DEUTSCHLANDTAKT ALS NEUE OPTION
Die Bundesregierung hat sich in den letzten Jahren erstmals zu einem integralen Deutschlandtakt bekannt, der im ganzen Land die Bahnqualität steigern soll. Die DB soll dieses Ziel umsetzen. Dabei kommt es weniger auf Höchstgeschwindigkeit als auf gleichmäßige Systemgeschwindigkeit an. Entscheidend ist, dass in den Taktknoten viele Züge zur gleichen Zeit ankommen und dann nach einer ausreichenden Umstiegszeit wieder weiterfahren. Daher müssen diejenigen Strecken beschleunigt werden, deren Fahrzeit bisher für die passende Knotenankunft zu lang dauert. Dagegen ist eine Beschleunigung von Strecken jenseits der Knotenzeiten wenig sinnvoll. Deshalb ist eine Fülle kleinerer Baumaßnahmen sehr viel wichtiger als eine überschießende Beschleunigung weniger Hochgeschwindigkeitsstrecken. Besonders ärgerlich sind die vielen Langsamfahrstellen, sie müssen dringend beseitigt werden. Und auch der Ausbau der Zulaufkapazitäten zu den großen Knotenbahnhöfen ist vordringlich. Was hilft zum Beispiel Tempo 300 zwischen Frankfurt-Flughafen und Siegburg, wenn danach der ICE bis Köln Hbf oder Köln-Deutz wegen fehlender Gleiskapazität nur noch bummeln kann? Insoweit ist der Ausbau von Überholgleisen und der Wiedereinbau vieler Weichen, die Ex-Bahnchef Mehdorn hat wegrationalisieren lassen, viel wichtiger als ein Stück Neubaustrecke für die Hochgeschwindigkeit. Moderne Stellwerke müssen für ausreichende Netzflexibilität sorgen. Bislang bleiben oft genug die schnellen Züge auf lange Strecken hinter langsamen Güterzügen und Nahverkehrszügen hängen, weil es an Weichen fehlt. Das Schweizer Schienennetz hat je km Strecke vier Mal so viel Weichen wie das deutsche und ist deswegen viel leistungsfähiger, ganz zu schweigen vom japanischen oder chinesischen Schienennetz mit einer noch viel dichteren Zugbelegung je Streckeneinheit und je Bahnsteig.
Im Übrigen ist es den Franzosen mit Ihrer TGV-Hochgeschwindigkeitsstrategie bis heute nicht gelungen, das Land vom klimapolitisch extrem problematischen Autoverkehr zu entlasten. Nur dem mengenmäßig eigentlich marginalen Flugverkehr konnte man Marktanteile abjagen. Das liegt auch daran, dass immer mehr TGV-Bahnhöfe nicht mehr in den Innenstädten, sondern peripher auf der »grünen Wiese am Autobahnkreuz« angeordnet wurden, verbunden mit riesigen Großparkplätzen. Hier wird das ohnehin problematische Park & Ride pervertiert. Wenn die Flughäfen schon raus aus der Stadt weit ins Umland ausweichen müssen, soll die Bahn das genauso machen? So verliert sie ihren großen Vorteil, mitten in die Städte fahren zu können. Wer sich in seiner Bahnpolitik am Luftverkehr orientiert, kann nur scheitern. Ein extremes Beispiel für solche Fehlorientierung lieferte der alte DB-Direktionschef Hanns Beck für den Kölner Hbf. Dort wollte er allen Ernstes unter dem Hbf und dem Rhein eine riesige Tiefgarage bauen lassen, damit der Hbf autogerecht angebunden werden könne. Er argumentierte, der Köln/Bonner Flughafen habe doch auch viele Tausend Parkplätze. Da müsse die DB mithalten. Absurd! Doch zurück zum Nahverkehr, der für die Mobilitätswende die größte Bedeutung hat und dessen Systemqualität mit dem Deutschlandtakt erheblich verbessert werden könnte, wenn man dabei nicht primär auf die Hochgeschwindigkeit setzt sondern auf die Anschlußsicherung in allen Knotenbahnhöfen.
»Downsizing« und Elektrifizierung als Erfolgsstrategie für regionalen Schienenverkehr
Einen ersten positiven Impuls für den SPNV brachten die Überlegungen des VDV (Verband deutscher Verkehrsunternehmen), im regionalen Bahnverkehr eine neue Generation von kleineren, leichteren Fahrzeugen einzusetzen. Vorbild dafür sollten die Straßenbahnen mit ihrem sehr vielfältigen Fuhrpark unterschiedlicher Formate und mit ihrer meist auf 80 km/h limitierten Motorisierung sein. Daraufhin entwickelten fast alle Fahrzeughersteller neue Triebfahrzeugkonzepte für den SPNV, teils elektrisch mit Stromabnehmer, teils als Dieselfahrzeuge. Leider wurde die Option der batterie-/akkubasierten Elektrofahrzeuge, die in den 1960er und 1970er Jahren in einigen Netzen mit Bleibatterien betrieben wurden, nicht systematisch ins Netz gebracht. Und deshalb wurde bis vor Kurzem wurde die Option von akkuelektrischen Triebwagen von der DB nicht weiter verfolgt. Obwohl die Bahnreform für den SPNV mit den neuen Triebzugkonzepten manche positiven Impulse gebracht hatte. Die Fahrzeuge waren deutlich leichter, der Leichtbau sparte Masse und Gewicht. Dafür hatten sie mehr und breitere und natürlich automatisch geregelte Türen. Die neuen Triebwagen waren kürzer als die alten Nahverkehrszüge. Dadurch konnten neue Haltepunkte viel kostengünstiger errichtet werden. Der Leichtbau und die maßvolle Motorisierung sparte Energie und machte die Fahrzeuge lärmärmer. Für die Strecken erlaubte das eine landschafts- und ortsangepasste Trassierung. Für anstehende Reaktivierungen konnten so der alte Unter- und Oberbau stillgelegter Schienenstrecken sinnvoll weiter genutzt werden. Damit wurde der SPNV universeller einsetzbar und konnte durch erste Streckenreaktivierungen den ländlichen Raum »zurückerobern«. Leider geschah das aber auf vielen Strecken noch mit der bei Regionalbahnen dominierenden Dieseltraktion, weil immer noch viele Strecken und ganze Netze ohne elektrische Oberleitung waren, während auf den meisten Hauptstrecken IR, IC und ICE unter Oberleitung fuhren. An den Schnittstellen zwischen Diesel- und Oberleitungsnetzen wurde dann ein Traktionswechsel erforderlich. Dieser verursachte hohe Personal- und Materialkosten, weil mehr Loks und Lokführer benötigt wurden. Das »Umspannen« kostete außerdem viel Zeit.
Nach dem Dieselgate im Autoverkehr wegen der viel zu hohen CO2 Emissionen und der illegalen Abschaltvorrichtungen bei Pkw muss jetzt auch im Schienenverkehr das Dieselzeitalter zu Ende gehen. Dringend nötig ist eine durchgehende Elektrifizierung mit Oberleitungen oder teilweise auch Stromschienen bei einigen S-Bahnsystemen. Als Zwischenlösung ist wegen des großen Zeitbedarfs für die Vollendung der Netzelektrifizierung auch eine neue Generation von Akkutriebwagen sinnvoll, wie sie beispielsweise das Land Schleswig-Holstein jetzt bestellt hat, weil es das Bundesland mit dem geringsten Anteil von Oberleitungsstrecken ist.
Rückstand bei der Elektrifizierung der Netze und Fahrzeugflotten, vor allem auch bei Bussen
Aber noch konzentriert sich die Verkehrspolitik auf allen Ebenen auf Elektroautos und lässt den elektrischen öffentlichen Verkehr weitgehend unbeachtet. Deswegen kommt in Deutschland die Elektrifizierung der bisherigen Dieselnetze nur langsam voran. Noch langsamer geht bei der Elektrifizierung der Busflotten voran. In China fahren in jeder mittleren Großstadt Tausende moderner E-Busse, die nachts mit Schnellladeanlagen in den Busdepots neu geladen werden. In Deutschland sind selbst Großstädte schon stolz, wenn sie mal fünf oder zehn E-Busse besitzen.
»Downsizing« im Busbereich als Voraussetzung für erfolgreiche ÖPNV-Konzepte
Auch hier erweist sich die falsche Fixierung auf möglichst große und schwere Fahrzeuge als fatal. Selbst im ländlichen Raum werden überwiegend Großraumgelenkbusse eingesetzt, obwohl angesichts der geringeren Siedlungsdichte vielfach Midibusse und Minibusse ausreichen würden, die viel eher in großen Stückzahlen am Elektrobusmarkt zu haben wären. Der Grund für die in Relation zur Auslastung chronische Überdimensionierung ist die Konzentration der Landkreise auf den Schülerverkehr, weil der ihre einzige Pflichtaufgabe im ÖPNV ist. Der Schülererkehr hat ausgeprägte Morgen- und Mittagsspitzen. Fast überall sind die Schulen inzwischen räumlich konzentriert zu großen Schulzentren. Der massenhafte Schülertransport erfordert dann große Fahrzeuge. Den Rest des Tages verkehren diese Busse dann als fast leere sogenannte »Geisterbusse«. Sie passen wegen ihrer Überdimensionierung nicht mehr auf schmale Straßen, in enge Gassen und in verkehrsberuhigte Wohngebiete und fahren daher fast nur noch über Hauptverkehrsstraßen. Das bedingt extrem lange An- und Abmarschwege zu den wenigen Haltestellen. Kein Wunder, dass solche Bussysteme im Einkaufs-, Freizeit und Tourismusverkehr fast nicht genutzt werden. Zumal die rein schülerzentrierten Bussysteme abends und am Wochenende gar nicht verkehren.
Erfolgsmodelle mit Midi- und Minibusbedienung
Dass Bussysteme auch als attraktive Jedermannsysteme konzipiert werden können, belegen einige erfolgreiche Orts- und Stadtbussysteme im ländlichen Raum, die mit kundenorientierten Netz-, Fahrzeug- und Taktsystemen die Fahrgastzahlen in kürzester Zeit vervielfachen konnten. Sie kommen heute pro 10.000 Einwohner meist auf etwa 1 Mio. Fahrgäste, bieten dafür circa 60 Haltestellen und verkehren mit einem bewusst auf die kompakten Siedlungsbereiche orientierten Liniennetz auf Durchmesserlinien, die im dichten Taktverkehr (20- oder 30-Minuten-Takte) verkehren. Sie setzen überwiegend mittlere und kleine Busformate ein (midi und mini).
Der Stadtbus Lemgo mit seinen dreitürigen Niederflur-Midibussen als »Blaupause« für kleinstädtische Bussysteme
Eine Nummer kleiner sind die Minibusse, die als Dorfbusse die ländliche ÖPNV-Mobilität voranbringen und inzwischen auch als autonome Busse auf den Markt kommen.
ÖPNV-Finanzierung als zentrale Frage
Ob solche innovativen Bahn- und Buskonzepte umgesetzt werden, hängt entscheidend von ihrer Finanzierung ab. Wer bezahlt dafür? Für den Schienenverkehr auf dem Lande war die DB als Bundesunternehmen zuständig. Für den Busverkehr auf dem Lande waren bis in die 1960er Jahre der Bahnbus und der Postbus als Bundesunternehmen zuständig, die damals noch bis in den letzten Winkel verkehrten. Dann zog der Bund aus Spar- und Rationalisierungsgründen seine Verkehrsangebote im SPNV und im Busverkehr immer weiter zurück, stellte Post- und Bahnbus ein und legte große Teile der ländlichen Schienennetze still. Dem folgten dann auch bald die Landkreise und ländlichen Städte und Gemeinden mit der Einschränkung ihrer Netz- und Fahrplanangebote.
Der Grund für diese verheerende Sparpolitik war das unfaire Finanzierungssystem, das dem Straßenbau weiterhin eine auskömmliche Finanzierung sicherte, den öffentlichen Verkehr aber immer mehr zum Defizitbringer stigmatisierte.
Die Bahn sollte einen Großteil ihrer Kosten aus Fahrgeldeinnahmen und Trassenentgelten sowie Stationsgebühren bestreiten. Die Bahn hatte als Netz- und Stationsinhaber und -Betreiber den Betrieb zu organisieren, mit den vielen Stellwerken, Signalen, Bahnübergängen et cetera. All das war eine sehr personalintensive und stark regulierte Aufgabe, für die die Bahn einen entsprechend großen Personalbestand vorhalten musste, dessen Kosten aber anders als im Straßenbereich überwiegend von der Bahn aus ihren Erlösen getragen werden sollten.
NE-Bahnen als »kleiner Bruder«
Neben der großen DB gab es noch die sogenannten NE-Bahnen, also die nicht bundeseigenen Bahnen. Historisch hatte es bis in die 50er Jahre auch viele Kreisbahnen in der Trägerschaft der damaligen Landkreise gegeben: Außerdem waren aus der Blütezeit der Länderbahnen auch einige von den Ländern getragene Bahnen übriggeblieben. Hinzu kamen ursprünglich auch noch viele kommunale Bahnen als Straßenbahnen oder Überlandstraßenbahnen. Die meisten dieser Bahnen, die z.T. auch als Kleinbahnen oder Schmalspurbahnen verkehrten, wurden im Zuge des allgemeinen Niedergangs der Bahnen in Deutschland seit den 1950er Jahren stillgelegt. Oft wurden ihre Angebote auf Busse umgestellt, oft blieben sie aber auch ganz ersatzlos.
Unfaire und stets ergiebige Straßenfinanzierung
Zum Niedergang solche kommunaler und regionaler Bahnen, aber auch zum Rückzug der DB aus der Fläche, trug maßgeblich bei, dass die Finanzierung des Straßensystems seit Gründung der Bundesrepublik grundlegend anders geregelt wurde als die Finanzierung des öffentlichen Verkehrs. Bei den Straßen gibt es ein hierarchisch gestuftes Baulastträgersystem, das den Straßen in den Haushalten der Gebietskörperschaften fortwährend eine weitgehend auskömmliche Finanzierung sichert. Hinzu kommt dann auch noch die Finanzierung des öffentlichen Parkraums durch die Kommunen.
Finanzierung der Gemeindestraßen
Im Straßenverkehr bilden die Gemeindestraßen die Basis. Bis heute gibt es etwa 430.000 km Gemeindestraßen, das sind 63 % des gesamten deutschen Straßennetzes. Die Kommunen sind als »Baulastträger« zuständig. Dafür erhalten sie aber vom Autoverkehr als Hauptnutzer der Straßen keine angemessenen Einnahmen, weil es in Deutschland ja lange Zeit gar keine Straßennutzungsgebühren, also keine Maut gab. Und beim Pkw-Verkehr immer noch nicht gibt. Von der inzwischen eingeführten Lkw-Maut auf Autobahnen und Teilen der Bundesstraßen erhalten die Kommunen trotz der hohen Abnutzung kommunaler Straßen durch den Schwerverkehr nichts. Einzige Geldquelle für die Finanzierung der Gemeindestraßen bilden die Erschließungsbeiträge, die von GrundeigentümerInnen für den Anschluss ihrer Wohn- oder Gewerbebauten an das Straßennetz bezahlt werden müssen. Hinzu kommen selten genug Einnahmen aus der kommunalen Parkraumbewirtschaftung, wenn das Parken im öffentlichen Raum mit Parkuhren oder Parkscheinautomaten gebührenpflichtig gemacht wird. Und falls es Anwohnerparkregelungen gibt, können die Gemeinden noch eine Verwaltungsgebühr für die Ausstellung der Parkausweise verlangen. In Relation zu den tatsächlichen Kosten der Gemeinden für ihr Straßennetz (Bau und Unterhalt der Straßen und Parkierungsanlagen) sind diese Einnahmen bei weitem nicht kostendeckend. Aber trotzdem wird selten von den Defiziten des innergemeindlichen Autoverkehrs gesprochen. Er gilt als notwendig und daher stellen die Verwaltungen und politischen Gremien die erforderlichen Mittel willig zur Verfügung, auch wenn der Autoverkehr dadurch hoch subventioniert wird.
Finanzierung der Kreisstraßen
Ähnlich verhält es sich mit den Kreisstraßen, der nächsthöheren Straßenkategorie im Straßennetz. Das Netz der Kreisstraßen umfasst etwa 92.000 km. Neu-, Aus- und Umbau von Kreisstraßen und ihr Unterhalt wird aus den Budgets der Kreise finanziert. Die Kosten für die sogenannten »Nebenanlagen« (Gehwege, Parkstreifen, Radwege) innerörtlicher Kreisstraßen können auf die Anlieger umgelegt werden. Das führt typischerweise dazu, dass Gehwege möglichst schmal bemessen werden und Radwege meist weggelassen werden, um Ärger mit den Anliegern zu vermeiden.
Förderung kommunaler Schienennetze sehr restriktiv
Wo es heute noch kommunale Schienenverkehrsnetze gibt, kann immerhin deren Ausbau mit Bundes- und Landesmitteln nach dem Gemeindefinanzierungsgesetz gefördert werden. Vor der Antragstellung ist eine sogenannte »Standardisierte Bewertung« zu erstellen, also eine Prüfung der erwarteten Wirtschaftlichkeit. Sie ist methodisch sehr fragwürdig und prozedural äußerst hinderlich. Monetarisiert werden in diesen Berechnungen angebliche Reisezeitgewinne durch immer schnelleren Schienenverkehr, was viele Großstädte zu teuren Tunnelprojekten für ihre U-Bahnen und Stadtbahnen verführt hat. Das Mittelvolumen des GVFG reicht kaum aus, um kommunalen Schienenverkehr wieder zur Regel kommunaler Verkehrspolitik zu machen.
Finanzierung der Landes- und Bundesstraßen, Bundesautobahnen
Die höheren Straßenkategorien sind die Landes- und Bundesstraßen sowie die Bundesautobahnen. Sie haben die jeweiligen Länder und den Bund als Baulastträger. Derzeit gibt es knapp 13.000 km Bundesautobahnen, 38.000 km Bundesstraßen und 87.000 km Landesstraßen. Neubau, Ausbau und Umbau werden geplant von den Landesstraßenbauverwaltungen, die auch für den Bund als sogenannte »Auftragsverwaltung« die Planung der Bundesstraßen und Autobahnen übernehmen. Politisch und budgetär abgesegnet werden die Projekte der Landes- und Bundesstraßen in den entsprechenden Bedarfsplänen (Landesstraßenbedarfs- und Ausbaupläne, Bundesfernstraßenbedarfs- und Ausbaupläne, Bundesverkehrswegeplan). Das Personal für die Landes- und Bundesstraßen und Autobahnen wird aus Haushaltsmitteln der Länder und Bundes finanziert. Es sieht seine Aufgabe darin, die Straßennetze immer weiter auszubauen, durch Neu- und Ausbaumaßnahmen. Die Entscheidungssysteme kommen regelmäßig durch Forderungen der lokalen und regionalen Politik nach weiteren Straßen und insbesondere Ortsumgehungen unter Druck, und daher gibt es in den Bedarfs- und Ausbauplänen lange Listen von anhängigen Projekten, für die dann die personal- und zeitaufwändige Planungsmaschinerie aus Raumordnungs- und Planfeststellungsverfahren angeworfen wird.
Der Tod der Kreisbahnen
Die vielen Kreisbahnen mit ihren regionalen Schienennetzen, auf den vielfach sogenannte »Kleinbahnen«, also Schmalspurbahnen verkehrten, wurden seit den 1950er Jahren zunehmend stillgelegt. Nur wenige überlebten wie z.B. die Dürener Kreisbahn, die heute als Rurtalbahn sehr erfolgreich rund um die Kreisstadt Düren ein S-Bahn-ähnliches Netz mit Verbindungen nach Heimbach, Jülich, Linnich, Zülpich und Euskirchen betreibt. Vielfach hatten die Kreisbahnen den Charakter sogenannter »Stadt-Umlandbahnen«, die die Kreisstädte, also die regionalen Hauptorte, mit deren Umland und den benachbarten Zentren verbanden. Sie waren nicht nur für den regionalen Personenverkehr, sondern auch für den Güterverkehr wichtig. Damals hatten viele Kreise eigene Verkehrsbetriebe, die neben dem Bahnbetrieb auch regionale Busnetze betrieben, die im Vergleich zu den damals bestehenden, eher grobmaschigen Post- und Bahnbusnetzen stärker flächenerschließend waren.
Der Tod der Landesbahnen
Ursprünglich hatten die deutschen Länder vor der Gründung der nationalen Reichsbahn eigene Landesbahnen. Vielfach wurden diese nach der Gründung der Reichsbahn nicht gleich liquidiert, sondern betrieben unterhalb neben der neuen Reichsbahn eigene Länderbahnnetze. Auch diese dezentralen Bahnstrukturen sind dann seit den 1950er Jahren zunehmend den Stilllegungen und Konzentrationsbestrebungen der deutschen Bahnpolitik zum Opfer gefallen. Zwar führen auch heute noch einige Bahnunternehmen den Namen »Landesbahn« (zum Beispiel HZL Hohenzollersche Landesbahn), doch ein echtes System von Länderbahnen, wie es durchaus im Zuge der Bahnreform und Regionalisierung hätte erneuert werden können, wurde nicht geschaffen. Das unterscheidet das deutsche Bahnsysteme vom schweizer Bahnsystem, in dem die kantonalen Bahnen eine große Rolle spielen und effizient in das gesamte Bahnsysteme integriert sind.
Personal bei den Bahnen überwiegend nicht steuerfinanziert
In Deutschland wurden bislang Straßennetz und Bahnnetz mit zweierlei Maßstab gemessen und nach unterschiedlichen Logiken organisiert. Bei den Bahnen muss das Personal durch Nutzungsentgelte (Trassen- und Stationsgebühren, Fahrgeldeinnahmen, Gütertarife) erwirtschaftet werden. Bei den Straßen dagegen werden die Personalkosten aus den öffentlichen Haushalten des Bundes, der Länder, der Kreise und Kommunen finanziert. Bei den Bahnen müssen die Investitionen in die Fahrzeuge ebenfalls aus den Nutzerentgelten finanziert werden.
Die unsäglichen Defizitdebatten
Weil diese Entgelte oft nicht ausreichen, schießen die Eigentümer in der Regel aus ihren Budgets Beiträge dazu, damit die Kosten gedeckt werden können. Aus diesen jedes Jahr aufs Neue verhandelten Zuschüssen ergibt sich dann die meist rituelle öffentliche Diskussion über die sogenannten »Defizite« des öffentlichen Verkehrs und der Bahn. Die Begrifflichkeit ist fatal, weil darin immer mitschwingt, man könne auf ein solches Angebot auch verzichten. Dementsprechend führen die Defizitdebatten meist zu nachfolgenden Sparübungen. Eine offensive Angebotsstrategie gilt regelmäßig als nicht finanzierbar.
Eine vergleichbare Rechnung über die fiskalischen Defizite des Straßennetzes – gegliedert nach Baulastträgerschaft – wird nicht aufgemacht. Gäbe es sie, würde schnell deutlich, wie teuer der Autoverkehr tatsächlich ist und wie viele ungedeckte direkte Kosten (für Bau und Unterhalt und Personal) die öffentlichen Hände jedes Jahr tragen müssen, um den Autoverkehr am Laufen zu halten. Neben den direkten Kosten für Infrastruktur, Betrieb und Personal verursacht der Straßenverkehr große indirekte Kosten, vor allem Umweltkosten im Bereich von Landschaft und Natur, Luftschadstoffkosten, Kosten für die hohen CO2 Emissionen, Gesundheitskosten durch Lärm und Abgase und Bewegungsmangel sowie durch Versicherungsleistungen nicht gedeckte Unfallkosten. Die Universität Kassel (Prof. Carsten Sommer) hat in einer akribischen Studie solche kommunale Kosten ermittelt. Sie berücksichtigen auch den Aufwand für die Flächen der Verkehrswege, deren Abschreibung, die Kosten der Lichtsignalanlagen, den Aufwand für Winterdienst, Straßenreinigung, Straßenbeleuchtung und Sonstiges.
Seit etwa 40 Jahren wird von Umweltbehörden und der Wissenschaft immer wieder versucht, diese Kosten zu beziffern. Bei den Ergebnissen gibt es eine beachtliche Bandbreite, je nach Definition, Datengrundlage und Berechnungsmethode. Laut TU Dresden fielen in Deutschland im Jahr 2013 88 Milliarden Euro indirekte Autokosten an, für die die Allgemeinheit aufkommen muss. Für die EU wurden 2013 nicht gedeckten Folgekosten durch Autos von 373 Milliarden Euro pro Jahr ermittelt. Bilanziert werden diese Kosten üblicherweise mit den Einnahmen aus der Kfz- und Mineralölsteuer sowie der Mehrwertsteuer auf verkaufte Autos und Treibstoffe.
Was in solchen Gegenüberstellung aber meist fehlt, sind die kommunalen Ausgaben für ihre Gemeindestraßen und den kommunalen Parkraum. Diesen Kosten stehen nur sehr geringe Einnahmen gegenüber, weil es ja bislang keine kommunalen Straßenbenutzungsgebühren gibt. Vereinzelt kassieren Kommunen an Parkuhren oder Parkscheinautomaten Gebühren. Und sie kassieren vereinzelt Verwaltungsgebühren für die Ausgabe von Anwohnerparkausweisen. Bei beiden Einnahmearten sind sie aber bislang bundesgesetzlich durch Höchstwerte limitiert. Hinzu kommen in Neubaugebieten und bei durchgreifenden Verbesserungen bestehender Straßen Straßenausbaubeiträge nach dem Kommunalabgabenrecht auf der Basis kommunaler Satzungen. Und bisweilen werden für neue Wohnungen und Arbeitsplätze, für die die Bau»herren« keine eigenen Stellplätze vorhalten können, sogenannte Ablösebeiträge verlangt, mit den theoretische die Kommunen Ersatzparkraum schaffen sollen. Die Grundlage solcher Stellplatzforderungen stammt aus der von den Nazis in ihrer Autobegeisterung geschaffenen Reichsgaragenordnung. Diese wurde nach dem Krieg im Baugesetzbuch und den Landesbauordnungen übernommen. Das manifestiert einen unfairen Anachronismus, weil die Bau»Herren« nicht in gleicher Weise Beiträge für die ÖPNV-Erschließung leisten müssen. Es gibt keine vergleichbare Nahverkehrsabgabe. Immerhin haben Ende der 1980er Jahre einige Bundesländer in ihren Landesbauordnungen die Stellplatzforderungen aufgeweicht und die entsprechenden Einnahmen der Kommunen auch für Erreichbarkeitsverbesserungen im ÖPNV freigegeben, sofern die Kommunen entsprechende Satzungen beschließen.
Massive Kostenunterdeckung des Autoverkehrs
Anfang des Jahrtausends wurden für deutsche Kommunen jährliche ungedeckte Kosten für den Autoverkehr von 115 € je Einwohner und ein durchschnittlicher Kostendeckungsgrad von knapp 30 % errechnet.
Ort Jahr Kostendeckung
Heidelberg 2004 42,9%
Rotenburg 2003 22,4%
Ludwigsburg 2000 47,1%
Düsseldorf 2002 14,8%
Lüneburg 2000 37,1%
Augsburg 2000 44,1%
Aschaffenburg 2002 26,8%
Freiburg 2000 45,2%
Ingelheim 2003 18,1%
Bremen 2000 17,2%
Dresden 2000 14,0%
Stuttgart 2000 19,8%
Alle Städte 29,1%
Der immer wieder als Defizitbringer geschmähte ÖPNV dagegen erreicht meistens eine Kostendeckung zwischen 60 und 70 % je nach Stadtgröße und Angebotsmix mit oder ohne kommunalen Schienenverkehr. Aber er hat trotzdem seit 40 Jahren sein Defizitimage angeheftet bekommen und wehrt sich auch nur selten dagegen. Und dem Autoverkehr haftet das Image an, er sei die Melkkuh der Nation, er trage zum kommunalen und nationalen Wohlstand bei. Faire, transparente Kosten- und Nutzenberechnungen sind Mangelware, zu vielen Aspekten wie zum Beispiel den öffentlichen und betrieblichen Ausgaben für den Parkraum, gibt es keine verlässlichen Daten. Also dominiert das Bauchgefühl die Debatten, und da hat der öffentliche Verkehr schlechte Karten.
Kostendeckungsgrad – Differenzierung nach Verkehrsmittel (2009 – 2011) in %
Stadt Lkw Pkw ÖPNV
Bremen 8% 16% 61%
Kassel 13% 39% 73%
Kiel 30% 56% 82%
Noch gar nicht betrachtet werden dabei die Prämien, die Bund und teilweise auch die Länder für den Kauf neuer Autos (2010 die sogenannte Abwrackprämie, 2019 dann Prämien für den Kauf von E-Autos) ausgeben.
Und hinzu kommen die Steuerverluste, die der Staat durch das sog. »Dienstwagenprivileg« erleidet, mit dem die Anschaffung und Nutzung großer dienstlich genutzter Kfz gefördert wird.
Jährlicher Betrag der steuerlichen Absetzbarkeit von Kauf und Nutzung von Dienstwagen
In Deutschland sind das jährlich circa 2.400 Euro pro Kopf, die der Staat an dienstliche Autobesitzer und -nutzer verschenkt.
Woher »nehmen«?
Bei allen Unterschieden in der Berechnung ist unzweifelhaft, dass es hohe ungedeckte direkte und indirekt kommunale Verkehrskosten gibt, die der Allgemeinheit angelastet werden. Am stärksten subventioniert wird der Lkw-Verkehr, am wenigsten der ÖPNV, der aber im Allgemeinen als hochsubventioniert dargestellt wird, weil die Lkw- und Pkw-Kosten in den kommunalen Haushalten raffiniert versteckt werden.
Maut als faire und verursachergerechte Einnahmequelle
Um die Kosten angemessen zu decken, wäre eine Pkw-Maut als »Zwilling« zur ohnehin reformbedürftigen Lkw-Maut zwingend erforderlich. Als Straßenbenutzungsgebühr, gestaffelt nach Fahrzeugtyp (Größe, Emissionen, Gewicht) und berechnet nach der Fahrleistung.
Parallel dazu wären auch eine Abstellgebühr im ganzen Straßennetz erforderlich, um den extremen Flächenanspruch des Parkens angemessen zu berechnen. Noch hat aber die deutsche Verkehrspolitik vor solchen marktwirtschaftlichen Preisregulierungen panische Angst, während im öffentlichen Verkehr und bei der Bahn Fahrpreise, Fahrpreiserhöhungen und beim Schienenverkehr die Schienenmaut und Stationsgebühr ohne große Diskussion bleiben und das angebliche Defizit regelmäßig beklagt wird.
Würden solche Analysen zur Routine geordneter Haushaltsführung gehören, dann wäre sehr schnell offenkundig, dass Bau und Betrieb der Straßennetze für den Autoverkehr für alle Gebietskörperschaften bzw. Baulastträger ein »Fass ohne Boden« sind und die Haushalte über alle Maßen belasten. Zumal jetzt immer offenkundiger wird, dass der Zustand vieler Straßen und Brücken und auch vieler Parkhäuser alterungsbedingt immer schlechter wird. Um die schnell wachsenden Kosten dafür abzufedern und die hohe Subventionierung des Autoverkehrs abzubauen, wäre eine kostendeckende Maut für Fahren und Parken notwendig. Ihre Einführung würde schnell zu einer massiven Abnahme des Autoverkehrs führen, weil weniger gefahren wird und viele Menschen aus der Automobilität aussteigen würden – weil sie bei wahren, fairen Preisen zu teuer ist.
Wahre und faire Preise für Mobilität
Der Aufschrei, dass dann nur noch Reiche am Autoverkehr teilnehmen können, ist dann allerdings zu erwarten. Aber beim öffentlichen Verkehr werden prohibitive Preise regelmäßig in Kauf genommen. Und er wird seit Jahrzehnten als Defizitbringer diskreditiert. Um hier Vernunft einkehren zu lassen, sind zunächst klare und faire Regeln zur Kostenermittlung (direkte wie indirekte Kosten) und zur Kostenanlastung (fahrleistungsabhängig und schadensbezogen) erforderlich.
Schienenmaut stranguliert die Verkehrswende
Ohne solche Regeln wird es weiter so bleiben, dass der Schienenverkehr eine Maut für die Netz- und Stationsnutzung zahlen muss, die auf die Nutzer umgelegt wird. Für jeden km, den ein Zug heute fährt, muss er eine Schienenbenutzungsgebühr an den Netzinhaber bezahlen. Hinzu kommen die Stationsgebühren für jeden Halt an einem Bahnhof und Haltepunkt. Die Schienenmaut wird nach Streckenkategorie und Zuggattung gestaffelt, ebenso gibt es Staffelungen der Stationsgebühr. Beide Mautkomponenten bremsen erheblich den Marktehrgeiz der Schienenverkehrsbetreiber, weil jedes Mehrangebot zusätzlich zu den ohnehin schon anfallenden Vorhaltekosten für Fahrzeuge und Personal weitere Kosten verursacht. Der Ausbauehrgeiz für das Straßennetz wird bei den Baulastträgern durch keine Defizitängste gebremst, ebensowenig wie der Ausbauehrgeiz beim kommunalen Parkraum. Das wäre ganz anders bei einer vergleichbaren Regelung auch für den Pkw- und Lkw-Verkehr (Fahren und Parken) auf deutschen Straßen.
Kapitalmarktnachteile für die Bahn
Die Bahn hat auch noch das Problem, dass sie einen Großteil ihrer Investitionsmittel für Fahrzeuge, Trassen und Stationen auf dem Kapitalmarkt aufnehmen muss, zu den dort jeweils geltenden Zinsbedingungen. Das ist im Vergleich zum Straßenbau, der seine Mittel aus dem laufenden Haushalten erhält, ein gravierender Nachteil, der dem Publikum aber in der Regel nicht bewusst ist.
Sparpolitik als Strategie im öffentlichen Verkehr
Aus diesen Finanzierungsregularien resultiert, dass im öffentlichen Verkehr und speziell bei der Bahn Sparen strategischer Imperativ ist. Deswegen ist das Netz der Bahnen so marode, weil man lange Zeit die Unterhaltung und Modernisierung des Netzes und der Stationen vernachlässigt hat. Lieber hat man die Infrastruktur auf Verschließ kaputtgenutzt, weil dann oft ein Neubau erforderlich wird, Und den zahlt dann der Bund. Zur Sparpolitik gehörten auch die vielen Stilllegungen und Bahnhofsschließungen und – Verkäufe der letzten Jahrzehnte. Und dazu gehörte der starke Personalabbau. Und auch die Kreise haben im Bereich der Busverkehre die übliche Sparpolitik praktiziert, mit Angebotsbeschränkung im ländlichen ÖPNV mit ausgedünnten Netzen und Takten. Aus der finanziellen Not der Aufgabenträger und Verkehrsunternehmen resultierten dann die regelmäßigen Tariferhöhungen bei den Verbünden. Personifiziert wurde die Sparpolitik im früheren Bahnchef Hartmut Mehdorn, der explizit vom damaligen Bundeskanzler Gerhard Schröder die Aufgabe erhalten hatte, als Sparkommissar und Rationalisierer die öffentlichen Lasten für die Bahn zu verringern.
Gäbe es auch einen staatlichen Sparkommissar für das Straßenwesen, dann müsste man viele Bundesfernstraßen wegen erwiesener Ineffizienz und nicht ausreichender Nutzung stilllegen und sofort aufhören, weitere Straßen und Parkhäuser zu bauen, weil sich die öffentliche Hand das nicht mehr leisten kann. Oder man müsste die anfallenden Kosten konsequent auf die Nutzer umlegen.
Trotzdem massive Geldverschwendung bei bestimmten Investitionen
Im scheinbaren Widerspruch zum Sparzwang steht allerdings die völlig unkontrollierte Ausgabenwut der Bahn bei ihren angeblich presitiegeträchtigen Großprojekten der Hochgeschwindigkeit und der Bahnhofsspekulation. Hier wird ein Großteil der Kosten vom Bund als Zahlmeister aufgebracht. Wie bei fast allen Großprojekten explodieren dann regelmäßig die Kosten, nicht selten um das bis zu Zehnfache der ersten Kostenberechnungen. Man würde sich wünschen, dass die Grundsätze sparsamer Haushaltsführung und kostenbewußter Projektierung bei solchen Großprojekten konsequent angewendet würden. Doch stattdessen sind es wie bei Stuttgart 21, dem fiskalischen Fass ohne Boden, die frühen politischen Festlegungen der mächtigen Landes- und Bundesfürsten auf solche angeblich glanzvollen Projekte, die zur maßlosen Investitionsmonopolisierung auf solche Projekte führen. Während die wirklich wichtigen, netzrelevanten kleinen Projekte wie die Reaktivierung stillgelegter Bahnstrecken, der Aufbau dezentraler Güterbahnstrukturen, die Aufbau kleiner ländlicher S-Bahnsysteme, der Einbau der vielen fehlenden Weichen, die nachholende Elektrifizierung des Netzes und die Beseitigung der vielen Langsamfahrstellen wegen mangelnder Finanzierungsmöglichkeiten auf die lange Bank geschoben werden.
GVFG als fiskalischer Rettungsanker
Die Untauglichkeit der bestehenden Verkehrsfinanzierung wurde erstmals Ende der 1960er Jahre öffentlich diskutiert. Gestützt auf ein Gutachten einer vom Bundestag eingerichteten Kommission wurde im Einvernehmen zwischen Bund und Ländern und mit Applaus der kommunalen Spitzenverbände das Gemeindeverkehrsfinanzierungsgesetz (GVFG) verabschiedet. Dies geschah mit Blick auf die schnell wachsenden Verkehrsprobleme der Großstädte, die mit der Finanzierung nötiger Verkehrsinvestitionen überfordert waren. Deswegen haben sich Bund und Länder auf ein Programm zur Verbesserung der kommunalen Verkehrsverhältnisse verständigt und einen Teil der Mineralölsteuer für das GVFG-Programm reserviert. Allerdings trauten sich Bund und Länder zunächst nicht zu einer eigentlich schon damals naheliegenden Priorität für den ÖPNV, sondern förderten parallel auch den kommunalen Straßenbau. Im Laufe der Jahrzehnte wurden die GVFG-Mittel immer wieder aufgestockt und die Aufteilung zwischen Straße und Schiene mehrfach verändert, je nach verkehrspolitischer Konjunktur mal mehr zu Gunsten des öffentlichen Verkehrs oder des Straßenverkehrs.
Die meisten ÖPNV-Fördermittel gingen zunächst in den U-Bahn- und Stadtbahnbau in Großstädten und Metropolen. Hinzu kamen diverse große Neubauprojekte für Straßentunnel und neue Straßenbrücken.
Der ländliche Raum ging bei der ÖPNV-Förderung aus dem GVFG weitgehend leer aus. Zudem war das Fördersystem sehr schwerfällig, weshalb es einen langen Antragsstau und eine sehr langsame Umsetzung gab, zumal Planung und Bau von Tunnelstrecken extrem teuer und langwierig waren.
Formalisierte Geschwindigkeitsfixierung der GVFG-ÖPNV-Förderung mit der Standardisierten Bewertung
Grundlage der ÖPNV-Förderung nach GVFG wurde die sogenannte »standardisierte Bewertung«, in der der Faktor Reisezeitgewinn verabsolutiert wurde (»time is money«). Prioritäre gefördert wurden Schienenprojekte auf eigenem Gleiskörper und mit Stadtbahnstandard. Das führte zu zahlreichen unnötigen Tunnelprojekten des U-Bahn- und Stadtbahnbaus. Die »alte« Straßenbahn dagegen galt plötzlich als zu langsam, antiquiert und wurde daher in vielen Orten schrittweise abgebaut, leider auch die bis dahin sehr effizienten »Überlandstraßenbahnen«, die auf sehr kostengünstige Weise mit einfachen Standards die Kernstädte mit ihrem Umland verbanden. Die Forderung nach einem eigenen Gleiskörper sorgte für den immer weiteren Rückzug der Straßenbahnen aus den Quartieren, weil in normalen und schmalen Straßen kein Platz für eigene, separate Gleise blieb. Es sei denn, man holzte dafür Alleen ab und kassierte Parkstreifen. Beides führte dann immer öfter zu Bürgerwiderstand gegen neue Stadtbahnstrecken. Und die Planer wichen dann lieber gleich unter die Erde aus. Das verteuerte solche Projekte meist mindestens um den Faktor 10. Und daher gab es nur sehr kleine Netzfortschritte, zumal der Bau oft Jahrzehnte dauerte.
Vernachlässigung der Fläche bei den Bahninvestitionen
Ein Ergebnis der falschen Orientierung auf hohe Geschwindigkeiten war die immer stärkere Vernachlässigung der Fläche. Bund und die DB beschränkten ihre Investitionen auf wenige Prestigeprojekte des ICE-Netzes. Prioritär gefördert wurden außerdem teure, immobilienwirtschaftlich motivierte Bahnhofsumbauten wie Stuttgart 21, bei denen die Gleise im Tunnel verschwinden sollten, um oben Platz für neue Hochbauprojekte zu machen. Zunächst hatte die Bahn neben Stuttgart 21 auch in Frankfurt und München andere 21er Projekte geplant.
Für ländliche Bahnprojekte gab es nur sehr wenige Investitionen. Im ländlichen Raum war die Bahn auf dem Rückzug. Es gab immer mehr Streckenstilllegungen und Bahnhofsschließungen. Sie betrafen zunächst vor allem den Personenverkehr, später dann auch den Güterverkehr. Ein Großteil der Gütergleisanschlüsse und der Güterannahmetarifpunkte wurde geschlossen, ebenso viele Güterbahnhöfe in Klein- und Mittelstädten und in ländlichen Regionen. Damit wurde die Bahn immer mehr zur »Schrumpfbahn« und »Korridorbahn«.
Die Flächenbahn als Zukunftskonzept
Zur Nummer eins im Verkehr können die Bahnen erst wieder avancieren, wenn sie der Logik einer Flächenbahn folgen, die sich auch um ländliche und dünn besiedelte Regionen kümmert und auch die kleinen Nachfragemengen in den sogenannten »Nebennetzen« bedient, nach dem landwirtschaftlichen Grundsatz »Kleinvieh macht auch Mist«. Nur wenn die Bahn überall im Land ein ausreichendes Verkehrsangebot macht und »nichts links liegen lässt«, wird Verkehrswende möglich. Dazu gehört auch eine angemessene Systemergänzung mit dem kommunalen und regionalen Busverkehr.