Rede Winfried Wolf vor dem Grünen-Büro in Stuttgart anlässlich einer Demo des Montags-Demo-Zugs vom gleichen Tag (23. Januar 2023)
[Anrede]
Die Grünen traten in den 1980er Jahre als eine Partei an, deren Programmatik auf drei Säulen ruhte: Ökologie, Frieden und Demokratie. Inzwischen wurden alle drei Säulen von der Grünen-Führung eingerissen. Zu Recht lässt sich sagen: Die Grünen verraten ihre Grundprinzipien.
Ökologie: Spätestens seit Lützerath ist der Verrat auf diesem Gebiet bundesweit bekannt. Wir hier in Stuttgart haben diesbezüglich eine längere Erfahrung. Die Grünen wurden 2011 zur führenden Kraft im Landtag und stellten ab 2012 den Oberbürgermeister in der Landeshauptstadt, weil sie Teil der Protestbewegung gegen Stuttgart 21 waren. Winfried Hermann und Winfried Kretschmann waren als prominente Redner auf Montagsdemos vertreten. Nachdem die Grünen dann in Amt und Würden waren – und eine gewisse Anstandsfrist verstrichen war – häuteten sie sich von S21-Kritikern zu solchen, die S21 „begleiteten“ – und oft auch konkret zur konstruktiven Umsetzung – faktisch zur Verschlimmbesserung – beitrugen. Seit dem Ukraine-Krieg erleben wir, dass die Energiewende, weg von fossilen Energien hin zu erneuerbaren, ausbleibt. Und dass das Gegenteil stattfindet – und von den Grünen gerechtfertigt wird: Anstelle von russischem Naturgas beziehen wir das nochmals schädlichere Flüssiggas aus dem Nahen Osten und dann noch schädlichere Fracking-Gas aus den USA. Hinzu kommt der großangelegte Abbau von Braunkohle. Den Höhepunkt bildet – bisher – die Tatsache, dass ein grüner Polizeipräsident, derjenige von Aachen, das Kommando bei der Räumung von Lützerath inne hatte.
Frieden. Auf diesem Gebiet gab es den ersten – für mich entscheidenden – Verrat am entsprechenden Prinzip, als im März 1999 der grüne Außenminister Joseph Fischer den völkerrechtswidrigen Nato-Krieg gegen die Bundesrepublik Jugoslawien und die Beteiligung der Bundeswehr an diesem rechtfertigte. Das interpretierten viele bei den Grünen noch als Ausrutscher; als Betriebsunfall. Im Fall des Ukraine-Kriegs ist klar: Das ist ein Angriffskrieg, für den die Kreml-Mafia die Verantwortung trägt. Dennoch bleibt auch zutreffend: Man muss alles tun, um einen schnellen Waffenstilstand, um eine Verhandlungslösung, um einen Kompromissfrieden zu erreichen. Die Fortsetzung den Kriegs, die durch die Lieferung von immer mehr und immer schwereren Waffen betrieben wird, führt zu noch mehr Opfern, zu Tragödien, zu Trümmerlandschaften materieller Art – zerstörte Städte – und immaterieller Form: Hass und seelische Wunden auf beiden Seiten. Es wäre nun der Top-Job für eine Partei wie die Grünen, sich in diesem Sinn zu verwenden. In Wirklichkeit findet jedoch das Gegenteil statt. Toni Hofreiter geriert sich als Waffenspezialist und weiß immer am besten, welche nächste Haubitzen-Gattung oder Panzer-Typ an die Front zu schicken ist. Omid Nouripour fordert, die Ukraine müsse alle von Russland besetzten Gebiete zurückerobern, auch die Krim. Und alle Promi-Grünen – Habeck, Baerbock – sind sich einig: irgendwie muss der Leo-II an die Front; und der Kanzler möge das „schmolzen“ beenden.
Demokratie: Die Grünen wurden für die Ziele, die im Grünen-Programm stehen gewählt. Diese Ziele werden aktuell, wie bereits – auf den Gebieten Ökologie und Frieden – gezeigt, Tag für Tag verraten. Die Grünen haben einem Ampel-Koalitionsvertrag zugestimmt, in dem explizit festgehalten ist, dass man, im Unterschied zu den Vorgängerregierungen unter Angela Merkel, bei den Rüstungsexporten deutlich restriktiver sein würde. Das Gegenteil ist der Fall – es wurden Schleusen für immer mehr Rüstung und immer freizügigere Rüstungsexporte geöffnet. Gut dokumentiert durch unseren Freund Jürgen Grässlin. Auch das ein direkter Verrat an dem Prinzip der Demokratie.
Die von der Grünen-Führung gelieferte Begründung für die uneingeschränkte Solidarität mit der Ukraine, es gehe hier um eine Auseinandersetzung zwischen Autokratie (also diejenige der Kreml-Herren) und Demokratie (also um die Grundsätze der „westlichen Wertegemeinschaft“) wird unglaubwürdig durch die Bücklinge grüner Promis vor autokratischen Regimes, die Gas und Öl liefern sollen – so die Potentaten in Katar, in den Vereinigten Arabischen Emirate und in Saudi-Arabien – alles autokratisch, wenn nicht diktatorisch regierte Länder, in denen es nicht einmal für Frauen Grundrechte gibt – einmal ganz abgesehen von Minderheiten wie Schwule und Immigranten.
Den Höhepunkt markiert auf diesem Gebiet die deutsche Außenministerin. Ende August des vergangenen Jahres äußerte sie in einer Diskussion – dabei an der Seite des ukrainischen Außenministers: „Wir stehen so lange an eurer (der Ukraine; W.W.) Seite, wie Ihr uns braucht. Dann möchte ich auch liefern, egal, was meine deutschen Wähler denken.“ Das ist die ehrliche, direkte Absage an Demokratie.
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Für uns haben die drei Grundprinzipien weiter Gültigkeit: Ökologie, Engagement für den Frieden und Demokratie sind notwendiger denn je, wenn wir den Herausforderungen, vor denen wir stehen, gerecht werden wollen.
Video zu dieser Rede:
Übersetzter Wortlaut der Rede: