rail blog 306 / Heiner Monheim

Hintergründe zum Streit zwischen Bund und Ländern über die Finanzierung des 49-Euro-Deutschlandtickets und die Finanzierung der Sanierung und des Ausbaus des Bahnnetzes

Bund und Länder streiten ohne Verkehrswendekonzept über Haushaltsprioritäten im Verkehr

Aktuell streiten sich Bund und Länder über die Anschlussfinanzierung des Deutschlandtickets. Nun hat sich auch Bundesfinanzminister Lindner in die Debatte eingemischt und stellt die Finanzierung für Sanierung und Ausbau des Bahnnetzes gegen die Kosten des Deutschlandtickets. Die grundlegende Frage der klimapolitisch zwingend erforderlichen Verkehrswende und eines dafür notwendigen Gesamtverkehrsplans spielt bei dieser Diskussion überhaupt keine Rolle. Bund, Länder, Kreise und Kommunen müssten aber die Handlungserfordernisse für ein zukunftsgerichtetes Reformwerk „Verkehrswende“ politisch aufgleisen und den Finanzbedarf bestimmen.

Sparen beim Fernstraßenbau

Wenn der Fernstraßenbau im bisher geplanten Ausmaß fortgesetzt wird, kann die Verkehrswende nicht gelingen, denn der Kfz-Verkehr darf nicht noch mehr gefördert, sondern er muss verringert werden. Daraus ergibt sich ein beachtliches Potenzial für Einsparungen bei den Fernstraßenplänen im Bundesverkehrswegeplan: Der Bedarf für weitere Straßen wird minimiert, und die verbleibenden Mittel müssen auf die notwendige Netzsanierung konzentriert werden.

Umverteilung der Investitionsmittel von der Straße zur Schiene, Schienennetzausbau für die Verkehrswende

Die Investitionsprioritäten müssen deshalb grundlegend verändert werden: weg von der Straße hin zur Schiene. Denn die Schiene hat einen riesigen Nachholbedarf bei Investitionen für den Kapazitätsausbau und die Modernisierung des Schienennetzes. Verkehrswende erfordert die beschleunigte Reaktivierung der vielen stillgelegten Bahntrassen. Sie erfordert weiter eine durchgängige Netzelektrifizierung. Und ganz dringend ist der Wiedereinbau kapazitätserweiternder Weichen und Überholgleise, damit das chronische Verspätungsdrama endlich mit angemessenen Maßnahmen beendet wird.

Nötig ist weiter der Bau vieler neuer Haltepunkte, um endlich auch kleinere S-Bahn-Systeme zu schaffen und die nötige Kundennähe ins Bahnsystem zu bringen. Der ländliche Raum darf nicht weiter Stiefkind der deutschen Bahnpolitik bleiben. Dafür sind für die Infrastruktur angepasste Lösungen mit reduzierten Standards nötig. Und der Fernverkehr der Bahn darf sich nicht nur auf die großen Zentren konzentrieren. Verkehrswende braucht eine Flächenbahn, bei der auch die vielen Mittelzentren im ländlichen Raum mit neuen InterRegio-Linien im Deutschlandtakt angebunden werden.

Bahnstrategie verändern, weg von den Großprojekten zurück in die Fläche

Allerdings muss in diesem Zusammenhang die Bahnpolitik grundlegend verändert werden. Die Priorität für die wenigen Großprojekte des Hochgeschwindigkeitsnetzes und die spekulativen Großbahnhofsprojekte muss beendet werden. Stattdessen müssen Bahninvestitionen besser, intelligenter und regional ausgewogener verteilt und in den Standards bescheidener, aber in den Netzzielen ehrgeiziger konzipiert werden.

Verkehrswende auch im Güterverkehr

Auch im Güterverkehr muss endlich die Verkehrswende angegangen werden: durch den beschleunigten Ausbau vieler regionaler Güterverkehrszentren und die Reaktivierung und den Neubau vieler Güteranschlussgleise. Verkehrswende geht nur mit einer Attraktivitätssteigerung der Güterbahn durch mehr regionale Präsenz und Kapazität. Dafür muß die Fixierung auf Ganz- und Langzüge und die langen Distanzen beendet werden, denn auch der regionale Güterverkehr braucht konkurrenzfähige Angebote durch Güter-S-Bahn- und Güterregionalbahn-Konzepte. Dafür braucht man dezentrale kleine und mittlere Güterverkehrszentren. Die Reaktivierung stillgelegter Bahnstrecken soll auch der Güterbahn dienen.

Verkehrswende betrifft vor allem die kommunale und regionale Ebene

Ein Großteil der klimaschädlichen und umweltbelastenden Emissionen betrifft die kommunale und regionale Ebene. Deswegen muss in den Haushalten und bei den Investitionen das Verhältnis zwischen den Ebenen neu justiert werden. Die Kommunen und Regionen sind bislang heillos unterfinanziert, um vor Ort Verkehrswende umsetzen zu können. Der Fernverkehr und damit der Bund verschlingt in Relation zum realen Verkehrsgeschehen mit seiner klaren Dominanz der lokalen und regionalen Verkehrsverflechtungen einen weit überproportionalen Anteil an den für Verkehr generell verfügbaren Haushaltsmitteln. Mit dem Beibehalten der Investitionspriorität für Fernverkehr kann Verkehrswende nicht gelingen.

Abspecken der Standards und Begrenzung der Geschwindigkeiten

Weil Fernverkehr immer auch als Schnellverkehr gedacht und geplant wird, wurden in den letzten Jahrzehnten die Standards für Bau und Betrieb von Infrastruktur massiv gesteigert. Das Primat von „höher, schneller, weiter“ passt überhaupt nicht mehr zu den Nachhaltigkeitspostulaten und den Klimaschutzerfordernissen. Es macht alle Verkehrsinfrastrukturen unnötig teuer, flächenbeanspruchend, emissionsintensiv und unfallträchtig und den Betrieb energieintensiv.

Da aber Verkehrswende und die Einsparung von Kfz-Verkehr vor allem im Bereich des Regional- und Nahverkehrs ansetzen muss, sind hier flexible, an diese Aufgaben angepasste Standards besonders wichtig. Viele ländliche Bahnstrecken können dann besser nach BOStrab statt nach EBO betrieben werden. Viele Straßen können schmaler gebaut und der Verkehr darauf mit geringeren Gesschwindigkeiten betrieben werden.

Im öffentlichen Verkehr auf Straße und Schiene können dann verstärkt mittlere und kleine Fahrzeugformate zum Einsatz kommen. Das alles erlaubt einen viel preisgünstigeren Bau und Betrieb der Verkehrswege.

Deutschlandticket zentraler Hebel der Verkehrswende

Vor dem Hintergrund dieser physikalischen, technischen und psychologischen Zusammenhänge erweist sich das zunächst mehr aus bundespolitischer Verlegenheit entwickelte 9-Euro-Ticket und später verstetigte 49-Euro-Ticket als wichtiger Hebel einer grundlegenden Verkehrswende. Darum muss es einen Schulterschluss aller Umwelt- und Verkehrsverbände geben, das Deutschlandticket zu verteidigen und seine dauerhaft gesicherte Finanzierung zwischen Bund und Ländern „einzuklagen“ und von Bund und Ländern endlich die Entwicklung eines klimapolitisch begründeten Gesamtverkehrskonzepts zu fordern, in dem mit hoher Priorität die Belange des Regional- und Nahverkehrs berücksichtigt und die Entwicklung attraktiver Alternativen zum Auto und Lkw auch und gerade für die ländlichen Regionen angestrebt werden. Der konzeptionelle Stau deutscher Verkehrspolitik muss endlich durch vernünftige Verkehrs- und Haushaltspolitik aufgelöst werden.

Debatte über Reform der Verkehrsfinanzierung und Verkehrswende in ländlichen Regionen dringend erforderlich

Der kurzfristig zugespitzte Streit um die Kürzungen im Bundeshaushalt 2025 und mögliche Preiserhöhungen des 49-Euro-Tickets sowie um die Aufteilung der Mehrkosten zwischen Bund und Ländern verdeckt die viel grundlegendere Notwendigkeit einer völlig neuen Verkehrsfinanzierung mit einer veränderten Aufteilung der Mittel einerseits zwischen Bund, Ländern, Kreisen und Gemeinden und andererseits zwischen Straßenverkehr und öffentlichem Verkehr. Durch das Deutschlandticket ist erstmals auf allen politischen Ebenen und bei allen Parteien bewusst geworden, wie große die Angebotslücken im ÖPNV/SPNV in ländlichen Regionen und in Klein- und Mittelstädten sind. Solche Lücken müssen im Zuge einer klimapolitisch dringend notwendigen Verkehrswendestrategie schnellstmöglich abgebaut werden. Denn für die dortige Bevölkerung macht das Deutschlandticket nur Sinn, wenn dort auch ausreichend nutzbare Angebote vorhanden sind. Nutzbar bedeutet: Die Angebotsdichte in Form von Netzdichte, Haltestellendichte und Taktdichte muss bedarfsgerecht sein. Lange Zeit galt es in der Politik als utopisch, in ländlichen Regionen ein zum Auto konkurrenzfähiges ÖPNV/SPNV-Angebot zu machen. Jetzt plötzlich wird auf breiter Basis gefordert, dass das ländliche Angebot grundlegend verbessert werden muss. Das eröffnet die schon lange benötigten Spielräume um mehr Busse und Bahnen statt mehr Asphalt und Beton zu finanzieren. Diese zentralen Fragen der Umwelt-, Klima- und Verkehrspolitik sind viel zu wichtig, als sie dem kurzatmigen Hickhack zwischen Bund mit seinem Finanzminister und Ländern mit deren Verkehrsministern zu überlassen.

Der ländliche Raum braucht für die nächsten zwei bis drei Jahrzehnte eine eindeutige Priorität bei den Investitionen in den Öffentlichen Verkehr gegenüber den bisher priorisierten Großprojekten der Hochgeschwindigkeitsbahn und den von der Bodenspekulation angetriebenen Bahnhofsgroßprojekten. Demgegenüber kann im ländlichen Raum beim Straßenbau erheblich gespart werden, zumal bei abgesenkten Standards für Geschwindigkeiten und Autoerreichbarkeiten.

Fazit:

Das 49-Euro-Ticket hat sich als wichtiger Hebel für eine grundlegende Verkehrswende erwiesen. Darum muss es einen Schulterschluss aller Umwelt- und Verkehrsverbände geben, um es zu verteidigen und seine dauerhaft gesicherte Finanzierung zwischen Bund und Ländern „einzuklagen“. Der Bund muss endlich zusammen mit den Ländern ein klimapolitisch begründetes Gesamtverkehrskonzept vorlegen, mit einer hohen Priorität für die Belange des Regional- und Nahverkehrs bei der Entwicklung attraktiver Alternativen zu Pkw und Lkw. Der konzeptionelle Stau deutscher Verkehrspolitik muss endlich durch vernünftige Verkehrs- und Haushaltspolitik aufgelöst werden.

Über Prof. Dr. Heiner Monheim

(*1946), Geograf, Verkehrs- und Stadtplaner, seit den 1960er Jahren befasst mit den Themen Flächenbahn, Schienenreaktivierungen, Erhalt des IR, S-Bahnausbau und kleine S-Bahnsysteme, Stadt- Umland-Bahnen, neue Haltepunkte, Güter-Regionalbahnen, Bahnreform 2.0, Kritik der Großprojekte der Hochgeschwindigkeit und Bahnhofsspekulation. Details: www.heinermonheim.de

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