rail blog 375 / Joachim Holstein

Notizen aus der Provinz, Teil 4

Viele Köche – und alles geht schief

Am 7. September, einem Sonntag, kam es auf der Frankenbahn zwischen Würzburg und Stuttgart zu einer Abfolge von Ereignissen, die in der Stuttgarter Landesregierung zu Wutausbrüchen führten, die in den Medien zitiert wurden. Man darf davon ausgehen, dass die Wutausbrüche der sitzengelassenen Fahrgäste nicht zitierfähig waren.

Was war geschehen?

Ein stündlicher RE verbindet Würzburg und Stuttgart mit Halten in Lauda, Osterburken, Möckmühl, Bad Friedrichshall, Neckarsulm, Heilbronn, Bietigheim-Bissingen und Ludwigsburg. Der letzte Zug verlässt Würzburg um 21:37 Uhr und erreicht Stuttgart um 23:52 Uhr.

Aus den diversen Meldungen lässt sich rekonstruieren, dass der vorletzte Zug am Bahnhof in Würzburg als RE nach Stuttgart angezeigt wurde – Abfahrt um 20:37 Uhr, Ankunft um 22.56 Uhr. Unmittelbar bei Abfahrt erfolgte eine Durchsage, dass wegen Bauarbeiten in Osterburken dieser Zug nur bis Lauda fahren und der Weitertransport per Bus bis Neckarsulm erfolgen würde. Dort würde der Anschlusszug nach Stuttgart erreicht – damit muss der letzte Zug des Tages gemeint gewesen sein, denn auch wenn die Frankenbahn langsam und mäandernd unterwegs ist, ist der Transport auf der Straße noch langsamer, weil man ja nicht auf der A 81 durchrauschen kann, sondern die Halte in den abgelegenen Orten bedienen muss.

Jedenfalls kam der ziemlich gut besetzte RE in Lauda an und traf dort auf einen (einen !!!) Ersatzbus. Mehr hatte man nicht für nötig gehalten. Und obwohl sich die Reisenden reinquetschten wie die Ölsardinen, blieben Fahrgäste in Lauda zurück.

Dann sammelte der Bus auf seiner Fahrt durch »Badisch-Sibirien« so viel zusätzliche Verspätung ein, dass der Zug in Neckarsulm nicht erreicht wurde. Dieser habe noch eine Viertelstunde gewartet und sei dann – offenbar leer – losgefahren. Die Uhr muss dabei kurz nach 23:20 Uhr gezeigt haben. Die Reisenden hätten zwar mit einem weiteren Zug bis nach Heilbronn fahren können (offenbar mit dem RE aus Mannheim, der Heilbronn um 23:59 Uhr erreicht), aber dann sei Schluss gewesen, die Reisenden hätten in der zugigen Bahnhofshalle übernachten müssen, bis um 4:25 Uhr der erste Frühzug nach Stuttgart ging.

Kein Personal vor Ort. Keine Hilfestellung. Kein Ersatzverkehr. Keine Verantwortlichkeit.

Und wie zum Hohn ist dann in der Presse zu lesen, dass die Reisenden sich ja Hotelkosten und Taxikosten nachträglich hätten erstatten lassen können.

Wie denn? Mit dem Deutschlandticket? Und was hätten die machen sollen, die nicht soviel Geld dabei hatten, um dreistellig in Vorleistung gehen zu können?

Vor allem aber: Direkt vor dem Heilbronner Bahnhof befindet sich ein Polizeirevier. Als Betroffener wäre ich wahrscheinlich da reingegangen und hätte Hilfe angesichts dieser Lage erbeten. Ein paar Hundert Meter weiter links ist ein Hotel einer größeren Kette – zumindest hätte man sagen können: »Da geht Ihr rein, ihr müsst Euch um nix kümmern, die Rechnung zahlt der Verkehrsminister, und bei wem der sich das Geld dann wiederholt, ist nicht Euer Problem.«

Ach ja: DB InfraGo hat übrigens erklärt, es habe an dem betreffenden Abend gar keine Baumaßnahmen in Osterburken gegeben. Sprich: Der Netzbetreiber versteht nicht, warum der Zug nicht ganz normal von Würzburg bis Stuttgart durchgefahren ist.

Und die, die für die Ersatzbusgestellung zuständig waren, erklärten, der Zug sei überraschend gut besetzt gewesen. Das klingt nach Offenbarungseid: Hilfe, wir haben Kundschaft! Damit können wir nicht umgehen!

In einer idealen Welt hätte man, selbst wenn die vorherigen Fehler passiert wären, außerdem noch einen der nachts in Heilbronn herumstehenden Züge genommen und wäre damit nach Stuttgart gerauscht – oder man hätte den RE aus Mannheim, der die Reisenden von Neckarsulm nach Heilbronn brachte, kurzerhand nach Stuttgart verlängert. Um zwei Uhr morgens hätte die Garnitur wieder in Heilbronn stehen können. Hat es an Personal gemangelt? Oder an einer Person, die einfach mal so eine Entscheidung trifft, auch ohne dass vorher die Spitzen aller beteiligten Unternehmen eine Abstimmung über die Kostenverteilung getroffen hätten?

Aber so hat das Land, dessen Regierung sich jetzt so aufregt, im Grunde das bekommen, was man bestellt hat: die Früchte einer zersplitterten Bahn. Denn der Betreiber der Frankenbahn ist die Firma Arverio (»Dein Weg ist unser Ziel«), die bis 2024 »Go Ahead« hieß und aus Großbritannien stammt. Der Ruf von Go Ahead lag irgendwo zwischen dem Ruf der britischen Küche und dem Ruf englischer Torhüter nach Peter Shilton. Seit 2024 managen die ÖBB den Laden und haben den Namen geändert, ansonsten aber wohl nicht viel.

Über Joachim Holstein

(*1960) arbeitete von 1996 bis 2017 als Steward in Nacht- und Autozügen der DB, war von 2006 bis zur Einstellung dieser Verkehre Betriebsrat der DB European Railservice GmbH und zuletzt Sprecher des Wirtschaftsausschusses. Mitbegründer der Initiative zur Rettung des Nachtzuges Hamburg-Paris (2008; »Wir wollen nach Paris und nicht an die Börse«) und des europäischen Netzwerks für Nachtzüge »Back on Track« (2015; https://back-on-track.eu/de/); Weiteres unter www.nachtzug-bleibt.eu

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