rail blog 382 /Michael Jung

Ein Déjà-vu nach über 20 Jahren

Vollmundig verkünden nun DB und Eurostar in Anwesenheit des deutschen Verkehrsministers und der britischen Verkehrsministerin, dass sie alsbald eine Hochgeschwindigkeitsverbindung von Frankfurt und Köln nach London einrichten wollen. Dazu sei ein „Memorandum of Understanding“ unterzeichnet worden. Das ist die maximal unverbindliche Form einer Absichtserklärung. Danach wolle man Optionen für ein internationales Fernverkehrsangebot zwischen Deutschland und Großbritannien ausloten. Frühestens ab Anfang der 2030er Jahre sollen die Züge fahren (siehe nachstehende Pressemitteilung vom 5.12.2025).

Da kann man sich nur fragen: Wie geschichtsvergessen sind die Damen und Herren der Politik und von DB und Eurostar? Denn eine exakt gleiche Absichtserklärung mit ähnlicher Unverbindlichkeit gab schon einmal 2004, zehn Jahre nach Eröffnung des Eurotunnels und kurz nach der Eröffnung der Schnellfahrstrecke auf britischer Seite mit den Bahnhöfen Ashford, Stratford und King‘s Cross. Damals – gerade hatten die ICE-3 Mehrsystemzüge auf der Schnellfahrstrecke zwischen Frankfurt und Köln mit Weiterfahrt nach Aachen – Brüssel bzw. Düsseldorf – Duisburg – Arnheim – Amsterdam ihren Betrieb aufgenommen – herrschte bei den Bahnverantwortlichen in Europa HGV-Euphorie. Schon träumte man davon, das Euro-Finanzzentrum Frankfurt und den Ballungsraum Rhein/Ruhr mit seinen mehr als 10 Mio. Einwohnern mit der Weltmetropole London zu verbinden. Technisch hätten die ICE-3 Züge der BR 406/407 das locker leisten können. Sie fuhren bis 300km/h, waren druckdicht und konnten mit den Spannungsstufen 15 kV 16 2/3 Hertz, 25 kV 50 Hz und 3.000 V DC (Belgien, Frankreich-Altnetz)/respektive 1.200 V DC (Niederlande) klarkommen. Betriebsaufnahme war damals für 2007/08 vorgesehen. Aber schon kurz nach Vertragsunterzeichnung begannen DB und Eurostar das Projekt zu zerreden. Die DB war ein gebranntes Kind durch den für sie unvorteilhaften Gesellschaftervertrag für den Betrieb der Thalys-Züge von Köln/Essen nach Paris und die von Eurostar und den Franzosen verlangten scharfen Sicherheitskontrollen an den Einstiegsbahnhöfen (was bauliche Veränderungen erfordert hätte). Eurostar wiederum witterte unliebsame Konkurrenz durch die ungleich komfortableren ICE3 Züge, die einen deutlich höheren Passagierkomfort boten als die damaligen Eurostarzüge, die ein schlechtes Derivat der damals schon in die Jahre gekommenen ersten Serie der SNCF-HGV Züge waren. Also wurde das Projekt mit den üblichen lauwarmen Ausreden still und leise beerdigt.

Zwar ist Thalys zwischenzeitlich Geschichte (von Eurostar übernommen, die DB hat ihre Verluste aus dem Geschäft abgeschrieben), und Eurostar verfügt zwischenzeitlich über moderne Siemens-Züge, eine Nachfolgeentwicklung des ICE3. Auch musste die DB ihre Ambitionen, „Global Player“ zu werden, unter dem Druck horrender Verluste aus dem Auslandsgeschäft (siehe Arriva) beerdigen und kann sich jetzt realistischeren und notwendigeren Projekten zuwenden. Denn noch immer reist die Mehrzahl der Passagiere nach London mit dem Flugzeug an, hier gibt es gerade unter Klimaaspekten enormen Verbesserungsbedarf. Daher ist das Projekt notwendiger denn je und kann keinesfalls bis Anfang der 30er Jahre warten. Warum gibt es keinen Start zum nächsten Fahrplanwechsel im Dezember 2026?

Auch gab es Anfang der 2000er Jahre einmal die Idee durchgehender Schlafwagenzüge von Kontinentaleuropa nach Großbritannien. Die Waggons waren schon bestellt und produziert. Eingestellt wurde das Projekt durch engstirniges Fingergehakel der Akteure, genauso wie die damaligen Pläne für einen HGV-Tagesverkehr von Deutschland nach London. Und die Schlafwagen laufen heue in Kanada.

Über Michael Jung

Jahrgang 1950, Dipl.-Volksw., arbeitete zuerst in einem Großkonzern der Mineralölwirtschaft und dann 28 Jahre bei einer deutschen Großbank, davon 10 Jahre lang im Bereich Finanzierung von Eisenbahn- und Nahverkehrsprojekten weltweit. Seit 8 Jahren ist er Sprecher der Bürgerinitiative Prellbock-Altona e.V., die sich für den Erhalt und Modernisierung des Fern- und Regionalbahnhofs Altona am jetzigen Standort einsetzt.

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