Die Sprache ist verräterisch
Im aktuellen Geschäftsbericht für das Jahr 2022 der Deutschen Bahn (DB) stellt sie ihre aktuellen bzw. von ihr für wichtig gehaltenen Projekte in Kurzform vor.
Zur Schließung und Verlegung des Fern- und Regionalbahnhofs Altona und seiner Verlegung an den Standort des zwei Kilometer Luftlinie nördlich gelegenen S-Bahnhofs Diebsteich druckt die DB folgenden kryptischen Text, der bei einem uninformierten Leser zuerst nicht auf Widerspruch stoßen wird.
„Bahnhof Hamburg-Altona: In Hamburg-Altona wird der Kopfbahnhof für den Fern- und Regionalverkehr als Haltepunkt verlegt. Die heutige S -Bahn-Station Diebsteich wird durch den zusätzlichen Ausbau zum Durchgangsbahnhof. Das Projekt wird von der Freien und Hansestadt Hamburg, die auch städtebauliche Impulse durch frei werdende Flächen in Altona und die Neuentwicklung am Diebsteich erwartet, unterstützt. Es werden insgesamt vier Bahnsteige und ein Empfangsgebäude errichtet. Die Arbeiten haben bereits begonnen. Bis Herbst 2023 wird der S -Bahnsteig in Betrieb genommen, die drei Fern- und Regional-Bahnsteige voraussichtlich 2027.“
Es ist schon vermessen, die Stilllegung (mit Ausnahme des S-Bahnverkehrs) des fünfzehntgrößten Bahnhofs im Netz der DB als Verlegung eines Haltepunktes zu beschreiben. Dieser Bahnhof hieß sogar bis zur Eingemeindung von Altona nach Hamburg im Jahr 1938 „Hauptbahnhof Altona“. Denn der Bezirk Altona, der hauptsächlich durch den Bahnhof Altona erschlossen wird, hat mit mehr als 275.000 Einwohnern die Dimension einer mittleren Großstadt. Und diese wird durch das Projekt mehr oder minder vom Fern- und Regionalbahnverkehr abgeklemmt. Gleichzeitig wird damit der einzige voll barrierefreie Fern- und Regionalbahnhof in Hamburg mit ebenerdigem Zugang vom Straßenniveau dichtgemacht. Dazu kein Satz!
Der zweite Satz der Kurzdarstellung führt nun komplett in die Irre: Durch den zusätzlichen Ausbau wird die heutige S-Bahnstation zu einem Durchgangsbahnhof. Zum einen ist die S-Bahn-Station seit ihrer Eröffnung in 1972 eine Durchgangsstation. Durch die Verlegung des jetzigen Kopfbahnhofs soll der nach den Wünschen der DB dann in Altona umgetaufte Bahnhof Diebsteich ein Durchgangsbahnhof werden, in dem zwischen den dort vorbeilaufenden Gleisen von Kiel/Neumünster/Elmshorn nach Hamburg –Altona bzw. Hbf. Bahnsteige gequetscht werden. Diese 6 Bahnsteigkanten sollen aber durch die eingeplanten zusätzlichen Halte 50% mehr Verkehr aufnehmen als die bestehenden acht Bahnsteigkanten am Bahnhof Altona. Prellbock-Altona hat schon vor zwei Jahren in einer 24-Stunden-Echtzeitsimulation nachgewiesen, dass diese Kapazität nicht ausreicht und der Bahnhof regelmäßig, wie es im Eisenbahner-Deutsch so schön heißt, „zulaufen“ wird.
Da der DB zwischenzeitlich dämmert, dass das Bahnhofsverlagerungsprojekt nicht mehr in den Deutschland-Takt passt und für eine Ausweitung des Bahnverkehrs im Rahmen der Verkehrswende ungeeignet ist, wird im folgenden Satz die Stadt Hamburg in Mithaftung genommen, indem man darauf verweist, dass die Stadt das Projekt unterstützt und auf „städtebauliche Impulse durch die freiwerdenden Flächen in Altona und die Neuentwicklung am Diebsteich“ hoffen darf. Das ist die vornehme Umschreibung dafür, dass es sich bei dem Bahnhofsprojekt nicht um ein Bahnprojekt, sondern schlicht um ein reines Immobilienprojekt mit möglichen Spekulationsgewinnen von bis zu 350 Mio. Euro handelt. Allerdings sehen diese Impulse so aus, dass die Bahnflächen frühestens 2030 frei werden und die Abriss- und Bodendekontaminierungskosten von geschätzt 130 Mio. Euro von der DB galant der Stadt aufs Auge gedrückt wurden. Und die „Neuentwicklung“ am Diebsteich besteht darin, dass ein Privatinvestor zwei Hochhaustürme errichten will, die, durch ein Glasdach verbunden, eine Bahnhofshalle darstellen sollen, und daneben eine Musikhalle mit 5.000 Plätzen und ein Regionalligastadion mit ebenfalls 5.000 Plätzen gebaut werden sollen. Beides weitgehend mit Steuergeldern. Aber der dringend benötigte Wohnungsbau findet nicht statt. Neuentwicklung heißt hier im Klartext: ein bisher eher verschlafenes Quartier mit noch moderaten Mieten und vielen Kleingewerbetreibenden in margenschwachen Branchen wird für die Gentrifizierung geöffnet.
Die Arbeiten an dem Projekt haben mit drei Jahren Verzögerung und bisher nur verhalten begonnen. Bei diesen Baumaßnahmen wurde der bestehende Bahndamm unsachgemäß abgebaggert, so dass er instabil wurde und seitdem eine Langsamfahrstelle ist. Allerdings wurde der alte S-Bahnhof ab Oktober 2022 für mehr als ein Jahr gesperrt, und Fahrgäste von und nach Diebsteich finden sich in den Bussen des Schienenersatzverkehrs wieder. Dass aber der S-Bahnhof noch 2023 fertig wird, dürften auch die größten Optimisten in der DB-Zentrale nicht ernsthaft glauben, hat doch die DB in Hamburg-Ottensen gerade vorgeführt, dass man für den Bau einer neuen S-Bahnstation an einer Bestandslinie mehr als 4 Jahre benötigt! Auch die Fertigstellung des Gesamtprojektes 2027, gemeint ist nach DB Sprachregelung zum Fahrplanwechsel 2027/28, d.h. im Dezember 2027, ist eher unwahrscheinlich, da im Moment in Hamburg von DB und Senat das nächste Superprojekt Verbindungsbahnentlastungstunnel aufgetischt wird, welches erhebliche Auswirkungen für die Planungen und den Bau des Fern- und Regionalbahnhofs Diebsteich haben dürfte. Und zudem baut die DB ohne abschließend genehmigte Pläne. Und von aktuelleren Kostenschätzungen des Projektes hört man auch nichts mehr, nachdem schon vor dem 1. Spatenstich im Sommer 2021 die ursprünglichen Kostenschätzungen um satte 50% angehoben wurden.