Verkehrswendewende

Beim Thema Klimawandel versteht Volker Wissing nur Autohof

Ein Artikel von Ralf Wurzbacher in den Nachdenkseiten vom 14.4.23

Kleiner Tipp für Nancy Faeser: Deutschlands schlimmster Klimaleugner sitzt am Kabinettstisch in Berlin und ist Bundesverkehrsminister. Was die Sache noch schlimmer macht: Er darf schalten und walten, wie er will, ohne dass ihm irgendwer in die Querdenker-Parade fährt. Sein neuester Coup lautet „Lkw statt Bahn“, womit er mal eben das „Paradigma“ der Verlagerung von Personen und Gütern auf die Schiene für nichtig erklärt. Die Sache laufe anders, schwurbelt er, es brauche künftig noch viel mehr, längere und breitere Straßen und Riesenbrummis mit Strom aus der Oberleitung. Wann kommt endlich der Notarzt, fragt sich Ralf Wurzbacher.

Der Klimawandel lässt sich hierzulande sensorisch auf zweierlei Weise erleben. Entweder man hält es mit der Wirklichkeit und spürt ihn ganz leibhaftig – bei 40 Grad im Schatten, monsunähnlichen Regengüssen und Schneetreiben im Mai. Oder man besieht sich die Dinge durch die Brille der Politik, unter dem Eindruck der bestenfalls halbherzigen Maßnahmen, die sie (nicht) ergreift und dem geneigten Zeitgenossen das Gefühl vermitteln: „Wenn die ihren Job so schleifen lassen, kann die Sache doch gar nicht so ernst sein.“

Keine Abteilung der Bundesregierung lebt diese Haltung konsequenter vor als das Bundesministerium für Digitales und Verkehr (BMDV) unter Führung von Volker Wissing. In der Regie des FDP-Mannes hat das Ressort die im Klimaschutzgesetz verankerten Vorgaben zur Reduktion der Treibhausgasemissionen mit Karacho verfehlt. Ein Tempolimit auf Fernstraßen verteufelt er wie alle seine Amtsvorgänger, dazu bremst er beim Verbrennerausstieg und statt endlich massiv in die Ertüchtigung der maroden Bahninfrastruktur zu investieren, will er lieber weiter eifrig Autobahnen bauen für Abermilliarden Euro. Was bei all dem sein „klares Bekenntnis für die Schiene“ wert ist, ließ er Anfang März mit der Ansage durchblicken, den „Deutschlandtakt“ bei der Bahn um 40 Jahre auf 2070 zu verschieben.

Mehr Autobahnen, aufgeweichter Klimaschutz

Nur irgendwie braucht es für das ganze Tun und (Unter)lassen ja eine Rechtfertigung, eine schlüssige Begründung, weil der Wähler sonst argwöhnen könnte, der Wissing macht das alles ganz willkürlich, frei von Evidenz und gegen jede Vernunft. Am Ende könnten vielleicht ja sogar Leute wie Carl Waßmuth vom Bündnis „Bahn für Alle“ richtig liegen, der meint, der „Wissing ist ein lupenreiner Lobbyist im Auftrag der Auto- und Erdölindustrie“. Und das darf doch nun wirklich nicht sein in einer Demokratie.

Aber keine Sorge, all den Zweiflern sei gesagt: Der Minister hat geliefert. Am Donnerstag zitierte das Handelsblatt (hinter Bezahlschranke) aus einem Bericht, den das BMDV anlässlich der 38. Sitzung des Verkehrsausschusses im Bundestag am 29. März vorlegte. Erbeten hatte sich die Auskünfte die CDU/CSU-Fraktion, gerade auch vor dem Hintergrund der koalitionsinternen Streitereien um die klimapolitische Ausrichtung des Wissing-Ressorts. Bekanntlich war das eine der Großbaustellen beim Krisengipfel der Ampelparteien, der tags zuvor nach einem Verhandlungsmarathon zu Ende gegangen war. Zwei zentrale Ergebnisse der Runde: Hunderte Kilometer mehr Autobahnen und ein aufgeweichtes Klimaschutzgesetz …

Über die „Strategie“ dahinter legt besagter Bericht beredt Zeugnis ab. In dem den NachDenkSeiten vorliegenden Papier sticht folgender Satz ins Auge: „Klima- und Verlagerungsziele sind zu trennen.“ Was übersetzt bedeuten soll: Der bis dato unstrittige Ansatz, die gesteckten Klimaziele insbesondere durch eine großangelegte Verschiebung des Personen- und Güterverkehrs von der Straße auf die Schiene zu realisieren, hat sich für und mit Wissing einfach erledigt. Und dies, obwohl sich SPD, Grüne und FDP doch eigentlich auf die Fahnen geschrieben haben, bis 2030 doppelt so viele Menschen wie heute per Bahn zu befördern und deren Anteil am Güterverkehr auf 25 Prozent zu steigern.

Güterstrukturwandel

Das gilt plötzlich nicht mehr, denn die „definierten Ziele basieren aus (sic) dem früheren Verständnis, dass Fortschritte hinsichtlich der Klimawirkung des Verkehrs vorrangig durch eine Verlagerung von der Straße auf die Verkehrsträger Eisenbahn und Binnenschiff erreicht werden können“, weiß man im Verkehrsressort. Und weiter: „Mit den enormen Fortschritten der Antriebswende und dem Schub durch die beschleunigte Energiewende greift dieses Paradigma kaum mehr für die Jahre nach 2045“. Im Hause Wissing weiß man noch mehr, nämlich, dass sich ein „Güterstrukturwandel“ vollzieht und zwar zu „Gunsten der Straße“ und zum Nachteil der Schiene. Der zeige sich in einem schrittweisen Rückgang bei Kohle, Koks und Mineralölprodukten, woraus sich für die Bahn das Problem ergebe, den Wegfall der schweren Massengüter mit leichteren Stückgütern „überhaupt nur auszugleichen“.

Selbstredend stehen für das Ministerium die Straße und die Automobilindustrie als Retter parat – in Gestalt von hybriden E-Lkw, die ihren „Sprit“ aus einer Oberleitung zapfen. Bundesweit sind dazu bereits mehrere öffentlich geförderte Teststrecken in Betrieb, eine davon auf der A 5 in Hessen unter dem Namen „elektrifizierter, innovativer Schwerverkehr auf Autobahnen – Elisa“. Für Wissing sind solche Projekte die Zukunft, die es freilich nur mit noch mehr und breiteren Betonpisten zu haben gibt, auf denen dann massenhaft extralange und vorzugsweise strombetriebene Gigaliner-Laster für rasenden Verschleiß sorgen werden.

Strom für Brummis, aber Dieselloks

Für Kritiker wie den renommierten Bahnexperten Winfried Wolf sind die Aussichten ein Horror. Der zur Etablierung der Technik erforderliche Aufwand sei „gigantisch und nicht zu stemmen“, äußerte er gegenüber den NachDenkSeiten. Dazu komme der Widerspruch, dass man in den Städten E-Busse mit schweren Batterien forciere, während Oberleitungsbusse wie in Salzburg, Belgrad oder Bern abgelehnt würden. „Aber auf der Autobahn ist plötzlich alles anders, obwohl hier der Investitionsbedarf immens ist.“ Wolf fragt sich: „Warum gibt es kein Programm zur Vollelektrifizierung des Schienennetzes, wie in der Schweiz seit Jahrzehnten der Fall, wie in Österreich bis 2030 geplant?“ Hierzulande stünden bisher nur knapp 60 Prozent des Netzes unter Strom, „deshalb fahren Dieselloks häufig unter der Oberleitung“.

Eine Antwort gibt die jüngst durch Wissing vorgelegte Verkehrsprognose bis zum Jahr 2051 (wie weitsichtig). Demnach soll der Verkehr kräftig weiterwachsen – vor allem auf der Straße, auf der Schiene weniger, auf dem Wasser kaum noch. Vor allem die vorausgesagten angeblich 46 Prozent mehr Güterverkehrsleistung sorgten dafür, dass der Lkw das „dominierende Verkehrsmittel“ bleibe und weiter Bedeutung gewinne, „plus 54 Prozent Zuwachs auf der Straße“. Und die Schiene? „Trotz Annahme von ambitionierten Ausbauplänen stößt die Bahn an die Grenzen der Leistungsfähigkeit und kann die zusätzlichen Verkehre nicht aufnehmen.“

Kriegserklärung

Aha! Mit einer in Jahrzehnten heruntergewirtschafteten Bahn ist eben kein Staat zu machen. So wird der rabiate Raubbau an einem früher einmal funktionierenden und zukunftsweisenden Eisenbahnsystem zur willkommenen Ausrede, die Straße noch mehr zu pushen als bisher und die Schiene weiter zu vernachlässigen. Aber hat die Ampel nicht gerade beschlossen, der Bahn bis 2027 zusätzlich 45 Milliarden Euro bereitzustellen? Wenn das mal passiert! Ähnliche Versprechen haben vor dieser schon mehrere Bundesregierungen abgegeben – woraus nie etwas wurde. Und was wären 45 Milliarden Euro im Vergleich mit den vielleicht 800 Milliarden Euro, die nach einer Greenpeace-Studie die Umsetzung des Bundesverkehrswegeplans (BVWP) kosten könnte?

Immerhin erntet Wissing ob seines Offenbarungseids Widerspruch. „Die Koalition simuliert Einigkeit beim Ziel, den Güterverkehr auf die Schiene zu verlagern“, nahm Linke-Politiker und Verkehrsausschussmitglied Bernd Riexinger gegenüber den NachDenkSeiten Stellung. „Faktisch hat er dieses Vorhaben abgeräumt und den Koalitionsvertrag gleich mit. Wie soll man diese Koalition und vor allem diesen Minister noch ernst nehmen?“ Beim Netzwerk „Die Güterbahnen“ spricht man von einer „Kriegserklärung“. Die Lkw-freundliche Prognose und die verbale Abwertung der Schiene führten dazu, dass weniger in die Bahn investiert werde, beklagte Geschäftsführer Peter Westenberger im Handelsblatt. Vom Verband „Allianz pro Schiene“ verlautete, die Äußerungen aus dem BMDV „lesen sich wie ein Abschied vom Ziel der Verkehrsverlagerung“.

Panzer statt Fahrrad

Irritiert zeigte sich auch SPD-Vizefraktionschef Detlef Müller. Eine Abkehr von den Plänen gebe es nicht, allein schon weil 100.000 Lkw-Fahrer fehlten und es „effizienter und ressourcenschonend ist, viele Güter mit langen Zügen zu transportieren“. Außerdem lasse die viel gepriesene „Antriebswende“, vor allem im Güterverkehr, noch auf sich warten. Tatsächlich hat die Sparte DB-Cargo der Deutschen Bahn im Vorjahr 665 Millionen Euro Verluste eingefahren. Wie sinnbildlich: Der stärkste Profitbringer des Staatskonzerns mit einem Rekordergebnis von 1,8 Milliarden Euro ist dessen Logistiktochter Schenker. Die agiert vornehmlich im Ausland und gondelt mit dem Brummi Güter durch die Gegend.

Vielleicht sollte man den Irrsinn mal grundsätzlich angehen, wie es Winfried Wolf von der Initiative „Bürgerbahn“ vorschwebt. „Im Kapitalismus wächst alles – auch das Zerstörerische“, beschied er, weshalb das Hauptthema die Reduktion des Güterverkehrs sein müsste. „Allein im Zeitraum 1992 bis 2022 hat sich das Lkw-Verkehrsaufkommen verdoppelt – ohne dass sich der Lebensstandard erhöht hätte. Das ist schlicht Transportinflation.“ Und was denkt Carl Waßmuth von „Bahn für Alle“? „Wären die Grünen wirklich eine Klimaschutzpartei, müssten sie jetzt aus der Koalition aussteigen.“ Hätte, hätte, Fahrradkette. Robert Habeck steht ja mittlerweile auf Panzer. Der Leopard-2 verpulvert auf 100 Kilometer 340 Liter – auf der Straße. Im Gelände sind es 530 Liter. Da radelt es sich eh schlecht.

Quelle: https://www.nachdenkseiten.de/?p=96383

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