rail blog 364 / Michael Jung

Anstiftung zum Schwarzfahren?

In ICEs auf langen Strecken kann man immer häufiger erleben, dass man über Stunden und häufig überhaupt nicht einen einzigen Zugbegleiter zu Gesicht bekommt. Obwohl es doch in üblichen Ansagen nach jedem Halt heißt: „Bei Fragen und Problemen wenden Sie sich bitte an das Zugpersonal“. Um dieses zu finden, muss man sich aber häufig mindestens durch den halben Zug schlängeln, bevor man das Zugpersonal im Dienstabteil findet. Und das ist bei einem ICE4 mit 13 Wagen ein ganz schön langer Weg und angesichts der engen Gänge im ICE4 auch häufig mit einiger Akrobatik verbunden. Immer seltener kommt auch das Zugpersonal durch den Zug, um die Fahrkarten zu kontrollieren. Offensichtlich herrscht die Annahme im Management der DB vor, dass durch den sogenannten „Komfort-Check-in“ die Fahrgäste ihre Fahrkarten selber entwerten – dies wird dann auf den Smartphones der Zugbegleiter angezeigt – und sie zielsicher die Personen finden, die noch mit ausgedruckter Fahrtkarte unterwegs sind und nicht den Komfort-Check-In genutzt haben.

Allerdings wurde der Autor zum Beispiel auf langen Strecken von Leipzig nach Berlin oder von Hamburg nach Berlin jeweils in gut gefüllten Zügen mehrfach nicht kontrolliert. Auf die Frage an den Zugbegleiter, warum es keine Fahrkartenkontrolle mehr gäbe, antwortete dieser ehrlich: „Wir sind nur noch mit zwei Zugbeleitern auf diesen Zügen unterwegs, früher waren es vier, und in einem vollbesetzten Zug schaffen wir selbst auf langen Strecken ohne Zwischenhalte wie Hamburg Hbf – Berlin-Spandau es nicht, einen vollbesetzten Zug vollständig zu kontrollieren. Das sei auch nicht mehr notwendig, da nur noch weniger als 9 % der Reisenden mit einem Flexticket unterwegs seien, das man nach Fahrtende, sofern es nicht entwertet wurde, wieder eintauschen könne. Dass aber dreiste Reisende es darauf ankommen lassen, sich erst gar kein Ticket kaufen und hoffen, dass keine Kontrollen stattfinden – das kommt in den Gedankengängen der Rationalisierer und Stellenabbauer in den Plüschetagen der DB nicht vor. Vermutlich ist die banale Kalkulation der DB-Controller die: Die Personalkosten für zwei zusätzliche Zugbegleiter sind höher als der mögliche Schaden durch potentielle Schwarzfahrer. Aber dass diese Herangehensweise generell die Zahlungsmoral untergräbt und das Produkt Bahn damit verramscht wird, soweit reichen die Gedankengänge der Rationalisierer nicht. Ganz zu schweigen davon, dass mehr Personal das subjektive Sicherheitsempfinden erhöht und eine gute Betreuung der Fahrgäste gerade von älteren Reisenden durchaus geschätzt wird.

Über Michael Jung

Jahrgang 1950, Dipl.-Volksw., arbeitete zuerst in einem Großkonzern der Mineralölwirtschaft und dann 28 Jahre bei einer deutschen Großbank, davon 10 Jahre lang im Bereich Finanzierung von Eisenbahn- und Nahverkehrsprojekten weltweit. Seit 8 Jahren ist er Sprecher der Bürgerinitiative Prellbock-Altona e.V., die sich für den Erhalt und Modernisierung des Fern- und Regionalbahnhofs Altona am jetzigen Standort einsetzt.

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