rail blog 236 / Michael Jung

Das Silodenken der DB-Planer und die Folgen

Ein Zusammentreffen mit Mitarbeitenden der technischen Planungsabteilungen der Deutschen Bahn (DB) zum Beispiel bei den sogenannten Dialogforen sorgt immer wieder für Aha-Erlebnisse. Nicht, dass die Kolleg:innen keine Ahnung von ihrem Fach hätten, sondern wie sie an die Aufgaben herangehen. Da bekommen sie eine Aufgabenstellung – wer immer die zu verantworten hat – und dann wird diese buchstabengetreu abgearbeitet. Das alleine ist angesichts des Wusts an DB-internen Regelwerken für die Planung einzelner Objekte und Bauteile schon eine schwierige Aufgabe, sondern die Planer stehen unter einem enormen Druck, nichts falsch zu machen. Es scheint so, dass in den DB-Planungsabteilungen vom Management regelmäßig ein enormer Druck erzeugt wird, der zu einem Klima der Angst führt, welches dann geradezu regelhaft Fehler nach sich zieht. So bei den Planungen zur S4 in Hamburg, wo die Planenden dann die Kabelschächte für die Steuerungsleitungen vergessen hatten, was zum Zurückziehen der ausgelegten Planfeststellungsunterlagen führte mit der Konsequenz einer einjährigen Bauverzögerung.

Durch den besagen Druck werden die Planungsteams auch darauf eingeschworen, nur die gestellte Aufgabe zu bearbeiten und nicht links und rechts zu gucken. So werden in Hamburg bei einer Brückenerneuerung, obwohl nicht zwingend notwendig, Neubaustandards zugrunde gelegt. Der Gleismitteabstand wird auf Hochgeschwindigkeitsniveau verbreitert, obwohl die Strecke auch zukünftig mit nie mehr als 60-70 km/h befahren wird. Aber sicher ist sicher, auf jeden Fall man hat nichts falsch gemacht. So werden dann für die Brücke und einen Streckenabschnitt von 50 Metern vor und hinter der Brücke 6 Meter hohe Lärmschutzwände errichtet, also dort, wo die Hauptlärmquelle der Straßenverkehr ist, und gleichzeitig besteht auf der gesamten acht Kilometer langen Strecke, die durch dicht bewohnte Gebiete führt, keine weitere Lärmschutzwand. Und die nächste, nur einen Kilometer entfernte Brücke auf dieser Strecke, wird 1:1 wie der Bestand erneuert, obwohl hier Gleislageanpassungsmaßnahmen aus betrieblichen Gründen angezeigt gewesen wären. Aber hier war die Aufgabenstellung nach Auskunft der Planenden: die Bestandsbrücke 1:1 zu ersetzen.  Da es den Planungsteams verboten ist, die Sinnhaftigkeit des Gesamtprojektes zu hinterfragen, kommt dann ein solches Stückwerk heraus. Und häufig kommunizieren Planungsteams, die nebeneinanderliegende Projekte bearbeiten, nicht einmal miteinander. So erlebt im Dialogforum zum Verbindungsbahnentlastungstunnel. Gefragt nach der Sinnhaftigkeit dieses Mega-Projektes, antwortet der DB-Projektleiter, nein das sei nicht seine Aufgabe gewesen, er und sein Team hätten lediglich die technische Machbarkeit des Projektes zu beurteilen gehabt. Natürlich kam das gewünschte Ergebnis heraus, das Projekt ist technisch machbar, zu welchen Kosten interessierte keinen, da die Ermittlung der Kosten nicht Gegenstand des Planungsauftrages gewesen sei.

In den DB-Planungsabteilungen herrscht ein chronischer Personalengpass, einerseits dem allgemein bekannten Fachkräftemangel geschuldet, andererseits dadurch verursacht, dass enorme Planungskapazitäten bei der DB für die völlig unsinnigen Neubauprojekte (zum Beispiel Verbindungsbahnentlastungstunnel in Hamburg, Fernbahntunnel in Frankfurt, diverse Hochgeschwindigkeits-Neubaustrecken, usw.) abgestellt werden, die dann bei der Planung für kleinere Ersatzmaßnahmen oder Streckenreaktivierungen fehlen.

Der Knappheit eigener Ressourcen geschuldet, vergibt die DB dann viele Aufträge, vor allem für Gutachten wie zum Beispiel für die Umweltverträglichkeitsprüfungen, landschaftspflegerische Ausgleichsmaßnahmen, Schall- und Erschütterungsuntersuchungen, aber auch immer mehr für ingenieurtechnische Leistungen im engeren Sinne an externe Büros. Allein schon die korrekte europaweite Ausschreibung solcher Leistungen erfordert einen enormen Koordinierungsaufwand. Dass sich hierbei Fehler einschleichen, liegt dann auf der Hand. So wird bei vielen Projekten das gesamte Detailengineering an diverse Ingenieurbüros vergeben. Hier kommt es auf die Definition der Schnittstellen zwischen den fremdvergebenen Aufträgen an. Das Schnittstellenmanagement ist sehr fehleranfällig, aber für die zeit- und kostengerechte Umsetzung eines Projektes essentiell. Die DB als großer Auftraggeber hat natürlich gegenüber den meist kleineren Ingenieurbüros eine dominante Verhandlungsmacht und verpflichtet diese auf die häufig nicht widerspruchsfreien DB-Planungsrichtlinien. Dabei steht das Ingenieurbüro unter erheblichem Druck, die von der DB zur Absicherung im Übermaß verlangten Nachweise zu erbringen. So verlangt die DB zum Beispiel den rechnerischen Nachweis der Standsicherheit einer über hundert Jahre alten Flachgründung. Die lässt sich heute nicht mathematisch einwandfrei erbringen. Die Folge davon ist, dass das Ingenieurbüro Tiefgründungen mit Bohrpfählen vorsieht, die teurer und langwieriger zu erstellen sind, mehr Beton und Stahl verbrauchen und natürlich, wenn sie in grundwasserführende Schichten reichen, Auswirkungen auf die Grundwasserleiter haben. Das interessiert die DB aber nicht, hauptsächlich der rechnerische Nachweis stimmt. Ob dann die neue Brücke auch hundert Jahre und mehr hält, wie ihr Vorgänger, interessiert die DB ebenfalls nicht, dann nach spätestens 10 Jahren erlöschen alle Gewährshaftungen, und das Spiel zur Erneuerung einer angeblich schadhaften Brücke kann erneut beginnen. So sind in Hamburg die Süderelbebrücken, erst 1978 eingeweiht, komplett abgängig, wohingegen die Sternbrücke, weil über 100 Jahre alt, zwar abgerissen und neu gebaut werden soll, aber derzeit im Gegensatz zur Süderelbebrücke keine Probleme (sprich Langsamfahrstelle) bereitet.

Fazit: Die Planungskultur innerhalb der DB mit ihren isoliert vor sich hin werkelnden Teams, ohne vernetztes Denken, produziert am Ende der Tage teure suboptimale Projekte. Durch die Fokussierung der Planungskapazitäten auf große Prestigeprojekte fallen die kleinen für den Bahnverkehr viel wichtigeren Maßnahmen hinten runter. Das Ergebnis dieser Fehlentwicklung lässt sich am heutigen Zustand des Netzes beobachten.

Über Michael Jung

Jahrgang 1950, Dipl.-Volksw., arbeitete zuerst in einem Großkonzern der Mineralölwirtschaft und dann 28 Jahre bei einer deutschen Großbank, davon 10 Jahre lang im Bereich Finanzierung von Eisenbahn- und Nahverkehrsprojekten weltweit. Seit 8 Jahren ist er Sprecher der Bürgerinitiative Prellbock-Altona e.V., die sich für den Erhalt und Modernisierung des Fern- und Regionalbahnhofs Altona am jetzigen Standort einsetzt.

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