Stuttgart 21: Wer soll das bezahlen?
Im Finanzierungsvertrag von 2009 wurde die Verteilung von S21-Projektkosten bis zur Höhe von 4,526 Milliarden Euro geregelt. Seit mehr als zehn Jahren ist klar, dass dieser Betrag nicht ausreicht, und unklar, wer für die Mehrkosten aufkommt. Dennoch wird seitdem in kollektiver Verantwortungslosigkeit weitergebaut. Die Deutsche Bahn verlässt sich darauf, mit einer Ende 2016 erhobenen Klage beim Verwaltungsgericht Stuttgart die Projektpartner Land BW, Landeshauptstadt Stuttgart, Verband Region Stuttgart und Flughafen Stuttgart GmbH an den Mehrkosten von derzeit schon ca. 5 Milliarden beteiligen zu können. Denn die Projektpartner erklären: „Mir gäbbet nix.“
Nach den Anträgen der Bahn soll das Gericht vorsorglich eine Kostenverteilung bis zur Gesamthöhe von 11,776 Mrd. Euro vornehmen. Dabei geht die Bahn von der Aufteilung im Finanzierungsvertrag aus. Dort war unterschieden worden zwischen den damals angenommenen Baukosten von 3,076 Milliarden Euro und einem zusätzlichen Risikotopf für unvorhergesehene Mehrkosten von 1,450 Milliarden Euro. Für Nachzahlungen aus dem Risikotopf war der prozentuale Anteil von Land, Stadt und Flughafen ungleich höher als bei ihren Zahlungen zu den angenommenen Baukosten. Wird – wie von der Bahn in erster Linie beantragt – von diesem Maßstab ausgegangen, käme man auf Nachzahlungen der Projektpartner bis zum Fünffachen ihres ursprünglichen Beitrags.
Nach dem Vertrag sollten für die Bahn „keine unkalkulierbaren Risiken entstehen und die Wirtschaftlichkeit dargestellt“ sein. Tatsächlich steht aber schon seit 2013 die Unwirtschaftlichkeit des Projekts fest. Mit ihrer ursprünglichen Forderung, die Möglichkeit eines Projektabbruchs auch noch nach Baubeginn vorzusehen, konnten sich die Projektpartner bei den Verhandlungen nicht durchsetzen. Konsequenz: Mitgefangen, mitgehangen? Hingegen ließen sich die Partner darauf ein, Zahlungen nicht mit der Begründung zu kürzen, die Bahn habe höhere Kosten verschuldet.
Weil rechtlich bedeutsam ist, wann das Reißen der Kostenobergrenze festgestellt wurde, geben sich die Prozessparteien ahnungslos. Alle hätten bis 2013 geglaubt, dass die Finanzierung ausreichen werde. Allerdings war bereits in einer vertraulichen Notiz des Staatsministeriums vom 10.11. 2010 zur sogenannten Schlichtung unter Heiner Geißler festgehalten worden, wegen höherer Kosten müssten insbesondere auch Land und Stadt zusätzliche Mittel bereitstellen.
Protestaktion vor dem Verwaltungsgericht Stuttgart am 18.9.2023 mit einem Opferstock „Notopfer für S21“.
Unendlich zahlt niemand für nichts
Angesichts des Streitwerts von einigen Milliarden sind schon die Prozesskosten immens. Dazu agieren in den Terminen nicht weniger als 25 Prozessbeteiligte, also Vorstände, Stadtdirektorinnen, Abteilungsleiter, Berater sowie Rechtsanwältinnen und Rechtsanwälte. Dass das Verfahren durch alle Instanzen getrieben werden soll, haben alle Seiten bereits angekündigt. Sie müssen es ja nicht aus der eigenen Tasche bezahlen bzw. verdienen sogar am Rechtsstreit..
Das Erstaunliche ist jedoch, dass sich niemand Gedanken macht, wie drohende Nachzahlungen finanziert werden sollen. An welchen Sozialleistungen, Kindergärten, Schulen und ähnlichem soll gespart werden? Nach dem Antrag der Bahn liefe es zum Beispiel für die Landeshauptstadt auf eine Nachzahlung von mindestens 1,3 Milliarden Euro hinaus. Stuttgart ist nicht nur als Projektpartner, sondern auch als Mitglied des Verbandes Region Stuttgart an der Finanzierung beteiligt. Der Verband hat schon 100 Millionen Euro beigesteuert. Ihn könnte es mit weiteren 500 Millionen treffen. Diese Zahlungen würden dann (bei den Landkreisen über die Kreisumlage) auf die einzelnen Gemeinden aufgeteilt. Im Gegensatz zu den früheren Zahlungen in jährlichen Raten hätten bei einer Verurteilung die Projektpartner ihre volle Nachzahlung auf einen Schlag zu erbringen.
Schon am 2. Verhandlungstag äußerte Vorsitzender Richter Wolfgang Kern geradezu prophetisch: „Unendlich zahlt niemand für nichts.“ Am 15.11.2023 um 10:30 Uhr steht der vierte Verhandlungstag an.