rail blog 100 / Joachim Holstein

Fahrradmitnahme

In Zeiten nummerierter, reservierungspflichtiger und knapper Fahrradstellplätze ist es kaum noch vorstellbar, wie einfach es früher war, mit Fahrrad und Bahn in den Urlaub zu fahren. Man buchte seinen Schlafplatz im Nachtzug, kaufte eine Fahrradkarte, ging zum Gepäckwagen, öffnete ihn und hievte das Fahrrad rein (manchmal mit Hilfe des Bahnpersonals) – Platz war genug da. Am gewünschten Zielort stieg man wieder aus und machte am besten auch das Rolltor des Gepäckwagens wieder zu.

Auf diese Weise fuhr ich 2003 mit dem Wochenend-D-Zug (später »UrlaubsExpress« genannt) der DB bis Mallnitz am Südausgang des Tauerntunnels und radelte Richtung Dolomiten und dann durch den Nordwestens Sloweniens, um eine Woche später in Klagenfurt wieder in den Zug zu steigen.

Ein Jahr später wollte ich wieder nach Österreich, konnte das aber nicht, weil die Deutsche Bahn sich überlegt hatte, diesen Zug nicht etwa nach dem Ende, sondern schon zu Beginn der Hamburger Herbstferien in die »Herbstpause« zu schicken; ich wäre also zwar hingekommen, aber nicht wieder zurück.

Die Alternative war die Schweiz. Der Nachtzug der CityNightLine Hamburg-Zürich fuhr täglich und ganzjährig – und als Clou bekam man für gerade einmal 19 Franken eine Ergänzungsfahrkarte zu jedem beliebigen Bahnhof in der Schweiz. Bei mir war das dann auf der Hinfahrt Scuol/Schuls im Engadin; die Tageskarte für die Rückfahrt musste ich nicht vorher buchen, sondern konnte sie direkt vor Abfahrt am Bahnhof kaufen. Ich konnte also im Fahrradurlaub flexibel sein.

So radelte ich dann über den Reschenpass nach Burgusio/Burgeis und weiter nach Santa Maria Val Müstair in der Schweiz. Am nächsten Tag ging es ohne Gepäck und manchmal auch schiebend über den Umbrail auf die Passhöhe des Stilfser Jochs (2.757 m). Und dann ging es diese schöne Straße runter:

https://upload.wikimedia.org/wikipedia/commons/f/f2/Stilfser_04.jpg

Nach einem Tag Genussradeln zwischen Santa Maria und Trento zeigte sich das Wetter so schlecht, dass ich spontan mit der Bahn über Mailand bis nach Chiasso fuhr – die Fahrradmitnahme war ohne Reservierung problemlos möglich. Dann radelte ich über den Luganer See und Ponte Tresa bis nach Luino, nahm die Fähre über den Lago Maggiore nach Cannobio und fuhr hoch Richtung Centovalli. Dort und im Tessin bis Biasca war das Wetter auch im Oktober noch angenehm spätsommerlich, aber die Überquerung des Lukmanier brach ich im Schneegestöber ab, als entgegenkommende Autofahrer mir erklärten, wie hoch der Schnee auf der Nordseite schon liege. Also zurück nach Biasca und das 19-Franken-Ticket am Folgetag dort gekauft. Ich trieb die Flexibilität auf die Spitze, indem ich in Airolo ausstieg, ohne kontrolliert worden zu sein, mit vollem Gepäck das Tessin wieder runterfuhr, die Aussicht auf Berge und Bahnlinie genoss und dann in Biasca zum zweiten Mal mit derselben Fahrkarte einstieg. Diesmal verließ ich den Zug in Göschenen auf der Nordseite des Gotthardtunnels, radelte zum Vierwaldstättersee und durch die hohle Gasse bei Küssnacht bis an den Zuger See, wo ich dann das Ticket wieder nutzte und mich nach Zürich zu meinem Nachtzug bringen ließ.

Dank der bequemen Fahrradbeförderung und des flexiblen Anschlusstickets ein perfekter Urlaub.

Über Joachim Holstein

(*1960) arbeitete von 1996 bis 2017 als Steward in Nacht- und Autozügen der DB, war von 2006 bis zur Einstellung dieser Verkehre Betriebsrat der DB European Railservice GmbH und zuletzt Sprecher des Wirtschaftsausschusses. Mitbegründer der Initiative zur Rettung des Nachtzuges Hamburg-Paris (2008; »Wir wollen nach Paris und nicht an die Börse«) und des europäischen Netzwerks für Nachtzüge »Back on Track« (2015; https://back-on-track.eu/de/); Weiteres unter www.nachtzug-bleibt.eu

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