„Elektromobilität als neuer Reform-Furz“
Ein Interview von Reinhard Jellen mit Winfried Wolf, Verfasser von „Mit dem Elektroauto in die Sackgasse“ (April 2019)
Herr Wolf, Sie schreiben in Ihrem Buch, dass es bei der E-Mobilität nicht um Umweltverträglichkeit geht. Worum geht es dann?
Es geht im Grunde um drei Dinge. Erstens aus Sicht der Öl- und Autokonzerne um einen neuen Reform-FURZ, mit dem sie ihre Glaubwürdigkeitskrise – Stichwort: Dieselgate und Feinstaub-Belastung – überwinden und einen neuen Autoboom, stark von staatlichen Subventionen gepampert, starten können. Zweitens geht es den politisch Verantwortlichen in Berlin und Brüssel darum, es der wichtigsten politischen Lobby recht zu machen und gleichzeitig in der Öffentlichkeit das Gesicht wahren zu können, indem anscheinend ein „Weg aus der fossilen Wirtschaft“ beschritten wird. Drittens geht es um China bzw. um die Industriepolitik der chinesischen Führung.
Dann eines nach dem anderen. Was hat es mit diesem höchst anrüchigen „Reformfurz“ auf sich?
Ich beobachte seit Mitte der 1970er Jahren, dass die Autoindustrie in allen großen Krisen – ökonomische Krisen und Glaubwürdigkeitskrisen – es immer wieder geschafft hat, ein Reformprojekt zu propagieren, das die Öffentlichkeit und meist auch ein größerer Teil der Umweltbewegung immer dankbar aufnahm – das jedoch am Ende immer auf ein-und dasselbe hinauslief: es kam zu einem neuen Boom der Autoproduktion und zu einer weiteren Steigerung der Pkw- und Kfz-Dichte. Wir hatten da Mitte der 1970er Jahre – Stichwort: Ölkrise 1973 und Autokrise 1974/75 – die Katalysator-Debatte. Wir hatten nach der Autokrise 1980-82 die Debatte über das „Waldsterben“ mit dem „Großversuch Tempo 100“. In den 1990er Jahren gab es die Reformidee „Swatch-Car“: der Schweizer Milliardär und Uhren-Zampano Hajek wollte, ähnlich der lustigen bunte Swatch-Uhr, lustige bunte kleine Elektro-Autos, „swatch-cars“, bauen lassen. Querdenken wie Frederic Vester und Daniel Goeudevert propagierten das querparken in den Citys und Züge, die die kleinen netten Stadtflitzer transportieren sollten (natürlich auch mit Bahnsteigen, auf denen man quer in die Züge rollen würde können). Daraus wurde dann der profane Benziner-Smart mit einet homöopathischen Dosis von Elektro-Smarts. In den Nuller-Jahren war es dann der „Bio-Sprit“ – Kraftstoffe auf agrarischer Basis sollten die CO-2-Belastung reduzieren – sogar der Weltklimarat ist darauf ein paar Jährchen lang hereingefallen.
Und jetzt kam halt nach der massiven Krise der Weltautobranche 2008/2009 die „Elektromobilität“. Ich nenne das einen Reformfurz. Dieser riecht auch wirklich abgestanden. Vor 110 Jahren, als Henry Ford mit der Serienproduktion von Pkw begann, gab es weit mehr Elektroautos als solche mit Benzin- oder Diesel-Antrieb. Der Verbrenner-Pkw obsiegte – aus nachvollziehbaren Gründen. Es gab auch in den 1980er und 1990er Jahren massive Investitionen in Elektro-Pkw. Die Elektro-Pkw konnten sich weder vor 110 Jahren noch vor 25 Jahren durchsetzen – im Grunde aus den gleichen Gründen, die dieser Technik auch heute im Weg steht: es sind noch schwerere Autos, es gibt lange Ladezeiten, es bleibt bei kurze Reichweiten. Es kommt zu massiven neuen Abhängigkeiten von knappen Rohstoffen.
Jetzt allerdings sieht es anders aus. Die Elektro-Autos werden sich wohl als Stadt-Autos in wichtigen Industriestaaten durchsetzen – einfach weil das die derzeit gut verkaufbare Reformidee ist. Und weil es den Faktor China gibt.
Ist die E-Mobilität überhaupt in einem relevanten Ausmaß umweltverträglich?
Nein. E-Mobility in Form einer großen Zahl von Elektro-Autos wird immer umweltzerstörend, stadtbelastend und den Klimawandel beschleunigend sein. Sechs Stichworte: Erstens gibt es diesen „ökologischen Rucksack“: die Herstellung jedes je E-Pkw ist mit massiv mehr CO-2 verbunden als die Herstellung eines herkömmlichen Pkw. Zweitens ist der Strom-Mix in Deutschland und weltweit absehbar auf längere Zeit in erheblichem Maß von fossilen Energieträgern geprägt. Hierzulande können wir froh sein, wenn in drei Jahren, wenn die letzten AKW – hoffentlich! – vom Netz gehen, die Erneuerbaren dann soweit ausgebaut sein werden, dass sie die aktuell 13 Prozent Atomstrom ersetzen können. Doch es bleibt dann zunächst einmal bei 40% Braunkohle- und Steinkohle-Strom. Drittens führt eine größere Zahl von E-Autos zu einer gesteigerten Stromnachfrage. Damit aber verschärft sich die genannte Problematik des Strom-Mixes. Vor allem übt dies einen massiven Druck aus in Richtung Ausbau der Atomstrom-Kapazitäten. In China z.B. droht die Verdopplung der Zahl der Atomkraftwerke (von knapp 40 auf rund 80). Viertens gibt es die Rebound- oder Bumerang-Effekte: E-Autos sind zu mehr als 50 Prozent Zweit- und Drittwagen. Mit ihnen wird ausgerechnet in den Städten der Autoverkehr noch mehr verdichtet. Die Krise des ÖPNV vertieft sich, da potentielle ÖPNV-Nutzer nun mit „grünem Gewissen“ mit dem E-Pkw durch die City surfen, dann noch fröhlich Bus-Spuren und Gratis-Strom nutzend. Fünftens gibt es diesen bewussten Denkfehler, wonach eben nur „die ANTEILE“ von E-Autos zu steigern wären. Absolut aber vergrößern sich in Deutschland, in der EU und weltweit die Flotten der herkömmlichen Pkw und die neue Flotte der Elektro-Autos. 2018 wurden in Deutschland zwar 80.000 E-Pkw abgesetzt. Doch die Zahl der herkömmlichen Pkw nahm netto um mehr als 600.000 Pkw zu. Ähnlich sieht e sin China aus. Alles wächst – und damit wachsen die CO-2-Emissionen allüberall. Für das Klima ist es irrelevant, woher die CIO-2-emissionen stammen. Und es ist unwichtig, ob sich gleichzeitig der Anteil der E-Pkw erhöht hat, wenn doch absolut alles wächst.
Und last but not least gibt es mit den wachsenden Pkw-Flotten die Ergänzung von peak-oil um peak-copper, peak-cobalt, peak-lithium usw. Das heißt, die neue Automobilität ist weiterhin geprägt von der latenten Ölknappheit und nun zusätzlich von der sich verschärfenden Knappheit anderer strategischer Rohstoffe. Wobei das Mobilitätsmodell das althergebrachte ist: die reichen Industrienationen besorgen sich die strategischen Rohstoffe für ihre Automobilität in den armen Ländern Afrikas, Asiens und Lateinamerikas.
Und wenn das E-Auto wirklich zu 100 Prozent aus Strom aus erneuerbaren Energien betrieben und auch in der Herstellung nur Energie aus Erneuerbaren verwendet werden würde?
Hätte, hätte, falsche Gedanken-Kette. Das sind lächerliche, niemals verwirklichbare Wunschvorstellungen. Doch auch wenn es so wäre, so bleibt es doch bei den Systemnachteilen, die mit jeder individuellen Motormobilität verbunden ist: Ein Auto, egal mit welchem Antriebsstrang ausgestattet, frisst vier Mal mehr Fläche als für einen effizienten ÖPNV benötigt würde. Autoverkehr ist weltweit mit 1,2 Millionen Straßenverkehrstoten verbunden. Verkehr mit Pkw, auch mit Elektroautos, bedeutet. Je mehr Autos, desto langsamer die durchschnittliche Geschwindigkeit. Aktuell liegt sie in Los Angeles bei 17 Stundenkilometer. In deutschen Städten eventuell bei 20 km/h. Das ist die Geschwindigkeit eines eher unsportlichen Fahrradfahrers. Jüngst veröffentlichte die New York Times einen Bericht, in dem im Detail belegt wird, wie die Pkw-Geschwindigkeit in den US-Städten kontinuierlich sinkt. Und wohlgemerkt: Wenn alle Pkw in Los Angeles Tesla oder auch Renault Zoe wären, dann bliebe es bei diesem absurden Ergebnis: eine Blechlawine, die sich in Radlergeschwindigkeit bewegt.
Warum setzen sich dann die Medien so massiv dafür ein?
Die Medien sind zunächst mal – banal gesagt – Überbau: medial-politischer Teil einer ökonomischen Basis, die von einer Öl- und Autoindustrie, inzwischen – mit e-mobility eng mit den Rohstoffkonzernen Glencore, Rio Tinto und Vale verbunden – bestimmt wird. Diese gewaltige Macht der Autoindustrie durchdringt die Verästelungen der Politik und bestimmt in erheblichem Maß die Medien über direkt bezahlte Anzeigen und über die „Motorsport-Seiten“ und Motorsport-Sendungen (Formel 1!) der Medien. Man muss ja nur den Spiegel, den Stern, den Focus durchblättern oder sich Massenblätter wie Auto-Bild und auto-motor-sport oder die ADAC motorwelt – letztere mit 13 Millionen Leserinnen und Lesern – zur Hand nehmen, um festzustellen: das Thema Auto ist absolut vorherrschend.
Welche und wieviel Ressourcen werden beim Bau eines E-Autos verbraucht, und wie lange braucht es, bis sich dieses ökologisch amortisiert?
Beim „ökologischem Rucksack“ ist davon auszugehen, dass man mit einem E-Auto mindestens 50.000 km fahren muss, bis der abgetragen und die – vermeintlichen – Umwelt- und Klimavorteile eine E-Pkw im eigentlichen Verkehr überhaupt erst relevant werden. Es ist ja viel – zu Recht! – die Rede von Lithium und Kobalt. Lithium, das in der Regel in wasserarmen Regionen mit riesigen Mengen Wasser gefördert werden muss. Kobalt, das mit Kinderarbeit und Kriegen verbunden ist. Doch es gibt auch ganz banale Rohstoffe, über die kaum debattiert wird. Ein E-Pkw benötigt z.B. mindestens drei Mal so viel Kupfer wie ein herkömmliches Auto. Auch Kupfer ist ein knapper Rohstoff, der meist unter bedenklichen – die Gesundheit von Zehntausenden Menschen belastenden Umständen gefördert wird.
Ganz grundsätzlich: Der VW-Käfer wog 700 kg und beförderte im Durchschnitt 1,4 Personen oder 120 kg Mensch. Der VW Golf wiegt 1.300 kg; er befördert inzwischen nur noch durchschnittlich 1,2 Personen oder 90 Kilogramm Mensch. Der E-Golf wiegt 1600 Kilogramm. Und ein Tesla S bringt dann 2.100 Kilogramm auf die Waage. Der technische Fortschritt besteht darin, dass es immer mehr Totgewicht – und damit immer mehr Ressourcenverbrauch – gibt, während gleichzeitig damit immer weniger befördert wird.
Sie schreiben, dass das E-Auto komplementär zum SUV ein Luxusauto sei. Warum das?
Zunächst gibt es da den sogenannten „funktionalen rebound“, einen weiteren Bumerang-Effekt. Indem Brüssel und Berlin ein E-Auto als Null-Emissions-Pkw einstufen, gestatten sie den Autoherstellern, diese Zero-Emission-Vehicles auf ihre gesamte Flotte anzurechnen und faktisch den Trend mit immer mehr SUVs mit herkömmlichen Antrieben fortzusetzen. Sodann sind viele der neuen SUVs reine Elektroautos – so der Porsche Taycan, der Audi e-tron oder der Daimler EQC. Der EQC beginnt bei einem Kaufpreis von 70.000 Euro, hat 408 PS, beschleunigt von 0 auf 100 in 5,1 Sekunden und wiegt 2.400 Kilogramm. Der Audi e-tron beginnt bei 80.000 Euro, hat ebenfalls 408 PS, braucht 5,7 Sekunden bis zu Tempo 100 und wiegt 2500 Kilogramm. Der Porsche Taycan hat einen Einstiegspreis von 99.000 Euro, ist bereits nach 3,5 Sekunden auf Tempo 100 und hat 600 PS – das Gewicht scheint noch ein Betriebsgeheimnis zu sein. All das sind natürlich laut EU-Vorgaben Null-Emissions-Fahrzeuge. Das ist schlicht pervers.
Wie sieht es mit der Unfallgefahr durch E-Autos aus?
Das nochmals größere Gewicht, die deutlich größere Beschleunigung und die bis zu Tempo 40 geringe Lärmemission – teilweise auch Lautlosigkeit – erhöhen die Unfallgefahr. Dafür gibt es in den USA belastbare Statistiken. Das führte in den USA zu der gesetzlichen Auflage, dass E-Pkw künstlich einen Sound generieren müssen, damit sie im Stadtverkehr mit dem Gehör wahrzunehmen sind. Da es bei uns bislang solche Auflagen nicht gibt, fahren hierzulande solche E-Pkw bei den niedrigen Geschwindigkeiten weitgehend lautlos – sie sind also mit einem größeren Unfallgefährdungspotential verbunden. Die Verbände, die die Interessen von Menschen mit Behinderungen vertreten, thematisieren das seit langem. Wobei der angebliche Vorteil der Lautlosigkeit bei Geschwindigkeiten von mehr als 40 Stundenkilometern dann nicht mehr gegeben ist. Ab diesem Geschwindigkeitslevel überwiegen beim E-Pkw-Verkehrslärm die Roll- und Luftwiderstandsgeräusche. E-Pkw sind also dann ebenso laut und ebenso mit Lärmbelästigung verbunden wie Pkw mit herkömmlichem Antriebsstrang.
Wie viele Ladestationen müsste es in Deutschland geben, um eine flächendeckende E-Mobilität zu gewährleisten und welche Probleme sind damit verbunden?
Es gibt heute in Deutschland 14.000 Tankstellen mit im Durschnitt rund zehn Zapfsäulen. Ein Tankvorgang (ohne Gang in die Tankstelle zum Bezahlen) ist auf fünf Minuten zu veranschlagen. Ein Ladevorgang eines Elektroautos ist selbst dann, wenn die Batterie nur zu gut 70 Prozent geladen wird, auf mindestens 30 Minuten – oder das Sechsfache der Betankungszeit – zu veranschlagen. Die geringere Reichweite eines E-Pkw im Vergleich zu einem Pkw mit Benzin- oder Dieseltank erhöht diesen Faktor auf rund 10. Wollte man nur 10 % des aktuellen Pkw-Bestands an Elektro-Autos haben – das wären dann knapp 5 Millionen Elektroautos – bräuchte man demnach bundesweit ebenfalls rund 14.000 leistungsstarke „Strom-Tankstellen“. Wobei es – siehe das oben Gesagte – ja weiterhin die „klassischen“ Benzin- und Diesel-Tankstellen geben wird. Das läuft auf eine Verdopplung der Tank- bzw. Ladestationen hinaus. Entsprechend auf doppelt so große, für Betankung bzw. für die Strom-Beladung vorzuhaltende Flächen hinaus.
Das zu stemmen ist bereits eine Herkules-Aufgabe. Doch noch größer sind die Probleme und die Geldsummen, die mit einer solchen Ladestruktur verbunden sein würden. Dafür müsste ein leistungsstarkes Stromnetz aufgebaut werden. Und dafür müssten mehrere Dutzend Milliarden Euro investiert werden. Und all dies, wohlgemerkt, für eine ergänzende Mobilität, die eher von einer besser verdienenden Mittelschicht praktiziert werden wird. In Norwegen wird bereits offiziell beim Kauf eines neuen Pkw darauf hingewiesen, dass dringend zu einer eigenen Stromquelle geraten wird. Das ist Mittelstandsmobilität mit eigenheim, Carport oder Garage und Wall-Box. Dann noch mit Zeitschalter, damit man 2intelligent um 1-3h früh in der Nacht preiswert Strom tanken kann.
Sie nannten eingangs das Stichwort „China“. China ist der größte Absatzmarkt für Autos. Und China ist das bedeutendste E-Auto-Herstellerland.
Man kann die Euphorie über Elektromobilität nur verstehen, wenn man die weltweite Situation des Kapitalismus im Allgemeinen und die der Weltautoindustrie untersucht. China ist die absolut entscheidende, aufsteigende Wirtschaftsmacht. Das Land hat es in so gut wie allen Industrie- und Dienstleistungssektoren geschafft, an die Spitze der jeweiligen Branche vorzustoßen: mit Lenovo im PC-Bereich, mit Huawei im Bereich Telekommunikation und Smartphones, mit kuka im Bereich Robotorisierung und Automatisierung, im Bereich Hochgeschwindigkeitszüge mit CRRC.
Nur ausgerechnet im Bereich der Autoindustrie gibt es China faktisch nicht. Es gibt keinen einzigen großen chinesischen Autokonzern, der an der Spitze der Weltautobranche mitmischen würde. Geely mit Volvo (und Proton) ist da immer noch ein Nischenanbieter. Doch die Autoindustrie ist nun mal seit rund hundert Jahren die Schlüsselindustrie des Weltkapitalismus. As sieht auch die chinesische Partei- und Staatsführung so. Sie identifizierte 2017 den Sektor der „New Energy Vehicles“ (NEV) als „eine von zehn Industrien, in der China einen nationalen Champion, der auf dem Weltmarkt wettbewerbsfähig ist, schaffen will“ (Financial Times vom 11.9.2017). Deshalb gilt in China seit dem 1. Januar dieses Jahres die Quote. Nicht die Frauen-, aber die Autoquote: 10 Prozent aller Pkw, die in China gebaut, verkauft oder importiert werden, müssen Elektroautos sein (oder Brennstoffzellen-Pkw oder Hybrid-Pkw, also solche mit Verbrenner- und E-Motoren). Ab 1.1.2019 sind es 12 Prozent. Später wird die Quote noch höher liegen.
Die ganz großen US-amerikanischen, japanischen und deutschen Autohersteller schaffen diese Quote zunächst nicht. VW z.B. müsste 2019 rund 400.000 Elektro-Auto in China auf den Markt bringen – 10 Prozent des gesamten Absatzes. Das ist aktuell technisch noch nicht machbar. Macht nichts, sagt die chinesische Führung. Das ist wie im Mittelalter beim Ablaßhandel; es gilt Johann Tetzel: „Sobald der Gülden im Becken klingt im huy die Seel im Himmel springt“. Die Autokonzerne können sich zunächst mit „credits“ freikaufen – hunderte Millionen US-Dollar an Strafgeldern, die an die chinesische Konkurrenz zu zahlen sind.
Das können VW, GM oder Toyota zunächst verschmerzen – die Extraprofite, die sie in China erzielen, sind gewaltig. Doch auf Dauer wollen sie natürlich ihre Gewinne weiter 1:1 in die Scheune einbringen und nicht noch mit Strafzahlungen die Konkurrenz hochpäppeln. Daher starteten sie Ende 2017 mi der größten Investitionsoffensive in der Geschichte der Weltautoindustrie: In den nächsten zehn Jahren werden die 20 größten Autokonzerne sollen rund 300 Milliarden Euro in die E-Pkw-Herstellung und Entwicklung. Mehr als 40 Prozent davon oder 140 Milliarden Euro stemmen allen VW, Daimler und BMW. Damit ist klar: Die e-mobility kommt -. Wenn auch als ergänzende Mobilität in den Städten und mit der Gesamtbilanz einer nochmals massiv gesteigerten Pkw-und Kfz-Dichte. Dieses andauernde Gejammer der Motorjournalisten und der Umweltverbände, wonach die deutschen Autokonzerne die „Elektromobilität verschlafen“ hätten, ist blanker Unsinn. Sie haben sinnvollerweise solange gewartet bis klar war, dass die E-Pkw-Mobilität erzwungen wird –und bis klar war, dass es ausreichende staatliche Subventionen gibt, um sich unnötige Entwicklung- und Absatzkosten zu sparen. Diese Voraussetzungen sind seit dem 1. Januar 2019 gegeben. Und schon geht es in die Vollen. Der VW-Boss Helmut Diess ist ja Opportunist genug zu sagen, er werde in Bälde in dann Hambacher Forst übersiedeln, um den Protest gegen den Braunkohle-Abbau zu unterstützen.[1] Wer heute auf Seiten der Umweltverbände und der Grünen behauptet, die Elektromobilität müsse gegen die deutschen Autokonzerne durchgesetzt werden, ist schlicht ignorant. E-mobility ist der große Trend. Ist main-stream. Ist der neue Reform-Furz, mit dem der nochmals perversere, tödliche Siegeszug der Automotorisierung umweht wird.
Sie schlagen als Gegenmittel zum E-Verkehr eine “umweltverrträgliche Stadtmobilität“ und, damit verbunden “eine Stadt der kurzen Wege“ vor: Wie müssten generell die politischen Stellschrauben für eine mensch- und umweltadäquate Politik verändert werden und wie wollen Sie diesen Wandel erreichen?
Allein um diese Frage zu beantworten, benötige ich in dem Buch rund 30 Seiten. Oder auch: Das wäre ein eigenes Interview wert. Doch lassen Sie mich den Versuch starten, dafür zumindest eine Skizze zu liefern. Ich schlage konkret ein 12-Punkte-Programm vor. Aus diesem Katalog seien drei Punkte herausgegriffen, die meines Erachtens niemand in dieser Form thematisiert.[2] Es muss erstens zu einer grundsätzlichen Veränderung der Verkehrsmarktordnung kommen: die grünen Verkehrsarten zu Fuß Gehen, Fahrradfahren und der ÖPNV müssen priorisiert, die Subventionierung der „roten“ Verkehrsarten Pkw-Verkehr, Lkw-Verkehr, Flugverkehr und Seeschifffahrt muss beendet bzw. die externen Kosten dieser die Umwelt und das Klima belastenden Verkehrsarten müssen in die Kosten, die bei der Nutzung dieser Mobilitätsformen real anfallen, integriert werden. Rot wird teurer, grün preiswerter. Mehr noch: Im ÖPNV gilt generell ein Nulltarif. Ein ganz essentieller Teil dieser geänderten Verkehrsmarktordnung sind Geschwindigkeitsbegrenzungen von 120 auf Autobahnen, 80 km/h auf Bundes- und Landstraßen und 30 km/h im Stadtverkehr. Diese Forderung ist in Deutschland besonders wichtig. Es geht dabei auch um Massenpsychologie. Um das Umsetzen eines seit Mitte der 1970er Jahren vorhandenen Mehrheitswillens, den die Mehrheit im Bundestag seit einem halben Jahrhundert souverän missachtet. Es geht um eine sofortige, deutliche Reduktion der jährlichen CO-2-Emissionen. Und es geht um mindestens 250 Menschen im Jahr, deren Leben mit einem Autobahn-Tempolimit gerettet wird, um Menschen, die nicht mehr Opfer dieser mörderischen Tempofreiheit auf großen Strecken des deutschen Autobahnnetzes werden.
Die zweite meiner „besonderen Forderungen“ ist eine massive Reduktion der Verkehrsinflation, der erzwungenen Verkehrswege und der erzwungenen Transportinflation. Dies soll erreicht werden durch eine „Strukturpolitik der kurzen Wege“, durch die Förderung von Dezentralität und Nähe, die Qualitätsverbesserung der Wohnquartiere, was den Freizeitverkehr stark reduziert. Und durch eine Reduktion des Güterverkehrs durch dessen Verteuerung und Regulierung: u.a. mit einer Verdreifachung der Lkw-Maut, einer Verallgemeinerung der Lkw-Bemautung, mit Nachtfahrverboten für Lkw, mit einer Begrenzung der Lkw-Größen, mit einer deutlich höheren Besteuerung von Dieselkraftstoff, mit einer massiven Besteuerung von Schweröl in der Seeschifffahrt usw. Alle kennen diese Beispiele mit Bauteilen und agrarischen Gütern, die rund um den Globus transportiert werden, bis sie zu einem Produkt, das dann erneut transportiert wird, zusammengefügt werden. Um nur ein krasses Beispiel herauszugreifen: 2017 wurde aus Deutschland lebende Millionen Tiere im Wert von 1,34 Milliarden Euro exportiert, um in einem anderen Land geschlachtet zu werden (wobei das Fleisch dann oft zu uns zurück transportiert wird). Allein aus dem österreichischen Bundesland Salzburg wurden 2018 37.000 junge (oft nur drei Wochen alte) Kälber nach Bozen in Südtirol transportiert. Bozen ist dabei nur eine Sammelstelle. Von dort gehen die Transporte oft weiter nach Spanien – in einen Schlachthof. Die blutjungen Kälber „ernähren“ sich auf dem Weg zur Schlachtbank „über eine auf Gumminippeln bereitgestellte Flüssigkeit“. Das gesamte Bundesland Salzburg beschäftigt dabei einen einzigen „Tierschutzombudsmann“, der für „das Tierwohl zuständig“ ist.[3] Nimmt man diese Zahlen aus einem kleinen österreichischen Bundesland, dann muss man davon ausgehen, dass EU-weit in jedem Jahr hunderte Millionen Tiere lebend eine tage- und wochenlange, qualvolle Reise zum Ort ihrer Schlachtung erleben.
Die dritte Besonderheit in meinem Forderungskatalog betrifft den Umgang mit der Autobranche selbst. Ich glaube, dass diese Industrie aufgrund ihrer Macht, ja Allmacht, und aufgrund der kriminellen Energie, mit der sie – Stichwort: massenhafter vorzeitiger Tod von Menschen durch den gesetzwidrigen Einbau sogenannter Abschaltvorrichtungen in den Verbrenner-Motoren – agiert, unter gesellschaftliche Kontrolle gestellt werden muss.[4] Die Macht der Autokonzerne muss durch Enteignung, Verstaatlichung und Vergesellschaftung gebrochen werden. Auf eine andere Weise wird man die notwendige Verkehrsrevolution nicht verwirklichen und die Klimakatastrophe nicht abwenden können.
Das Thema Enteignung ist ja jüngst durch die rasant ansteigenden Mieten neu auf die Tagesordnung gesetzt worden. Dabei entdeckte man auch die Grundgesetzartikel 14 und 15 – bzw. die FDP entdeckte, dass man in früheren Jahrzehnten vergaß, diese Artikel aus der Verfassung herauszubrechen. All die Argumente, die zu Recht als Argumente dafür vorgetragen werden, warum Deutsche Wohnen, Vonovia & Co. zu enteignen seien, treffen auch auf die Autokonzerne zu. Bei den Immobilienkonzernen (die im Übrigen meist Produkt der Privatisierungen der 1980er und 1990er Jahren sind, also der Enteignung von öffentlichem Eigentum!), geht es „nur“ um eine – allerdings krasse – soziale Problematik. Im Fall der Autokonzerne geht es vor allem um ein existenzielles Thema: die innere Dynamik der Öl-, der Rohstoffkonzerne und der Autoindustrie gefährdet existenziell die Lebensbedingungen für die Menschheit.
Ich habe hier einen interessanten Vergleich – just auch aus dem Verkehrssektor. Ab dem Jahr 1871 wurde in Deutschland (und in großen Teilen Europas) deutlich, dass die privaten Eisenbahngesellschaften den Anforderungen der bürgerlichen Gesellschaft nach einem flächendeckenden Schienenverkehr nicht gerecht wurden. Diese privaten Eisenbahnunternehmen bauten fast ausschließlich Schienenverbindungen, die lukrativ waren und die kurzfristig hohe Gewinne versprachen. Sie erschlossen nicht die Fläche. Darauf wurden sie Gesellschaft für Gesellschaft enteignet; es kam zu einer staatlichen Eisenbahngesellschaft, der Reichsbahn. Zunächst in Form einer – im Übrigen interessanten, auch für heute lehrreiche – Kombination von Länderbahnen und zentraler Reichsbahn (wie dies auch heute für die vorbildliche Eisenbahn in der Schweiz strukturbestimmend ist: kantonale Bahnen als Teil der „Schweizerischen Bundesbahnen – SBB“. Wohlgemerkt: das ist ein Plural!). Erst auf dieser Basis kam es zu diesem 220.000 Kilometer langen Eisenbahnnetz, das es heute noch in Europa gibt – dem einzigen Kontinent, auf dem es noch eine weitgehend flächendeckende Präsenz von Schienenstrecken gibt. Dies war nur durch die Enteignung der Privaten, durch die staatliche, teils gesellschaftliche Kontrolle des Eisenbahnwesens und durch einen von der öffentlichen Hand betriebenen Ausbau des Schienennetzes verwirklichbar.
Vergleichbares gilt heute. Die Autokonzerne werden sich mit aller Macht gegen die erforderliche Verkehrsrevolution stellen. Nur auf Basis einer gesellschaftlichen Kontrolle können die stofflichen, materiellen, finanziellen und personellen Kapazitäten, die diese Branche bietet, in den Dienst der Verkehrsrevolution gestellt werden. Dass das stofflich machbar ist, dass eine Konversion der Autobranche in wenigen Jahren umsetzbar ist, hat dieselbe Autobranche bravourös in der Zeit des NS-Regimes unter Beweis gestellt: Als die Nazis 1934 den Autobossen die Aufgabe stellten, binnen zwei bis drei Jahren ihre zivile Fertigung in eine militärische zu konvertieren, waren sie dazu zu 100 Prozent in der Lage. BMW, Daimler, Opel, Borgward und Ford stellten anstelle von Pkw und Lkw dann Panzer, Flugzeugmotoren und Munition her. Sie expandierten durch Hochrüstung und Krieg. VW wurde erst durch die Vorbereitung auf den großen Krieg geschaffen.
Wenn diese gewaltige Konversion von ziviler Fertigung auf militärische Produktion möglich war, dann ist natürlich eine Konversion von Pkw, SUV und Lkw-Bau in Lok-Bau, Waggonherstellung und Bus-Fertigung – und hier bitte nicht primär für Elektrobusse, sondern primär für Oberleitungsbusse![5] – machbar.
Was das Kleinteilige des Programms für eine Verkehrsrevolution betrifft, hier nur eine Annäherung: Anfang 2019 diskutierte der CDU-Oberbürgermeister der Stadt Münster im niederländischen Groningen darüber, wie der Anteil der Fahrradwege in Münster von aktuell 40 Prozent auf das Groningen-Niveau von 60 Prozent gesteigert werden kann. Addiert man Fußgängerwege und ÖPNV-Fahrten hinzu, dann bleibt für Pkw-Verkehr ein Restmarktanteil, bei dem die Antriebsart einigermaßen unwesentlich ist.
Als ich 1986 meinen 600-Seiten-Schinken „Eisenbahn und Autowahn“ zum ersten Mal veröffentlichte, da träumte ich ziemlich isoliert davon, dass der Anteil der pro Einwohner im Schnitt in den Städten zurückgelegten Fahrradwege einmal bei 10 Prozent aller Wege liegen könnte. In Kopenhagen liegt dieser Anteil inzwischen beim Sechsfachen – bei 60 Prozent.
Bei all dem Bedrohlichen, was wir derzeit erleben, gibt es ja auch ein paar Lichtblicke. Es gibt die Fridays for Future- und die Extinction Rebellion-Bewegungen. Es gibt eine Stadt wie Stuttgart, in der es bis heute diese lebendige zivilgesellschaftliche Bewegung gegen das Monster Stuttgart 21 gibt. Und es gibt viele praktische Beispiele dafür, wie es im Energiesektor, in der Landwirtschaft und im Verkehrsbereich anders – menschlicher, umweltgerechter und eher klimafreundlich – zugehen und organisiert werden könnte.
Anmerkungen:
[1] Frage: „Im Hambacher Forst gehören Ihre Sympathien also den Demonstranten?“ Antwort Herbert Diess: „Absolut. Ich werde da vielleicht hingehen. […] Was da passiert ist doch unglaublich: wir investieren Milliarden in die Elektrifizierung der Fahrzeugflotten. […] Und dann erschließen wir Kapazitäten für die mit Abstand klimaschädlichste Energieerzeugung: Braunkohle.“ Süddeutsche Zeitung vom 11. Oktober 2018.
[2] Ausgenommen sei hier Klaus Gietinger mit seinem neuen Buch „Vollbremsung. Warum das Auto keine Zukunft hat und wir trotz weiterkommen.“ (Westend, Juni 2019).
[3] Salzburger Nachrichten vom 3. April 2019.
[4] Die Rede ist von allen Verbrenner-Motoren. „Um den Verbrauch [eines Autos] auf dem Prüfstand zu messen, muss vorher der Fahrwiderstand ermittelt werden. Dazu werden Fugen abgeklebt, Spiegel demontiert […] Klimaanlagen werden ausgebaut […] Dazu erkennen Steuergeräte, wenn eine Messfahrt vorliegt. Die Autos sind inzwischen auf diese Minimal-Last hin konstruiert. Hieß es früher: ´Turbo läuft – Turbo säuft´, sollen jetzt ausgerechnet aufgeladene Motoren sparen. Das tun sie nur auf dem Prüfstand, wenn wenig Leistung gefordert wird.“ So stand es in Auto-Bild vom 14. Februar 2014. Das war ein gutes Jahr, bevor der Diesel-Skandal aufflog. In dem Artikel wurde nicht nach Benzin- und Diesel-Motoren differenziert.
[5] Interessant ist, dass selbst im Bereich von Bussen nur von Elektrofahrzeugen mit Batterien bzw. Akkus die Rede ist. Doch diese Batteriebusse kommen auf eine maximale Tagesleistung von 200 km; im Winter sind es deutlich weniger – es sei denn, diese E-Busse haben einen zusätzlichen Diesel-Motor für die Heizung. Dieselbusse haben eine Tagesleistung von 300 bis 400 km täglich. Die Umstellung auf E-Busse bedeutet, man braucht deutlich mehr Busse und meist auch mehr Personal. Sodann kosten Elektrobusse drei Mal mehr als ein Dieselbus und doppelt so viel wie ein O-Bus. Dass es gerade im ÖPNV mit den O-Bussen, auch als Trolley-Busse bezeichnet, eine deutlich effizientere Lösung als Elektrobusse gibt, wird unterschlagen. Auch heute noch sind in drei deutschen Städten (Solingen, Esslingen und Eberswalde) O-Busse unterwegs. In der Schweiz gibt es O-Bus-Systeme in einem halben Dutzend Städten, darunter in der Bundeshauptstadt Bern (ansonsten noch in Lausanne, Genf, St. Gallen, Zürich und Winterthur). In Salzburg existiert seit Jahrzehnten ein ÖPNV-System mit 106 Obussen. In der serbischen Hauptstadt Belgrad funktioniert der ÖPNV auf Basis von Straßenbahnen und O-Bussen.
Der entscheidende Grund, warum in der aktuellen Debatte über Elektronmobilität Elektrobusse favorisiert und O-Busse ignoriert werden, ist: die Autoindustrie verdient an Elektrobussen deutlich mehr. Der Nebeneffekt, dass die ÖPNV-Defizite sich auf diese Weise deutlich erhöhen, wird stillschweigend als Mehrwert im Sinne der Förderung der individuellen Automobilität mitgenommen.
Dieses Interview erschien im April 2019 auf der Plattform Telepolis. Das Gespräch führte Reinhard Jellen.