rail blog 150 / Michael Jung

Es sind die kleinen Dinge, die einem das Bahnreisen vermiesen können

Sonntag, 13.8.2023, Fahrt von Hamburg-Altona nach Ostende/Belgien, erste Teilstrecke von Hamburg-Altona bis Köln Hbf mit EC 9 nach Zürich. Der Zug wird pünktlich am Bahnsteig bereitgestellt und fährt auch pünktlich ab. Schweizer Waggonmaterial aus den – zwischenzeitlich etwas in die Jahre gekommenen – Standard-Großraumwagen der SBB. Der Zug wurde im Bahnbetriebswerk Hamburg Langenfelde nur oberflächlich gereinigt, es lagen noch Krümel der letzten Reise auf den Sitzplätzen und in den Ecken, der Boden war klebrig, die Fensterschreiben dreckig. Die Wagen haben noch keine elektronische Sitzplatzanzeige, aber die DB hielt es auch nicht für nötig, die reservierten Plätze wie früher zu bezetteln. Daher das Vabanquespiel: Welcher Platz ist nun reserviert oder noch frei verfügbar? Trotz des Alters dieser Wagen von über 25 Jahren haben sie noch eine erstaunliche Laufruhe bei höheren Geschwindigkeiten.

Die Ansagen im Zug ließen den Schluss zu, dass die Zugführerin keine Ahnung von der Geographie des deutschen Bahnnetzes hat. Denn die Ansage ab Hamburg lautete „der Zug fährt über Köln und Koblenz“. Dabei blieb offen, welchen Laufweg der Zug durch das Ruhrgebiet nimmt. Für den Reisenden wäre wichtig gewesen zu wissen, ob der Zug über Dortmund fährt, oder aber direkt über Recklinghausen nach Essen und weiter nach Köln. Ferner fehlte die Information, ob der Zug über Dortmund, Essen, Düsseldorf fährt, oder – wie später herauskam – über Hagen, Wuppertal und Solingen, allerdings nur mit Halt in Solingen. Ebenfalls kam die Ansage, dass der Zug über Mainz und dann über Frankfurt geleitet wird, reichlich spät. Früher lag in den Zügen das Faltblatt „Ihr Zugbegleiter“ aus, dem man den exakten Laufweg des Zuges entnehmen konnte. Aber das wurde wegrationalisiert, und so ist man immer häufiger auf die kryptischen Ansagen des Zugpersonals angewiesen.

Bis Dortmund war der Zug pünktlich, dann baute sich bis Köln eine Verspätung von 15 Minuten auf, die mit „hoher Zugfolgezahl auf der Strecke“ (eine neue Variante aus dem DB-Standardkatalog der Verspätungsausreden?) begründet wurde. Nur war nicht allzu viel Zugverkehr auf der Strecke zu beobachten. Vielmehr befindet sich die Strecke von Dortmund über Witten, Hagen, Wuppertal, Solingen in einem schlechten Zustand, sodass der Zug teilweise mit nur 80 km/h über die Gleise schlich. Da redet die DB von Hochgeschwindigkeit, während Kernstrecken des Netzes, die von der Trassierung her locker mit 140 km/h befahren werden könnten, nur für 80 km/h zugelassen sind. Der äußere Anschein der Bahnanlagen korrespondierte mit den die Strecke säumenden Industrieanlagen einer metallverarbeitenden Industrie, die die besten Jahre hinter sich hat. Die Gleisanlagen sind gut durchgrünt und geziert durch die lilafarbenen Blüten des Sommerflieders, einer Pflanze, die sich auf heißem Bahnschotter besonders wohlfühlt. Und von wegen Lärmsanierung von Bahnstrecken. Obwohl die Gleise teilweise meternah an Wohnhäusern vorbeiführen, gibt es dort keinerlei Lärmschutzwände. Klar – die DB stellt die nur dort auf, wo sie nach Umbauten dazu gesetzlich verpflichtet ist. Pikanterweise hält der Zug nicht in Hagen Hbf (Hagen hat 190.000 Einwohner) und Wuppertal Hbf (350.000 Einwohner) – beides Großstädte. Es gibt lediglich einen Halt in Solingen. So kann man eine ohnehin durch Strukturkrisen gebeutelte Region gezielt vom Fernverkehr abhängen.

In Köln gibt es dann eine Umsteigepause von planmäßig 55 Minuten, was mal wieder von der hervorragenden Fahrplankoordination der DB zeugt. Durch die Verspätung waren dann davon nur noch weniger als 40 Minuten übrig. Der Kölner Hbf war voll wie in Vor-Corona-Zeiten, bei viel zu engen Bahnsteigen. Diese hätte man durch Abriss der alten Gepäckbahnsteige und Seitverschiebung der Gleise leicht verbreitern können. Das kostet aber Geld. Hier beginnt der zweite Streckenabschnitt nach Brüssel. Der Eurocity von Frankfurt/Main nach Brüssel Midi kommt erstaunlicherweise pünktlich. Die Einheiten der Dreisystem-Züge der BR 406 (ICE 3) sind mittlerweile auch schon fast 20 Jahre alt und ganz offensichtlich in die Jahre gekommen. Auf jeden Fall reicht die einteilige Garnitur von der angebotenen Sitzplatzkapazität für den riesigen Bedarf auf der Strecke nicht aus. Sie sind immer überfüllt. Ferner bieten die Züge zu geringe Gepäckabstellflächen, denn auf dieser Strecke haben die Reisenden erstaunlicherweise immer Massen von Gepäck dabei. Das verzögert regelmäßig den Einsteigevorgang, sodass der Zug nur selten pünktlich abfährt. Leider wird die Strecke von der DB nur alle zwei Stunden bedient. Angesichts des geringen Komforts der alternierend verkehrenden Thalys-Züge mit ihrer obligatorischen Sitzplatzreservierung besteht Bedarf für eine stündliche DB-Verbindung mit größeren Zugeinheiten.

Erstaunlicherweise verzichtet das DB-Zugpersonal auf eine Fahrkartenkontrolle, die Belgier im Anschlusszug nach Ostende ebenfalls. In Aachen tropft es plötzlich heftig aus der Decke des Zuges, abgeschiedenes Wasser aus dem Kondensator der Klimaanlage trielt über die Polster in den Wagen. Ich melde das dem Zugchef, der zusagt, sich darum zu kümmern. Aber bis zum Ende der Reise taucht er nicht auf. Ich hoffe nur, dass das Wasser nicht mit elektrischen Bauteilen des Zuges in Verbindung kommt und zu einem Kurzschluss mit anschließendem Stillstand des Zuges auf offener Strecke führt. Vermutlich eine verstopfte Ablaufleitung des Kondensators, die nicht richtig gereinigt wurde. Wie üblich: kleine Ursache, aber große Wirkung. Bis Brüssel handelt sich der Zug dann auch eine Verspätung von 15 Minuten ein, die korrekterweise auch von dem DB-Reisenden-Informationssystem aufs Handy gemeldet wurde.

Brüssel Midi, historischer Bahnhof, gute Modernisierung und großzügig angelegt, aber leider hat die Modernisierung den Bahnsteigbelag nicht erreicht. Aufenthalt planmäßig 26 Minuten, jetzt nur noch 11 Minuten, das reicht gerade zum Bahnsteigwechsel. Der Zug für den dritten Streckenabschnitt nach Ostende kommt pünktlich. Gegenüber früheren Jahren wurden aufgrund großer Nachfrage auf dieser Strecke die einfachen Reisezugwagen durch Doppelstockwagen ersetzt, was deutlich mehr Sitzplatzkapazität schafft. Im Gegensatz zur DB sagt die belgische Bahn sicherheitshalber keine sich aufbauende Verspätung von 15 Minuten mehr an. Diese wird interessanterweise, obwohl es ein belgischer Zug ist, über das DB-Reisenden-Portal gemeldet. Bei Sonnenschein erreicht man nach neun Stunden Zugfahrt den Kopfbahnhof Ostende, um dann mit der Kusttram, die direkt unter dem Bahnhofsdach abfährt, den Zielort zu erreichen.

Fazit: Vor 30 Jahren gab es durchgehende Züge von Dortmund nach Ostende, sodass man ohne Hochgeschwindigkeitsverkehr mit mehr oder minder gleicher Reisezeit und nur einmal Umsteigen von Hamburg nach Ostende gelangte, von wo die Reise dann mit der Fähre weiterging nach England. Aber diese Fährverbindung ist zwischenzeitlich eingestellt.

Über Michael Jung

Jahrgang 1950, Dipl.-Volksw., arbeitete zuerst in einem Großkonzern der Mineralölwirtschaft und dann 28 Jahre bei einer deutschen Großbank, davon 10 Jahre lang im Bereich Finanzierung von Eisenbahn- und Nahverkehrsprojekten weltweit. Seit 8 Jahren ist er Sprecher der Bürgerinitiative Prellbock-Altona e.V., die sich für den Erhalt und Modernisierung des Fern- und Regionalbahnhofs Altona am jetzigen Standort einsetzt.

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