Verwirrende Farbenspiele oder der neu erwachte Länderegoismus
Der Reigen der Bahnfahrzeuge auf deutschen Bahnhöfen und Schienen wird immer bunter, damit auch verwirrender für die Reisenden. Dies gilt besonders für den Nahverkehr.
Im Fernverkehr kannte man ja schon aus früheren Zeiten die anders eingefärbten Waggons der ausländischen Staatsbahnen, die im Rahmen von Auslandszugverbindungen regelmäßig nach Deutschland kamen. In diesen Wagen konnte man gut studieren, wie ausländische Bahnen das Thema Fahrgastkomfort bewältigen – oder auch nicht, wie in den Schweizer Wagen ohne verstellbare Sitze, die für den Komfort auf den kurzen innerschweizer Zugstrecken ausreichen. Gleichzeitig erweckten diese Wagen die Vorfreunde auf das Zielland der Reise. Heute ist davon wenig übriggeblieben, lediglich die noch anständig bewirtschafteten Speisewagen der osteuropäischen Bahnen (Polen, Tschechien, Ungarn) und in den Schweizer IC-Zügen, die aber angeblich zum Fahrplanwechsel ausrangiert werden sollen. Schade, denn diese vermittelten mit ihren schweren, frei verrückbaren Einzelsesseln in schwarzem Leder, den gestärkten weißen Tischdecken und Stoffservietten einen Eindruck gediegener Schweizer Gastlichkeit, was man von dem seelenlosen neuen Interieur der ICE Bistros wahrlich nicht sagen, welches an die Möblierung billiger Schnellimbissketten erinnert.
Aber nun zum Nahverkehr. Da fahren Züge in allen möglichen phantasievollen Lackierungen durch die Gegend. Zu Beginn der Vergabe von Nahverkehrskonzessionen Mitte der 90er Jahre an Konkurrenten zur DB waren die neuen Farben ein Signal des Aufbruchs. Jetzt gibt es Wettbewerb, der vielleicht helfen kann der DB Beine zu machen. Mit den neuen Farben und einem eigenständigen Marketing der neuen EVUs im Nahverkehr verbunden war auch die Hoffnung auf Verbesserung der Serviceleistungen. Mittlerweile haben aber die Betreiber mehrfach gewechselt, aber die Farben der Wagen nicht. So fahren die Züge von Hamburg-Altona nach Westerland noch immer in den Farben der Nord-West-Bahn spazieren, obwohl längst die Deutsche Bahn bzw. eines ihrer unzähligen Tochterunternehmen wieder Betreiber der Strecke ist. Einzelne Züge fahren dann auch mit Doppelstockwagen im klassischen DB-Nahverkehrsrot durch die Gegend und die Lokomotiven der Züge tragen das (zwischenzeitlich schon wieder Interims-) Farbkleid des regionalen SPNV-Aufgabenträgers Nah-SH. Das versteht nun kein Außenstehender mehr.
Gleichzeitig gehen viel Bundesländer dazu über das Rollmaterial selber zu beschaffen. Diese landeseigenen Fahrzeugvorhaltegesellschaften, die natürlich die Fahrzeuge zu günstigeren Konditionen als private SPNV-Anbieter erwerben können, wollen auch ihren Anstrengungen zur Bereitstellung der Fahrzeuge farblich Ausdruck verleihen. Das führt bei Nah-SH schon wieder zu einem neuen, in graublauen Tönen gehaltenen Bemalung der Fahrzeuge, die jetzt auch noch den Schriftzug „Der wahre Norden“ tragen. Bei diesen Fahrzeugen, die schon auf weiten Strecken die DB-Fahrzeuge in Nahverkehrsrot abgelöst haben, kann man nicht mehr auf den ersten Blick erkennen, wer eigentlich der Betreiber der Strecke und damit für etwaige Schlechtleistungen verantwortlich ist.
Gleiches gilt südlich der Elbe, wo alle vom niedersächsischen Aufgabenträger LNVG beschafften Fahrleute in Dunkelblau-gelb-weiß lackiert sind, aber der Name des Betreibers nur klein oder gar nicht auf dem Fahrzeug zu entnehmen ist. Gleiches Spiel in Baden-Württemberg, wo alle von der dortigen Landesfahrzeugvorhaltegesellschaft beschafften Fahrzeuge in weiß lackiert und durch die drei baden-württembergischen Löwen verziert sind. Natürlich fühlt sich jeder Aufgabenträger bzw. jede diese Fahrzeuggesellschaften auch gemüßigt, eigene Fahrzeug zu spezifizieren. Da toben sich manchmal auch Eisenbahnfreaks aus. Konsequenz: Kleine Stückzahlen, hunderte von Sonderwünschen und hohe Preise. Und als Resultat: Fahrzeuge, die nur in dem entsprechenden Bundesland eingesetzt werden können und nicht bei Engpässen oder bei Saisonverkehren in andren Bundesländern aushelfen können. Die Beschaffung moderner, zukunftsfähiger, preisgünstiger Flotten für den SPNV geht anders.
Gleiches Drama bei den Fahrkartenverkaufsautomaten an den Bahnhöfen. Immer mehr verschwinden die halbwegs standardisierten DB-Automaten zugunsten von Automaten der jeweiligen Aufgabenträber, mit jeweils unterschiedlichem Bedienmenü, denen man nur mit einiger Erfahrung und Trickserei auch DB-Fernverkehrsfahrkarten entlocken kann. So stehen dann am Hauptbahnhof Hamburg die Fahrkartenautomaten von vier Eignern (DB, HVV, LNVG, Nah-SH) im unterschiedlichsten Design herum, die theoretisch alle dieselben Fahrkarten verkaufen können sollten. Ein kostenträchtiger Unsinn ohne gleichen. Aber hoffentlich macht das 49 Euro-Ticket bald einen Großteil dieser Automaten überflüssig und die Angestellten in den Verkehrsverbünden und Aufgabenträgern, die diesen Unsinn mit Perfektion auf die Spitze getrieben haben.