rail blog 366 / Michael Jung

České dráhy – Beobachtungen beim Bahnfahren in unserem Nachbarland Tschechien

Tschechien hat – bezogen auf die Landesfläche – eines der dichtesten Bahnnetze in Europa und ist seit jeher ein klassisches Eisenbahnland. Die Länge des Bahnnetzes betrug Ende 2024 9.349 km, allerdings waren davon weniger als ein Viertel (2.081 km) zwei- oder mehrgleisig und nur rund ein Drittel (3.271 km) elektrifiziert. Der größte Teil des Netzes besteht somit aus eingleisigen, nicht elektrifizierten Nebenbahnen, die im Vergleich zu deutschen Landen bisher nicht stillgelegt, sondern saniert wurden. Generell kann man in unserem Nachbarland noch einen Bahnbetrieb klassischer Natur beobachten mit Personal, das man ansprechen kann, auch an kleineren der insgesamt 1.051 Bahnhöfe, mit ausreichender Zahl an Rangiergleisen in den Bahnhöfen und klassischen lokbespannten Zügen. Leider ist sind die elektrifizierten Strecken noch gespalten in die modernisierten Strecken mit 25 kV 50 Hz Wechselstrom (Ende 2023: 1.439 km) und die alten Gleichstromstrecken mit 3 kV (1.781 km). Aber das ist heute in Zeiten von Mehrsystemlokomotiven nicht mehr das große Problem. Insgesamt gibt es 19 grenzüberschreitende Schienenstrecken zwischen Deutschland und Tschechien, die meisten davon Nebenbahnen in gebirgigen Regionen.  Die Mehrzahl davon weist leider keinen fahrplanmäßigen Schienenverkehr mehr auf. Und nur ein einziger Grenzübergang ist elektrifiziert, nämlich der im Elbtal an der stark frequentierten Hauptstrecke zwischen Dresden und Prag, über den dann auch, in Tonnenkilometern gerechnet, fast 80 Prozent des Bahntransportes zwischen Deutschland und Tschechien abgewickelt werden. Nach 20 Jahren Mitgliedschaft der tschechischen Republik in der EU ist es ein Skandal erster Güte, dass es noch immer keine elektrifizierte Bahnverbindung von München oder Nürnberg nach Tschechien gibt. Konsequenz daraus: Es gibt keine umsteigefreie Zugverbindung von Frankfurt nach Prag!

České dráhy (CD) erlebte nach dem Ende des Sozialismus einen dramatischen Rückgang der Nachfrage, und Streckennetz wie Rollmaterial waren heruntergewirtschaftet und für den verbleibenden Verkehr überdimensioniert. Aber heute ist es beeindruckend zu sehen, wie CD den Turn-around geschafft hat. Die Pünktlichkeitsquote lag lt. Wikipedia 2023 bei 88,8 Prozent, wobei Züge mit mehr als fünf Minuten Verspätung (bei der DB 6 Minuten) als unpünktlich gelten. Von solchen Pünktlichkeitswerten kann die DB nur träumen. Auch wenn westliche Schienenfahrzeughersteller der Leitung der CD den Hochgeschwindigkeitsfloh ins Ohr setzten und leider mit massiver Unterstützung der DB noch immer setzen (siehe Pläne für einen 30 km langen Erzgebirgsbasistunnel und eine HGV-Strecke von Berlin nach Prag in 2 Stunden) ist angesichts der topographischen Bedingungen sowie der zurückzulegenden Distanzen ein auf mittlere Geschwindigkeiten ausgerichtetes Streckennetz für Tschechien vollständig ausreichend. Dafür gibt es in Tschechien noch eine Zuggattung, die früher in Deutschland als Heckeneilzüge bezeichnet wurde, die abgelegene Regionen des Landes mindestens zweimal täglich mit der Hauptstadt Prag verbinden (so zum Beispiel von Bayrisch-Eisenstein über Pilsen nach Prag), die sich, sobald sie den nächsten Eisenbahnknoten erreicht haben, mit Zügen aus anderen Regionen zu einem dichteren Takt in Richtung Hauptstadt überlagern. Dabei kommt aus Kostengründen im Wesentlichen funktional renoviertes älteres Waggonmaterial zum Einsatz. Lokbespannte D-Züge mit nur 4 Waggons würde die DB als hoffnungslos unwirtschaftlich bezeichnen. Aber offensichtlich scheint das Konzept in Tschechien zu funktionieren bzw. von der Politik durch entsprechende Subventionen unterstützt zu werden. So macht denn CD im Personenverkehr Gewinne, wo die DB Milliardenverluste einfuhr. Das mag auch daran liegen, dass CD das Rollmaterial auch voll bis ans Ende seiner technisch wirtschaftlichen Lebensdauer nutzt und nicht wie bei der DB vorzeitig ausrangiert und verschrottet.

Im gesamten Land macht der Zustand des Streckennetzes, besonders des Oberbaus, einen geordneten und gepflegten Eindruck. Man sieht ganz offensichtlich, dass hier systematische Instandhaltung betrieben wurde und qualifizierte Eisenbahner für das Instandhaltungskonzept verantwortlich sind. Lärmschutzwände werden dort aufgestellt, wo Anwohner durch den Bahnlärm belästigt werden. Eine verkrampfte Diskussion wie bei der DB (Lärmschutzwände werden nur aufgestellt, wo Strecken nach Neubaustandards saniert werden) scheint es in Tschechien nicht zu geben. Es zeigt sich auf der ganzen Linie, besonders beim Ausbau des S-Bahnnetzes im Großraum Prag, dass die Modernisierung mit Pragmatismus und Augenmaß vorangetrieben wird, im Fokus immer Fahrgäste und Anwohner, nicht etwa die sklavische Erfüllung irgendwelcher konzerninterner Richtlinien.

Last but not least hat die CD ihr Ticketverkaufssystem kundenfreundlich modernisiert. Es gibt nach wie vor mit Personen besetzte Schalter auch an kleineren Bahnhöfen, aber auch die mehrsprachige Internet-Verkaufsseite der CD ist einfacher zu bedienen als das DB-Pendant. Der Autor dieser Zeilen wollte für eine Strecke von Budweis (České Budějovice) nach Skochovice eine Gruppenfahrkarte für 20 Personen über 65 Jahre lösen. Anfrage bei der DB: »Das geht nur für die Hauptstrecke bis zur Umsteigestation«. Auf der Webseite der CD war der Erwerb der Fahrkarte für die Gesamtstrecke mit Umsteigen, wobei die zweite Teilstrecke von einem anderen EVU bedient wurde, aus Deutschland heraus einfach (mit Bezahlung per Kreditkarte und Ausdruck der Fahrkarte am heimischen Computer) möglich. Der Clou: die Gesamtfahrkarte für eine dreistündige Bahnreise mit Umsteigen über circa 200 km kostet mit den Spartarifen der CD pro Person rund 6 Euro, während die DB für die Teilstrecke auf der Hauptbahn 30 Euro pro Person kassieren wollte! Ganz nebenbei: Gruppenfahrkarten sind auf der DB Webseite nicht zu erwerben! Bei der CD war sogar die Schaffnerin des Regionalanschlusszuges einer Nicht-CD-Bahngesellschaft über das Erscheinen der Gruppe informiert! So hat Eisenbahn zu funktionieren!

Fazit: Man kann auch mit weniger Ressourceneinsatz ein voll akzeptables Bahnprodukt auf die Beine stellen. Es müssen nicht immer sauteure neue ICE-HGV-Züge sein, um Kunden auf die Bahn zu bekommen. Sinnvoll modernisiertes altes Rollmaterial und pünktlich fahrende Züge erfüllen auch ihren Zweck. Das war einstmals auch das Erfolgsrezept für den Interregio, der eingestellt wurde, weil er zu erfolgreich war und das ICE-HGV-Konzept der DB-Oberen hat alt aussehen lassen.

Über Michael Jung

Jahrgang 1950, Dipl.-Volksw., arbeitete zuerst in einem Großkonzern der Mineralölwirtschaft und dann 28 Jahre bei einer deutschen Großbank, davon 10 Jahre lang im Bereich Finanzierung von Eisenbahn- und Nahverkehrsprojekten weltweit. Seit 8 Jahren ist er Sprecher der Bürgerinitiative Prellbock-Altona e.V., die sich für den Erhalt und Modernisierung des Fern- und Regionalbahnhofs Altona am jetzigen Standort einsetzt.

Zeige alle Beiträge von Michael Jung →

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert