rail blog 220 / Dieter Reicherter

Panoramastrecke kappen?

Wer sich mit Stuttgart 21 beschäftigt, muss auch zwangsläufig auf die für Mitte 2025 geplante Kappung der Panoramastrecke eingehen. Denn die Stadt will nach der Inbetriebnahme des Tiefbahnhofs die freiwerdenden oberirdischen Flächen bebauen. Dem steht die oberirdische Verbindung der Gäubahn zwischen Stuttgart-Vaihingen und dem Hauptbahnhof, die sogenannte Panoramastrecke, entgegen.

Deshalb ist vorgesehen, die von Singen kommende Gäubahn künftig aus Richtung Böblingen über die Filder zum Flughafen zu führen und dort an die Tunnelstrecke zum Tiefbahnhof anzuschließen. Infolge jahrelanger Fehlplanungen beim „bestgeplanten Projekt aller Zeiten“ kann dies jedoch nicht wie im Planfeststellungsbeschluss vorgesehen mit einer Unterbrechung bis zu höchstens sechs Monaten erfolgen, sondern wird mindestens sieben Jahre (realistisch wohl mehr als zehn Jahre) dauern.

„Wir wollen zum Hauptbahnhof“

Deshalb fordern mit dem Slogan „Wir wollen zum Hauptbahnhof“ zahlreiche Kommunen zwischen Bodensee und Fildern, die Panoramabahn weiter oberirdisch zum Hauptbahnhof zu führen. Aus klimapolitischen Gründen (Verlagerung des Personenverkehrs von der Bahn auf Pkws) wenden sich auch Umweltverbände gegen die langjährige Unterbrechung.

Die Deutsche Umwelthilfe e.V. hat inzwischen Klage beim Verwaltungsgerichtshof in Mannheim erhoben. Das Eisenbahn-Bundesamt hatte ihren Antrag abgelehnt, die im Planfeststellungsbeschluss nicht genehmigte langjährige Unterbrechung zu untersagen. Der Landesnaturschutzverband will ebenfalls klagen.

Wirtschaftlichkeit schöngerechnet

Auch bei der Gäubahn zeigt sich der sorglose Umgang mit unserem Geld. Vorbild ist offenbar die Trickserei bei der Neubaustrecke Wendlingen-Ulm. Nichtexistierende leichte Güterzüge mussten dafür herhalten, die Wirtschaftlichkeit schön zu rechnen. Etwas Ähnliches geschieht jetzt auch beim Anschluss der Gäubahn an Stuttgart 21, nachdem die ursprünglichen Planungen zur Nutzung der bestehenden S-Bahn-Gleise gescheitert sind.

Unabhängig davon war schon vor Jahren der Ausbau einzelner Abschnitte der bis zur Stadt Singen großenteils eingleisigen Strecke der Gäubahn in den vordringlichen Bedarf aufgenommen worden.  Bei der Berechnung der Wirtschaftlichkeit wurden die Vorteile für den Güterverkehr eingerechnet.

Tricksen und Täuschen

Nun erfand die Politik als Hinführung der Gäubahn von Böblingen zum Flughafen den längsten Eisenbahntunnel Deutschlands, den Pfaffensteigtunnel. Geschätzte Kosten: Eine Milliarde Euro. Kritiker rechnen sogar mit 3 Milliarden Euro. Er wurde einfach zum Teil des schon längst beschlossenen Ausbaus der Gäubahn erklärt. Und schon hat man den Anschluss aus dem „eigenwirtschaftlichen Projekt“ Stuttgart 21 hinaus gezaubert und den Bund zur Finanzierung verpflichtet. Dabei kann dieser Tunnel nicht durch Güterzüge befahren werden. Es gibt noch keine Genehmigung.

Klimaschädliche Orgie aus Beton und Stahl

Der Bau der für das Klima schädlichen Orgie aus Beton und Stahl wird etliche Jahre dauern. So lange sollen die mit der Gäubahn Reisenden in Vaihingen, später dann vielleicht an einem noch zu bauenden Nordhalt, in die S-Bahn oder Stadtbahn umsteigen, um zum Stadtzentrum und zum Hauptbahnhof zu kommen. Dies alles ist eine Folge der in Zeiten des Klimawandels absurden politischen Vorgabe, die Gäubahn über den Flughafen Stuttgart zu führen, um mehr Fluggäste zu gewinnen.

Oberirdische Gleise integrieren

Vollkommen unproblematisch und weitaus billiger wäre es, die Gäubahn auch künftig über die Panoramastrecke oberirdisch zum Stuttgarter Hauptbahnhof zu führen. Um diese Streckenführung zu verhindern und die im Übrigen für das Stadtklima und die biologische Vielfalt äußerst schädliche Bebauung nicht zu gefährden, will man Fakten schaffen und ein Teilstück des Bahndamms der Panoramastrecke abbaggern.

Notwendig ist das nicht, weil es technisch möglich ist, lediglich die S-Bahn-Gleise zu verschwenken. Dafür reicht eine Unterbrechung von wenigen Tagen und der direkte Anschluss der Gäubahn an den Hauptbahnhof bliebe erhalten. Es gibt Vorschläge von Stadtplanern, wie die dafür notwendigen zwei oberirdischen Gleise integriert werden könnten. Man muss nur wollen.

Über Dieter Reicherter

Vorsitzender Richter am Landgericht a.D., zuletzt tätig gewesen am Landgericht Stuttgart als Vorsitzender einer Strafkammer

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