Grußwort der DGB-Regionalgeschäftsführerin Julia Friedrich zur Konferenz „Klimabahn“
Sehr geehrte Damen und Herren, liebe Kolleginnen und Kollegen,
ich darf Sie und Euch hier in unserem – wie ich finde – wunderschönen Willi-Bleicher-Haus begrüßen! Dass Sie ihre Klimabahn-Konferenz in die vermeintliche Autostadt Stuttgart legen und dazu noch in das Gewerkschaftshaus, das sind zwei willkommene und schöne Signale in die Öffentlichkeit. Und es legt die Komplexität des Themas offen: Während wir auf der einen Seite für eine Stärkung der Schiene und des ÖPNV – wie auch des Rad- und Fußverkehrs – und eine Steigerung der Lebensqualität jenseits zugeparkter Innenstädte streiten, steht der Stuttgarter Bahnhof als Mahnung, dass allein Geld in das System zu pumpen, uns in Sachen Mobilitätswende nicht weiter bringt.
Es braucht also vernünftige Konzepte, die verschiedenen Blickwinkel zusammenzubringen: nämlich den Mobilitätsbedürfnissen und -Anforderungen der Menschen gerecht zu werden, die Emissionen des Verkehrssektors so weit wie möglich zu reduzieren, diese Mobilitätswende mit einer wirklichen Bürger:innenbeteiligung zu konzeptionieren und schließlich auch eine ausreichende und sozial gerechte Finanzierung zu gewährleisten.
Nun bin ich selbst keine Verkehrs- oder gar Bahnpolitik-Expertin wie Sie alle – aber ich bin doch regelmäßig erschrocken über die Hilf- oder Planlosigkeit einer Verkehrspolitik, die immer noch viel zu sehr in ideologischen Grabenkämpfen zwischen Auto und Bahn gefangen ist und die regelmäßig an der selbst eingebrockten Schuldenbremse scheitert.
Wir, der DGB, fordern deshalb neudeutsch einen Masterplan Mobilitätswende.
Nicht, um das nächste schlaue, aber folgenlose Papier zu produzieren, sondern weil dieser Masterplan als Ergebnis gesellschaftlicher Aushandlungsprozesse die Ziele, Maßnahmen und Priorisierungen beschreiben soll. Und dazu gehört ein Finanzierungsplan – damit wichtige Projekte nicht am sogenannten Finanzierungsvorbehalt scheitern oder großen, aber nutzlosen Prestigebauten zum Opfer fallen. Dazu wiederum gehört die Frage, woher das Geld kommt – nicht nur, wofür es ausgegeben wird!
Aus Sicht des DGB ist klar, dass die Schuldenbremse und die viel umschwärmte schwäbische Hausfrau sowohl bei der Mobilitätswende als auch bei der Energiewende in die Sackgasse führen. Und am Beispiel der Mobilitätswende lässt sich das besonders gut aufzeigen: Marode Schienennetze, Brücken und Straßen sowie eine gescheiterte Klimapolitik wären eine viel größere Bürde für unsere Kinder und Enkel als ein schuldenfinanziertes, aber intaktes System öffentlichen Verkehrs, mit dem auch die Klimaschutzziele erreicht werden können. Zumal die Schulden sich deutlich reduzieren, wenn die Vermögenden, Spekulanten und Erben angemessen an der Finanzierung beteiligt würden.
Ich möchte betonen: uns geht es nicht um Geld ausgeben auf Teufel komm raus – so wird das ja manchmal dargestellt – sondern um die Ausfinanzierung gesellschaftlich verhandelter Projekte. Jetzt: zwischen 9-Euro-Ticket und Kommunaler Abgabe – wo ist das Konzept?
Wir haben deshalb vor knapp zwei Jahren, im Vorfeld der baden-württembergischen Landtagswahl, die Mobilitätswende-Allianz Baden-Württemberg mitgegründet, um gemeinsam mit einem breiten Bündnis gesellschaftlicher Gruppen und Organisationen Anforderungen für eine klimagerechte Mobilitätspolitik an die Landes- und auch an die Bundespolitik zu formulieren. Für die Koordinator:innen war das manchmal wie die Quadratur des Kreises – aber ich denke: Es hat sich gelohnt. Viele Vorurteile sind abgebaut und viele spannende und vorwärtsgewandte Diskussionen sind geführt worden. Das gleiche gilt für das Bündnis sozialverträgliche Mobilitätswende auf Bundesebene. Diese Allianz ist aus meiner Sicht genauso ein Mosaikstein für den Weg zur Mobilitätswende wie Ihre Konferenz heute und morgen hier in Stuttgart. Auch Sie werden vermutlich leidenschaftlich und vielleicht auch mal kontrovers über den richtigen Weg diskutieren.
Gewerkschaften und die Mobilitätswende – das betrifft bei weitem nicht nur die Beschäftigten in der Automobilindustrie!
Wir machen uns große Sorgen um die Beschäftigten und ihre Arbeitsbedingungen gerade in den Branchen, die ausgebaut werden sollen. Als Gewerkschaftsbund haben wir auch dafür Überschriften gesetzt: nämlich „just transition“ – also gerechter Strukturwandel und die Anforderung, dass „green jobs“ auch „good jobs“ sein müssen. Das gilt für Beschäftigte, die Windräder montieren oder Solarpanels herstellen, genauso wie für die Busfahrerin oder den Zugbegleiter und den Gleisarbeiter. Selbstverständlich ist das leider nicht. Lassen Sie mich ein Beispiel geben: ver.di konnte erst im letzten Jahr nach einem ziemlich harten Arbeitskampf durchsetzen, dass für Busfahrer:innen die Standzeiten während der vorgegebenen Pausen, etwa an der Endhaltestelle, nicht als Freizeit gelten, sondern als bezahlte Bereitschaftszeit. Ich finde das ungeheuerlich.
Das Land Baden-Württemberg hat einen Lokführerpool eingerichtet und ausländische Fahrer angeworben, weil der Bahnverkehr wegen des sich zuspitzenden Fachkräftemangels nicht mehr sichergestellt werden konnte. Ganz ehrlich: Keine privatwirtschaftlich organisierte Branche ist vorstellbar, die ihr Personalrecruiting und ihre Personalentwicklung an den Staat ausgliedert!
Als Gewerkschafterin sage ich: Machen Sie die Arbeitsplätze im Verkehrssektor so attraktiv, dass sie wettbewerbsfähig sind und sorgen Sie dafür, dass die Unternehmen in diesen Bereichen vernünftig ausbilden. Dann verkleinert sich der Fachkräftemangel erfahrungsgemäß.
Wir wollen und müssen den Schienenverkehr ausbauen und attraktiv machen, bringen den Menschen, die das ermöglichen und umsetzen sollen, aber keine Wertschätzung entgegen. So wird das sicher nichts!
Eine Ursache dafür ist sicherlich das überholte Ausschreibungs- und Vergabesystem, in dem immer noch „billiger vor besser“ gilt und das den Dumpingwettbewerb von Mobilitätsunternehmen anheizt – Stichwort Eigenwirtschaftlichkeit. Auch hier muss ein Umsteuern erfolgen: Wichtig ist, dass gute Arbeitsbedingungen, die in der Regel in Tarifverträgen festgehalten werden, als unhintergehbares Vergabekriterium festgeschrieben – und auch wirksam kontrolliert werden.
Auch hier sind die Unterstützungsbekundungen noch zahlreicher als die politischen Umsetzungsmaßnahmen – aber darauf arbeiten wir als Gewerkschaften hin. Damit auch im Mobilitätssektor „green jobs“ „good jobs“ sind.
Lassen Sie mich zum Schluss noch einen weiteren Aspekt aufgreifen: Mobilität findet ja zu einem großen Teil berufsbezogen statt und ist auch unter diesem Aspekt ein Thema für uns Gewerkschaften.
Ein Kollege hat schon in den 80er Jahren in Freiburg das Projekt „umweltfreundlich zum Betrieb“ gestartet – heute nennt man das „betriebliches Mobilitätsmanagement“. Aus meiner Sicht ist auch dies ein wichtiger Mosaikstein. Attraktiv werden Bahn und ÖPNV für Beschäftigte für den Weg zur Arbeit erst dann, wenn die Krankenschwester zum Frühschichtbeginn rechtzeitig ankommt und der Produktionskollege auch am Samstag nach der Sonderschicht wieder nach Hause kommt. Sonst bleibt das Auto für beide konkurrenzlos.
Größer wird das Problem übrigens durch die katastrophale Situation am Wohnungsmarkt – nicht nur in Großstädten wie Stuttgart – sondern inzwischen auch auf dem platten Land. Die Folge ist natürlich eine extreme Zunahme von Pendlerzahlen und Pendelwegen. Auch wenn das die Komplexität des Themas noch weiter erhöht – ich denke, es würde der Realität der Menschen, die mobil sein wollen und müssen, gerechter und damit auch die Akzeptanz weiter erhöhen. „Kurze Wege“-Konzepte reichen natürlich weit in die Wohnungsbau- und Stadtplanungsressorts hinein. Es wäre lohnenswert, die Gartenzäune einzureißen und die Aspekte miteinander zu diskutieren.
Ausgehen werden uns die Themen also sicher nicht und ich freue mich, dass Sie sich heute und morgen die Zeit nehmen, ihre Vorstellungen der Klimabahn zu diskutieren und weiterzuentwickeln. Gute Ergebnisse wünsche ich Ihnen dafür.
Herzlichen Dank für ihre Aufmerksamkeit und Glück auf!
Julia Friedrich ist Regionsgeschäftsführerin des DGB Baden-Württemberg, Region Stuttgart