rail blog 151 / Heiner Monheim

Intelligente Fahrzeuge und Fahrwege.  

Wichtige Bausteine der Verkehrswende? Autonomes Fahren. Baustein der Verkehrswende?

Gerade sind die Zeitungen voll mit Berichten über den ersten regulären Einsatz von Roboterbussen und Robotertaxen in Kalifornien. Damit beginnt jetzt erstmals im Reallabor der Versuch einer fortschreitenden Automatisierung der Fahrabläufe von Taxen und Kleinbussen ohne Kontrollbegleitung durch einen Operator. Mit Operatorbegleitung wurden Minibusse auch schon in deutschen Testfeldern ausprobiert, allerdings nur in einem sehr engen Rahmen.

Bei Schienenfahrzeugen gibt es schon länger auf exklusiv abgeriegelten Netzteilen wie ausgewählten U-Bahnstrecken und Betriebshöfen den Einsatz autonomer Fahrweisen. Eigentlich müsste der Schienenverkehr dafür sogar prädestiniert sein, weil er ja spurgeführt und meist auf eigenen Fahrwegen verkehrt. Im Prinzip ist ja die „Fernsteuerung“ über die Stellwerke und von diesen bediente Signale, Weichen   und Bahnübergänge schon lange eine bewährte Form der Fahrzeug-Fahrweg-Kommunikation und Fahrverlaufskontrolle.

Befürchtungen und Hoffnungen zum autonomen Fahren

Mit der fortschreitenden Automatisierung verbinden sich Hoffnungen und Befürchtungen. Hoffnungen auf Effizienzgewinne und Angebotsausweitungen, mehr Wirtschaftlichkeit und mehr Flexibilität. Befürchtungen vor dem weitgehenden Wegfall von wichtigen Arbeitsplätzen beim Fahrpersonal und Stellwerkspersonal. 

Bürgerbahn hat sich dem Thema noch nicht intensiv gewidmet. Die ersten Experimente mit autonomem Fahren im ÖV betrafen mehr den Betrieb von autonomen Kleinbussen im ländlichen Raum. Die standen nicht so sehr im Fokus von Bürgerbahn. Zumal sie bislang nicht wirklich autonom ohne Personal verkehrten, denn sie mussten immer noch von einem „Operator“ begleitet werden, der zwar keine Lenkaufgaben hatte, aber im Notfall eingreifen konnte, wenn das System Probleme bekam.

Und im Schienenverkehr wurde abgesehen von den wenigen Fällen vollautomatischer U-Bahnen (die in einem isolierten, abgeriegelten System verkehren) und von werksinternen Rangierfahrten, ebenfalls in abgeschlossenen Teilnetzen, noch nicht intensiv über autonomes Fahren diskutiert. Deswegen konzentriert sich das mediale Interesse am automatisierten Fahren einstweilen auf autonome Autos oder autonome Taxen und Kleinbusse.

Der öffentliche Verkehr zwischen Personalmangel und Roboterhoffnungen

Bürgerbahn hat sich allerdings zu Mehdorns Zeiten schon mal aus der Distanz mit ersten technikbegeisterten Zukunftsbildern des Bahnmanagements befasst, als dort das Thema im Zusammenhang mit mittel- und langfristigen Personalbedarfsprognosen mit der Perspektive eines durchgreifenden Personalabbaus diskutiert wurde. Motto: Lokführer und Stellwerkspersonal werden mittel- und langfristig überflüssig, wenn die Automatisierung fortschreitet. Diese Vorstellung hat sich später zunächst als fatal erwiesen. Denn der öffentliche Verkehr und die Bahnen leiden mehr denn je unter Personalmangel und müssen deswegen ihre Leistungen vielfach einschränken. Und die Verkehrsunternehmen suchen verzweifelt neues Personal, das den Fahr- und Stellwerksdienst professionell leisten kann. Und die Automatisierung von Fahrverläufen im öffentlichen Raum schreitet viel langsamer voran und erweist sich als viel komplizierter und störanfälliger als ursprünglich gedacht.

Potenziale für Angebotsexplosion

Trotzdem sind ÖV-affine Technikfreaks durchaus auch begeistert von der Vorstellung, im Zuge der Verkehrswende könnte überall und jederzeit ein intelligent gesteuertes Angebot des öffentlichen Verkehrs gemacht werden, ohne die vielen bisherigen Lücken und Macken, wenn der Engpassfaktor Personal entfällt. Sei es im stark erweiterten Linienverkehr mit viel dichteren Netzen und Takten. Und erst recht im „on demand“- Verkehr mit viel mehr flexiblem Angeboten. Mit so gesteigerter räumlicher und zeitlicher Verfügbarkeit von öffentlichen Verkehrsangeboten gäbe es dann keinen Grund mehr für Autobesitz und Autonutzung. Intelligente Verkehrssysteme würden eine maximale Angebotsdichte und Vielfalt erlauben.  Der Bau und Betrieb intelligenter Busse und Bahnen und der für ihren Einsatz nötigen Software würde eine wichtige Zukunftsbranche werden. Möglich würden Angebote bis in den letzten Winkel und zu jeder Tages- und Nachtzeit. Der Öffentliche Verkehr würde überall da, wo es bisher mit unzureichender Netz- und Taktdichte unterwegs ist, flexibilisiert und individualisiert.

Autos mit fahrender KI

Vielen kommt das vermutlich immer noch als Utopie vor. Aber im Prinzip sind heute schon alle neuen Autos vollgestopft mit intelligenter Technik, mit diversen Fahrerassistenz- und Navigationssystemen. Durch die Mischung moderner Sensorik, die die Umwelt abtastet und digitaler Rechnerleistung, die die Bewegungen im Raum kontrolliert und optimiert, wird ein verbesserter Verkehrsfluss möglich.   Damit würde eine grundlegende Revolution der Mobilitätsentwicklung möglich, wenn die neuen Optionen systematisch auch für die Verkehrsregulierung und Abwicklung genutzt würden. 

Noch fehlen intelligente Fahrwege

Aber noch fehlt ein entscheidender Baustein für intelligenten Verkehr: der„intelligenter Fahrweg“. Er betrifft die sensorische und KI-basierte Optimierung der verschiedenen Einrichtungen für die Verkehrssteuerung, also das Verkehrssystemmanagement. Die „intelligente Straße“ käme ohne Verkehrszeichen aus. Stattdessen gäben Sender die jeweiligen Informationen als digitale Signale aus, regulierten so z.B. das Geschwindigkeitsverhalten, Abstandsverhalten, Parkierungsverhalten etc. und optimierten die Verkehrsabläufe. Der bisher übliche „verzweifelte Versuch“, das Fahr- und Parkierungsverhalten baulich oder per Verkehrszeichen zu regulieren, könnte damit entfallen. Die baulichen Maßnahmen könnten sich endlich auf die Verschönerung, Begrünung, Stadtgestaltung etc. konzentrieren. Die Aufgabe der Verkehrsbeeinflussung übernähme die digitale Steuerung. Eigentlich müssten die Kommunen hocherfreut sein, künftig auf Schilder verzichten zu können, weil die intelligente Straße das übernimmt. Und sie müssten hoch erfreut sein über die neuen Freiheiten für die Gestaltung des öffentlichen Raumes, wenn der Autoverkehr digital „domestiziert“, also nach Menge und Verhalten verträglich gemacht wird. Dazu findet man einstweilen noch kaum Positionierungen der Straßenverkehrsbehörden und Straßenverkehrsforschung. Im Straßenverkehr dominieren weiter unintelligente, statische Verkehrszeichen.  Wechselverkehrszeichen sind eine Seltenheit. Dynamische Parkleitsysteme ebenfalls.

Fehlende Intelligenz im ÖPNV

Natürlich stellen sich die gleichen Fragen auch für den Betrieb des öffentlichen Verkehrs. Angefangen von der Echtzeitinformation über die Position von Bussen und Bahnen im Netz, über die relevanten Umsteigeverbindungen und die Kommunikation zwischen den Fahrzeugen gibt es große Potenziale für eine intelligente, CHI-basierte Steuerung. Aber nach wie vor sucht man lange nach intelligenten Ampeln, die automatisch Bussen und Bahnen dann grün geben, wenn die grün brauchen. Die meisten Haltestellen haben noch keine digitalen Anzeigetafeln über den bisherigen und künftigen Fahrverlauf der jeweiligen Linien. Und die meisten Fahrzeuge kommunizieren trotz immerhin mittlerweile etwas verbreiteten Sprechfunkverbindungen zwischen den Fahrzeugen und ihrer Zentrale noch nicht angemessen und KI-unterstützt untereinander.

Intelligente Steuerung des Schienenverkehrs: vorne hui und hinten pfui

Theoretisch ist wegen der besonders hohen Sicherheitsanforderungen der Schienenverkehr logistisch immer schon mit einer ausgeklügelten Fahrzeug-Fahrweg-Kommunikation ausgestattet worden. Es begann mit dem System von mechanisch gesteuerten Signalen und Weichen und Schranken und Streckentelefonen. Das wurde dann allmählich moderner, aber immer noch mit langen elektrischen Leitungswegen bewerkstelligt. Im Zeitalter drahtloser Kommunikation werden mittlerweile große Hoffnungen in die elektronische und digitale Zugsteuerung gesetzt, wobei auch hier die Frage bleibt, wie robust und störungsfrei solche ETCS-Systeme wirklich sind. Und wie bald sie im ganzen Netz eingesetzt werden können. Denn es gibt immer noch beträchtliche Netzteile mit älterer und teilweise auch uralter Signaltechnik, Weichensteuerung, Bahnübergangssicherung und Stellwerkssteuerung älterer Generationen Solche gravierenden Modernisierungsdefizite führen dann immer wieder zu bedauerlichen Unfällen auf eingleisigen Strecken, an Bahnübergängen und zu langen Wartezeiten wegen nicht optimaler Fahrabläufe und ungenutzter Kapazitätsreserven.

Schiene als „Hot Spot“ sinnvoller Digitalisierung

Theoretisch bieten Schienenverkehrssysteme die besten Voraussetzungen für eine digitale und sensorische Steuerung, weil sie spurgeführt sind. Außer bei Straßenbahnen fahren sie durchweg auf eigenen, exklusiven Verkehrswegen. Da muss niemand dauernd lenkend eingreifen mit Feintuning im Manövrieren. Lediglich das Beschleunigen, Verzögern und Anhalten sowie Weichen beeinflussen sind erforderliche Eingriffe in den Fahrverlauf. Und wenn die Bahnübergangssicherung und Stellwerkstechnik robuster und weniger störanfällig wären, könnte die Bahn gegenüber dem Straßenverkehr viel störungsfreier und leistungsfähiger geführt werden. Doch der literarisch von Arno Luik verewigte „Schaden in der Oberleitung“ hat die Bahn durch gnadenlose Rationalisierungs- und Sparpolitik leider sehr störanfällig gemacht. 

Stattdessen müssen Politik, Bahnmanagement und Verkehrsplanung die riesigen Potenziale effizienten Bahnverkehrs für eine durchgreifende Modernisierung, Digitalisierung und Fahrzeug-Fahrweg-Kommunikation im ganzen Netz nutzen, um die Effizienz im System zu verbessern.

Über Prof. Dr. Heiner Monheim

(*1946), Geograf, Verkehrs- und Stadtplaner, seit den 1960er Jahren befasst mit den Themen Flächenbahn, Schienenreaktivierungen, Erhalt des IR, S-Bahnausbau und kleine S-Bahnsysteme, Stadt- Umland-Bahnen, neue Haltepunkte, Güter-Regionalbahnen, Bahnreform 2.0, Kritik der Großprojekte der Hochgeschwindigkeit und Bahnhofsspekulation. Details: www.heinermonheim.de

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