 erlebt auf Gleis 4 die Züge von Konstanz nach Karlsruhe.
Es gibt keine Lifte, es gibt keine Rolltreppen – die Station ist nicht barrierefrei. Wer mit der Ringbahn oder aus Richtung Karlsruhe-Offenburg kommt und Richtung Sigmaringen-Ulm umsteigen möchte, muss Treppen steigen und Kinderwagen oder Trolleys hochwuchten. Als ich dort dieses Vergnügen hatte, humpelte vor mir eine junge Frau mit Gipsbein die Stufen hoch. Die Sonne brannte – und die Bahnsteige 2/3 und 4/5 sind auf genau 5 Metern Länge und etwa 3,60 Metern Breite überdacht.
Wie zu Kaisers Zeiten, ging mir durch den Kopf, aber vielleicht tue ich damit dem Komfortstandard des 19. und beginnenden 20. Jahrhunderts Unrecht. Auf jeden Fall seit seitdem wesentlich mehr in das Straßennetz der Region investiert worden als in die Bahnstrecken und ihre Zugangspunkte. Und wo würde man landen, wenn man drei Aufzüge und drei vernünftige Bahnsteigüberdachungen finanziell in die Kosten des Tunnelbaus bei Stuttgart 21 umrechnet? Bei einem Meter? Vielleicht bei zwei Metern?
Schade, wie DB und »The Länd« ihre Prioritäten setzen.