Schienenbus 2.0 – angepasste Formate für den ländlichen Schienenverkehr
Der alte Schienenbus war ideal für ländliche Bahnnetze
Der rote Schienenbus („Ürdinger“ oder „MAN“) war für seine damalige Zeit in den 50 Jahren ein genial innovatives Triebfahrzeug, ideal angepasst an die Bedingungen ländlichen Schienenverkehrs. Als zweiachsiges Fahrzeug war er leicht, fast so leicht wie ein normaler Standardbus. Verglichen mit den damals üblichen Bussen bot er aber deutlich mehr Komfort, einen breiteren Gang, größere Fenster und größere Plattformen. Aber er fuhr nicht auf Gummireifen, sondern als praktisches Schienenfahrzeug. Schienenbusse hatten robuste Dieselmotoren, vergleichbar den typischen Busmotoren. Sie waren für das Geschwindigkeitsprofil bis 80 km/h motorisiert. Das machte die Schienenbusse ausreichend schnell, um im ländlichen Raum mit dem Auto zu konkurrieren. Sie wurden vielfach in Bus-Schiene-Konzepten eingesetzt, also Post- und Bahnbusanschluss an wichtigen Bahnhöfen und Haltepunkten. Ältere Herrschaften mit lang zurückreichender bahnaffiner Biographie bekommen noch heute leuchtende Augen, wenn sie die Gelegenheit haben, einen der wenigen von Museumsbahnvereinen eingesetzten Schienenbusse zu nutzen.
Die meisten Schienenbusse waren Wendefahrzeuge mit Führerstand an beiden Enden. Damit konnten sie „schlanken“ Schienenverkehr ohne lange Warte- und Wendezeiten am Linienende machen. In Spitzenstunden wurden sie in Doppel- oder Dreifachtraktion eingesetzt. Allerdings war bei den älteren Schienenbussen das Kuppeln mit Puffer und Haken-Schraubverbindung personal- und zeitaufwendig. Die Option der Automatikkupplung wie im Straßenbahnbetrieb wurde nicht genutzt. Man hätte sich aus heutiger Sicht sowieso für viele der damaligen Stilllegungsstrecken einen Betrieb nach BO Strab statt nach EBO gewünscht, weil das die hohen Kosten für die Infrastruktur minimiert hätte. Aber damals gab es noch nicht das Karlsruher Modell. Manche damals noch bestehende Straßenbahnbetriebe hatten auch Überlandstraßenbahnen, die das Umland erschlossen. Alles in Allem waren Schienenbusse ideal für den sog. „Schwachlasteinsatz“ in dünn besiedelten ländlichen Regionen. Trotzdem konnten sie in Mehrfachtraktion auch die Spitzenlast im Schüler-oder Ausflugsverkehr gut bedienen.
Übrigens hatten auch die meisten europäischen Bahnländer schon seit den 1930er Jahren ähnliche Fahrzeugkonzepte verfolgt, teilweise mit speziellen Fähigkeiten wie z.B. einer Ausgleishydraulik oder einer hydraulischen Zugwendevorrichtung bei Einrichtungsschienenbussen.
Renaissance der Schienenbusse mit neuer Technik
Inzwischen verfolgen die SNCF in Frankreich in Kooperation mit dem Fahrzeughersteller LOHR und dem englischen Schienenfahrzeughersteller Servern Lamb ähnliche Konzepte wie beim alten Schienenbus, allerdings jetzt auf akku/batterieelektrischer Basis und mit moderner Steuerungstechnik. In Frankreich soll das Fahrzeug „Draisy“ die Reaktivierung ländlicher Schienenstrecken ermöglichen, später evtl. auch im autonomen Fahrbetrieb. In England soll die Very Light Rail VLR, die von Servern Lamb und der Universität Warwick entwickelt wird, wirtschaftliche Reaktivierungen ermöglichen. Es wird vermutlich unterschiedliche Varianten geben, je nach Struktur der zu befahrenden Schienennetze. Auf kurzen Stichstrecken reicht eine kleine Version mit geringer Motorisierung für den Einsatz bis 80 km/h. Für Strecken, die teilweise auch Abschnitte mit konventionellem Mischverkehr mit RB und RE Triebzügen haben, braucht man eine schnellere Version, die auch bis 120 km/h fahren kann und dann zulassungsgeschuldet höheres Gewicht braucht.
Und in Deutschland bemüht sich der Verein „Schienenverkehr Malente-Lütjenburg“ SML in Zusammenarbeit mit der Hein Lüttenborg Bahnverwaltungsgesellschaft HLB GmbH um einen neuen Schienenbus 2.0. Die HLB hat die stillgelegte Strecke 2022 gekauft und bietet sie jetzt Bahntechnikfirmen, Schienenherstellern und Hochschulinstituten als Teststrecke für innovative Bahnkonzepte an. Verein und HLB sind auch aktiv im Beirat Bahntechnik Schleswig-Holstein, in dem Hochschulen, Bahntechnikfirmen und NAH.SH ein Netzwerk für Bahnfortschritt bilden.
Dem Verein geht es neben der Fahrzeugfrage auch um die Frage der EBO-Standards, die den Schienenverkehr immer unnötig teuer machen, obwohl es auch viel einfacher und kostengünstiger gehen könnte. Zum Beispiel bei der Bahnsteiggestaltung. Für alte Stilllegungsstrecken ohne moderne Bahnsteiginfrastruktur braucht man Niederflurfahrzeuge, damit die teure Aufhöhung der Bahnsteige entfallen kann. Auf der Strecke Malente-Lütjenburg haben engagierte Bauern am Haltepunkt Flehm mit eigenen Mitteln und ehrenamtlicher Arbeit den alten, total zugewachsenen Bahnsteig neu hergerichtet, im Ehrenamt und für Sachkosten von weniger al 5.000 €. Ein „ordentlicher“ Bahnsteig hätte vermutlich mindestens 500.000 € gekostet. Also gehören zur Renaissance des Schienenbus natürlich auch viel flexiblere, angepasste Standards für die Infrastruktur.
Option eines Cargo-Schienenbus?
Ein letzter Aspekt betrifft die Rolle des Güterverkehrs. Ländliche Bahnstrecken waren in der Blütezeit des Bahnwesens besonders wichtig für die regionale Wirtschaft. Mit kurzen Güterzügen und Einzelwagenladungsverkehr bedienten sie die Landwirtschaft und das produzierende Gewerbe, mit Stückguttransport zudem auch den Handel und selbst private Haushalte in Verbindung mit der „Rollfuhr“. Warum soll das Format des Schienenbus 2.0 nicht auch für die Güterbahn als „Cargo Sprinter“ in moderner Elektroversion eine Renaissance der regionalen Güterbahn(en) ermöglichen? Im Kleinen kann man diese Option bei den sog. Inselbahnen der autofreien Inseln mit ausgefeilter Logistik 1 : 1 studieren. Als gemischter Personen- und Gütertransport, der in der Blütezeit der Bahnen überall üblich war und gute wirtschaftliche Ergebnisse garantierte.
Blockade durch falsche Bahnpolitik
Solche angepasste Betriebs- und Technikkonzepte finden leider in der deutschen Bahnpolitik und bei der großen DB AG in den Vorstandetagen und im Aufsichtsrat wenig Interesse. Alles ist fixiert auf die Großprojekte der Hochgeschwindigkeitsbahn und Bahnhofsspekulation. Da geht es immer gleich um Milliarden und Großaufträge für die großen Baugiganten, am liebsten für Tunnelprojekte. Aber Verkehrswende in Deutschland funktioniert nicht mit ein paar aufgemotzten Korridoren. Sie braucht viele Reaktivierungen und eine attraktive Personen- und Güterbahn in der Fläche, die alle Regionen anbindet. Die ihre Konzepte flexibel und differenziert nach den jeweiligen Kulissen und Bedürfnissen entwickelt. Und die die Vorteile der Elektromobilität und Digitalisierung intelligent nutzt, um aus einer superteuren und regional selektiven Bahn wieder eine ubiquitäre Flächenbahn zu machen, die Voraussetzung für die klimapolitisch dringliche Minimierung des Straßenverkehrs mit Pkw und Lkw ist. Takt statt Tempo und Fläche statt Korridor muss der Slogan moderner Bahnpolitik werden, das müssen endlich auch die Bundes- und Landesverkehrspolitik und die Verkehrsunternehmen und die Bauwirtschaft begreifen.