rail blog 114 / Michael Jung

Nahverkehr in Budapest – Stadtbesichtigung per Straßenbahn

Ungarn ist mit dem riesigen Audi-Motorenwerk mit über 11.500 Beschäftigten in Györ ebenso wie die anderen osteuropäischen Länder Polen, Tschechien, Slowakei in kürzester Zeit nach der Wende Autoland geworden. Enorme Summen, besonders von EU-Geldern wurden in den Straßen-, Brücken- und vor allen in den Autobahnbau gesteckt. Der Motorisierungsgrad hat wider allen Erwartungen in den ersten Jahren nach der Wende in atemberaubender Geschwindigkeit das Niveau der westlichen Länder erreicht, wenn nicht gar übertroffen. Die Autodichte pro tausend Einwohner lag 2021 im EU-Durchschnitt bei 567, in Deutschland mit 584 leicht darüber, wird aber getoppt von Tschechien mit 588 und Polen gar mit 684 Autos pro Tausend Einwohner. Ungarn liegt zwar mit 413 Autos pro 1000 Einwohner noch deutlich unter dem EU-Durchschnitt, holt aber rasch auf.

Immerhin hat die Stadtverwaltung von Budapest erkannt, dass trotz breiter Straßen es ohne einen Ausbau des ÖPNV nicht geht, und hat seit dem EU-Beitritt in 2004 mit entsprechender finanzieller Unterstützung durch die EU massiv in diesen investiert. So wurden in den letzten 20 Jahren immerhin zwei neue U-Bahnlinien, die die vier Budapester Fernbahnhöfe miteinander verbinden, gebaut sowie das Straßenbahnnetz auf Vordermann gebracht und in großen Stückzahlen moderne Niederflurfahrzeuge beschafft. Mit einer Streckenlänge von 158,4 km zählt das Budapester Straßenbahnnetz zu den größeren in Europa (nota bene: Hamburg hatte mal ein Netz von 296 km, heute aber leider keine Straßenbahn mehr). Da zwei der vier Budapester U-Bahnlinien in großer Tiefe liegen, da sie jeweils die Donau unterqueren, und nur die älteste Linie M1 (die ältesten U-Bahnlinie in Kontinentaleuropa überhaupt) oberflächennah liegt, kommt der Straßenbahn besonders für den Kurzstreckenverkehr eine hohe Bedeutung zu. Dementsprechend sind die 26 Tramlinien (+ 5 Verstärkerlinien) gut ausgelastet. Auf den vom Aufkommen her stärksten Linien 1, 4 und 6 verkehren 9-teilige CAF-Niederflurwagen (22 Stück, mit 56 Metern Länge die längsten Straßenbahnen der Welt) und 6-teilige Siemens Combino-Straßenbahnen (40 Stück). Auf den Hauptstrecken wird tagsüber ein strammer 2-Minuten-Takt gefahren und selbst samstagsabends gibt es dort nach 22:00 Uhr noch einen 5-Minuten-Takt. Davonkann sich manche deutsche Großstadt einen Scheibe abschneiden. Und die Straßenbahnen sind immer rappelvoll. Mit den Großraumzügen, die mit beachtlicher Geschwindigkeit und einer intelligenten Ampelsteuerung hohe Reisegeschwindigkeiten erreichen, wird sicher die Transportkapazität der Hamburger Kleinprofil-U-Bahn erreicht, wenn nicht übertroffen.

Auf den weniger frequentierten Linien verkehren moderne 5-teilige CAF-Fahrzeuge (insgesamt 102 Fahrzeuge). Nur auf den Nebenstrecken findet man noch in größeren Stückzahlen ehemalige ÜSTRA-Wagen aus Hannover (113 Stück) sowie noch wenige Tatra Rekowagen aus der Vorwendezeit (ehemals 322 Stück), die dort ihr Straßenbahnleben nach 50-jährigem Einsatz beenden dürfen. Ergänzt wird das Tramnetz durch ein, besonders in den westlichen hügeligen Stadtteilen, umfassendes Busnetz, welches mit modernden Niederflurfahrzeugen deutscher Provenienz bedient wird.

Die Linienverknüpfung ist als vorbildlich zu bezeichnen. Sämtliche Haltestellen verfügen über dynamische Fahrgastinformationstafeln. Insgesamt wird zusammen mit den drei Vorort (S-)Bahnlinien eine gute ÖPNV-Erschließung des Budapester Stadtgebietes und des Umlandes sichergestellt. Zu den Budapester Verkehrsbetrieben (BKV, eine Aktiengesellschaft im Besitz der Stadtverwaltung von Budapest) gehören auch technische Raritäten wie eine Zahnradbergbahn mit 50 Jahre alten Simmering-Graz-Pauker Fahrzeugen, die rumpelig, aber immerhin im Viertelstundentakt 300 Höhenmeter auf die Hügel von Buda überwinden.

Die Fahrpreise sind mit umgerechnet 1,50 Euro Flatrate den lokalen Einkommensverhältnissen angepasst, eine Rentnermonatskarte kostet gerade einmal 15 Euro. Zehnerstreifenkarten sind für Gelegenheitsfahrer erhältlich. Touristen werden mit Tageskartenpreisen von 10 Euro (höher als in Berlin) sinnvollerweise stärker zur Kasse gebeten. Trotzdem lohnt sich als Tourist der Erwerb einer solchen Karte, denn damit kann man die doch recht weitläufige Stadt schnell erschließen.

So bietet sich eine Rundfahrt mit der Linie 1 ab dem nagelneuen Fernbahnhof Budapest Kelenföld (mit 10 Bahnsteigkanten und reichlich Platz (+ 5 Durchfahrtgleise) an, die nach Querung der Donau den östlichen Stadtteil Pest, insbesondere dessen Neubaugebiete erschließt und nach einer erneuten Donauquerung im Norden der Margareten-Insel im nordwestlichen Teil des Stadtteils Buda endet. Fortsetzen kann man die Fahrt mit der Linie 17, die einen fast wieder an den Ausgangspunkt zurückbringt. Den inneren und historischen Teil der Stadt erschließt man mit den Linien 4 und 6 oder Linie 19, die direkt am rechten Donauufer entlangfährt, von wo man einen hervorragenden Blick auf das imposante Parlamentsgebäude hat.

Also nichts wie hinfahren, zumal die private tschechische Bahngesellschaft Regiojet günstige Tarife für eine Fahrt nach Budapest von Wien oder Prag aus anbietet. Die sündhaft teuren Stadtrundfahren in den heute üblichen Cabrio-Doppeldeckerbussen kann man sich angesichts des gut ausgebauten Straßenbahnnetzes sparen.

Fazit:

Dem Hamburger Senat müsste man eine Zwangslehrzeit in Budapest verordnen, damit dieser
endlich den Wert einer Straßenbahn erkennt und lernt, wie man U-, S- und Straßenbahn und
Bussysteme optimal miteinander verknüpft.

Über Michael Jung

Jahrgang 1950, Dipl.-Volksw., arbeitete zuerst in einem Großkonzern der Mineralölwirtschaft und dann 28 Jahre bei einer deutschen Großbank, davon 10 Jahre lang im Bereich Finanzierung von Eisenbahn- und Nahverkehrsprojekten weltweit. Seit 8 Jahren ist er Sprecher der Bürgerinitiative Prellbock-Altona e.V., die sich für den Erhalt und Modernisierung des Fern- und Regionalbahnhofs Altona am jetzigen Standort einsetzt.

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