Bürgerbahn begrüßt bundesweites Semesterticket für 29 €
Der von NRW-Verkehrsminister Oliver Krischer am 27.11.2023 vorgestellte Vorschlag der Verkehrsministerkonferenz, als Weiterentwicklung des 49-Euro-Tickets jetzt für die Studierenden in Deutschland für 29,40 Euro ein deutschlandweites Semesterticket einzuführen, wird von „Bürgerbahn- Denkfabrik für eine starke Schiene“ ausdrücklich als erster Schritt in die richtige Richtung begrüßt und mit der Forderung nach einer Neuausrichtung der deutschen Verkehrspolitik verbunden.
Viel zu lange Tarifchaos bei Semestertickets
Es hat ja lange gedauert, bis die Anfang der 1990er Jahre erst in Darmstadt, dann im Ruhrgebiet und danach in einem mühsamen Prozess weiterer Nachfolgeprojekte eingeführten Semestertickets allmählich in immer mehr Hochschulregionen eingeführt wurden. Immer belastet mit der chaotischen Vielfalt unterschiedlicher Tariflösungen, aber damals meistens auf der Basis umlagefinanzierter Flatrate-Tickets.
Immerhin, der Flatrate- und Umlagecharakter der damaligen Semestertickets hatte schnell gravierende Auswirkungen auf das Verkehrsmittelwahlverhalten der Studierenden. Sie haben sich scharenweise „entmotorisiert“ und wurden so zu Vielfachnutzern der lokalen und regionalen ÖPNV-Systeme.
Das war „Verkehrswende im Kleinen“ und hätte eigentlich schon damals Vorbild für ähnlich konstruierte „Bürgertickets“ werden müssen, als Basis für eine Nachfrage- und Angebotsoffensive im öffentlichen Verkehr. Leider fehlte der deutschen Verkehrspolitik damals die Kreativität für eine solche einfache Lösung der deutschen Verkehrsprobleme. Es hat deswegen noch 25 Jahre gedauert, bis das Experiment des vorübergehend eingeführten 9-Euro-Tickets und dessen spätere Verstetigung zum 49-Euro-Ticket folgte, ebenfalls wieder mit beachtlichem Erfolg, aber unklaren fiskalischen Regularien zwischen Bund und Ländern, die sich bis heute noch nicht auf eine einvernehmliche Finanzierung der Mindereinnahmen einerseits und Mehrkosten andererseits durch das 49-Euro-Ticket einigen konnten. Bürgerbahn begrüßt, dass mit einer bundesweiten, einheitlichen Regelung und einem gegenüber dem Normalpreis deutlich vergünstigten Preis von 29,40 Euro die Zielgruppe der Studierenden ein attraktives Tarifangebot erhält.
Administrativ ist allerdings der jetzt eingeschlagene Weg, jeweils über die ASten als Studierendenvertretungen und die Verkehrsverbünde darüber mühsame Einzelverträge abzuschließen, typisch deutsch umständlich. Es wäre sehr viel sinnvoller und einfacher, einen solchen Vertrag zwischen dem VDV (Verband öffentlicher Verkehrsbetriebe) mit einer bundesweiten Vertretung der Studierendenschaften deutscher Hochschulen (zum Beispiel dem fzs, bundesweiten Dachverband von Studierendenvertretungen von Hochschulen in Deutschland) oder eine Ebene tiefer mit den 16 Landes-ASten-Konferenzen einheitliche Verträge abzuschließen, statt mühsam etwa 400 separate Verträge auszuhandeln.
Noch sinnvoller wäre natürlich, die Gültigkeit dieser neuen Semestertickets zu erweitern zu einer „BahnCard 100 für alle Studierenden“, nach einer vergleichbaren Flat-Rate-Logik. Über diesen Hebel könnte man die typisch deutsche Fehlkonstruktion („Missgeburt der Bahnreform“) der institutionellen Trennung von eigenwirtschaftlich zu betreibendem Fernverkehr (SPFV in der Zuständigkeit des Bundes) und gemeinwirtschaftlich zu betreibendem Nahverkehr (SPNV in der Zuständigkeit der Länder) endlich abschaffen und das Land verkehrswendetauglich machen durch eine vollständige Systemintegration von Nahverkehr und Fernverkehr.
Und wenn das dann für die Gruppe der Studierenden gelänge, wäre der Weg nicht mehr weit für eine wirkliche „Bahn Card 100 für alle“, die nach zu einem etwas höheren Preis als beim 49 € Ticket auch den Fernverkehr einbeziehen würde. Spätestens dann wäre klar, dass die Klimakrise einen völlig neuen Anlauf in der Verkehrspolitik erfordert, mit dem die Bahn neu aufgestellt wird. Als Bahn für alle, die überall im Lande nachhaltige Mobilität ermöglicht, ihre Strategie neu ausrichtet, weg von der reinen Hochgeschwindigkeitsphilosophie auf wenigen Korridoren hin zu einer Flächenbahn, die nach dem Motto „Takt vor Tempo“ die Fixierung auf sündhafte teure Großprojekte der Hochgeschwindigkeit aufgibt und statt dessen ihr Netz durch viele Reaktivierungen, viele neue und wiedereröffnete Haltepunkte, viele neue kleine S-Bahnsysteme, ein dichtes Netz von Nachtzügen verkehrswendefähig macht. Dann kann sich Deutschland die weitere Betonierung und Asphaltierung des Landes für immer mehr Autoverkehr sparen, dann kann der das Klima und die Städte und Dörfer immer stärker belastende Autoverkehr auf ein sinnvolles und verträgliches Maß zurückgeführt werden.
Fazit: Ein bundesweites Semesterticket zum Vorzugspreis von 29 € kann einen wichtigen Beitrag zur Verkehrswende leisten. Und es sollte Anlass geben, bei dieser Gelegenheit die starre Trennung von Schienenpersonenfernverkehr und Nahverkehr aufzugeben. Das deutsche Bahnsystem muss sowieso durch einen neuen Anlauf einer Bahnreform 2.0 grundlegend reformiert werden, damit es verkehrswendetauglich wird.