rail blog 373 / Michael Jung

PKP erholt sich von der Agonie der 90er Jahre – Beobachtungen von einer Bahnreise durch Polen

Nach Auflösung des Ostblocks erlebten die Bahngesellschaften der osteuropäischen Länder durchweg schwere Zeiten. Fast über Nacht blieben die Passagiere weg und wandten sich dem Auto, das überall verfügbar wurde, zu. Den Staatsbahnen dieser Länder blieb nur der fatale Weg von Angebotskürzungen bzw. Streichungen und Streckenstillegungen. Geld für die Erneuerung der heruntergekommenen Fahrwege und des Rollmaterials fehlte. Das löste die nächste Welle der Abwanderung von Fahrgästen aus. 35 Jahre nach der Wende hat sich aber in einigen Ländern, und dazu zählt Polen, das Blatt gedreht. Auch dank EU-Mitteln konnte der Fahrweg auf wichtigen Strecken grundlegend erneuert werden, aber ohne die in Deutschland gemachten Fehler, das Gleisbild so zu verschlanken, dass Ausweich- und Umleitungsmöglichkeiten beseitigt worden wären. Auch gab es bisher keine große Spekulation mit Bahngelände, sodass die großflächigen Bahnanlagen auch in den Großstädten weitestgehend erhalten blieben. Das ermöglicht jetzt, wo der Verkehr auf der Schiene sowohl im Personen- als auch im Güterbereich wieder stark zunimmt, einen sinnvollen Ausbau des Bahnnetzes. Mit der Sanierung der Bahnanlagen ging auch eine sinnvolle Modernisierung der Bahnhöfe einher, ohne wichtige Funktionen wie besetzte Fahrkartenschalter, beheizte Warteräume ohne Konsumzwang usw. abzuschaffen, wie es hierzulande leider gemacht wurde. Jetzt kommen auch die Fahrgäste wieder, das sind aber im Wesentlichen junge Leute und nicht die ältere Genration, die noch die negativen Erfahrungen mit der Bahn in planwirtschaftlichen Zeiten machte. Diese Generation nutzt leider das Auto auf einem mittlerweile auch in Polen – dank mehr als reichlich fließenden EU-Mittel – gut ausgebauten Straßennetz.

In Polen sieht man zwischenzeitlich weniger vergammelte Bahnhofsbauten und ungenutzte ehemalige Bahngebäude als in Deutschland. Insgesamt machen die Bahnanlagen einen deutlich gepflegteren Eindruck, besonders was die Sauberkeit der Bahnhöfe angeht. Längs der Bahnstrecken durch Waldgebiete gibt es frisch gepflügte Brandschutzstreifen (die gab es bei der Reichsbahn in der DDR auch!), um ein Übergreifen von möglichen Böschungsbränden auf trockene Kiefernwälder zu vermeiden. Auch stehen in Waldgebieten die Bäume weit genug weg von den Bahnanlagen, so dass bei Windbruch die Bäume nicht gleich auf Oberleitung und Schienen fallen. Ebenso gibt es in Polen nicht den hier weitverbreiten Unsinn von (unfallträchtigen) Halbschranken an Bahnübergängen. Zudem betätigen die Züge vor beschrankten wie auch unbeschrankten Bahnübergängen lautstark das Signalhorn, um vor dem herannahenden Zug zu warnen. Gleiches gilt auch für Zugdurchfahrten an Bahnsteigen von Haltepunkten, an denen der Zug aber nicht hält, damit dort aufhaltende Passagiere ausreichend gewarnt sind. Der lapidare Hinweis „Achtung Zugdurchfahrt“ auf den Bahnsteiganzeigetafeln in Deutschland erfüllt diesen Zweck nicht.

Die Modernisierung des Rollmaterials in Polen macht große Fortschritte. In dem von den Woiwodschaften (vergleichbar mit einem deutschen Regierungsbezirk) organisierten Nahverkehr halten immer mehr neue Triebzüge Einzug. Im Fernverkehr ziehen zwischenzeitlich moderne Siemensloks (bzw. deren Derivate des lokalen Herstellers NEWAG) Züge mit sinnvoll modernisierten und klimatisierten Reisezugwagen. In diesen kann man glücklicherweise, wenn die Klimaanlagen einmal ausfallen sollte, noch die Fenster öffnen, und es muss nicht wie bei der DB gleich der ganze Wagen geräumt werden. Die Fahrpläne sind mit ausreichenden Reserven kalkuliert, so dass selbst in einem sehr großen Bahnhof wie Posen/Poznan Umsteigezeiten von 5 Minuten realisierbar sind. Die Fernzüge von A nach B laufen zum Teil auf unterschiedlichen Routen, sodass auch kleinere Städte mindestens einmal täglich an den Fernverkehr angebunden sind. Von einem Taktverkehr mit festen Abfahrtzeiten zu jeder Stunde ist allerdings das inländische Fernreiseangebot in Polen noch weit entfernt. Aber der Passagierzuwachs, besonders von jugendlichen Bahnreisenden, ist so erfreulich, sodass der Bahnverkehr in Polen deutliches Potential nach oben hat. Gleiches gilt auch für die grenzüberschreitenden Bahnverbindungen mit Deutschland. Hier soll es ab Dezember einen durchgängigen Zweistundentakt von Berlin nach Warschau geben. Auch die beiden Eurocitys von Berlin – unsinnigerweise ab Gesundbrunnen – nach Breslau – Kattowitz – Krakau – Przemyśl (an der ukrainischen Grenze) sind immer gut gefüllt, so dass auch hier ein zusätzliches Zugpaar ausgelastet wäre. Ganz zu schweigen von einer schnellen Verbindung von Berlin nach Stettin, mit einer Fahrtzeit von 1:20 Stunden wie Mitte der 30er Jahre des vorigen Jahrhunderts. Heute braucht die Bahn auf der Strecke noch immer 3:30 Stunden!

Die Digitalisierung im Bahnbetrieb hat in Polen in den letzten Jahren enorme Fortschritte gemacht, ohne gleich im digitalen Overkill wie bei der DB zu enden, wo einem schlussendlich eine Mail zugestellt wurde, dass der Eurocity 44 aus Warschau den Berliner Hauptbahnhof nun mit einer Verspätung von 1 Minute erreichen werde! Da diese „Verspätungs“mails im Zehnminutentakt oder gar öfter aktualisiert werden, erhält man so auf einer Bahnreise mitunter 10 bis 15 dieser Nachrichten! Gewöhnungsbedürftig in Polen ist für Reisende ohne Platzreservierung, dass plötzlich Bahnreisende mit einem Handy in der Hand die Freigabe des von Ihnen reservierten Platzes einfordern. An den Plätzen war aber nichts angezeigt. Lehre daraus ist: Da in Polen vor allem die Fernverkehrszüge mittlerweile gut bis sehr gut gefüllt sind, ähneln Reisen ohne Platzreservierung – die übrigens oft obligatorisch (und im Fahrpreis enthalten) ist – schnell dem Kinderspiel „Reise nach Jerusalem“.

Gewöhnungsbedürftig ist auch, dass bei den intensiven Fahrkartenkontrollen immer der Personalausweis vorzuzeigen ist. Damit will man offensichtlich Betrugsmanövern mit digital erworbenen Fahrkarten vorbeugen, unter denen auch die DB zu leiden scheint, umso mehr, da die DB hofft, mit ihrem DB-Navigator-Check-in-System auf Fahrkartenkontrollen gänzlich verzichten zu können.

Und zum Glück leistet die PKP sich noch eine Speisewagengesellschaft (WARS), in deren Speisewagen noch Eier frisch gebraten und Pelmenis frisch zubereitet auf den Tisch kommen. Die kostenlose Verteilung von Sprudelwasser (und nicht erst wenn die Klimaanlage ausgefallen ist, wie bei der DB) im Eurocity Berlin-Warszawa würde auf langen Bahnstrecken auch hierzulande sicher auf Zustimmung stoßen.

Über Michael Jung

Jahrgang 1950, Dipl.-Volksw., arbeitete zuerst in einem Großkonzern der Mineralölwirtschaft und dann 28 Jahre bei einer deutschen Großbank, davon 10 Jahre lang im Bereich Finanzierung von Eisenbahn- und Nahverkehrsprojekten weltweit. Seit 8 Jahren ist er Sprecher der Bürgerinitiative Prellbock-Altona e.V., die sich für den Erhalt und Modernisierung des Fern- und Regionalbahnhofs Altona am jetzigen Standort einsetzt.

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