„45 Milliarden plus für die Bahn“ – wirklich eine gute Idee?
Die jüngsten Gespräche zwischen den Ampel-Parteien zur Lösung von Konflikten endeten, wie allgemein konstatiert wird, mit einem Sieg der FDP (Ausbau der Autobahnen). Die FDP wurde dabei vom SPD-Kanzler unterstützt. Als der große Verlierer gilt das Klima. Als Trostpflaster zur Kaschierung der Grünen-Niederlage beziehungsweise als Argument, dass dennoch etwas für die Schiene getan werde, wurde beschlossen: 45 Milliarden Euro werden bis 2027 zusätzlich für das Schienennetz bereitgestellt. Bisher war vereinbart, dass der Bund bis zum Jahr 2030 rund 63 Milliarden Euro zur Verfügung stellt. Jetzt sollen es also knapp 110 Milliarden Euro sein. Wobei ein großer Teil der zusätzlichen Ausgaben durch die Lkw-Maut abgedeckt werden soll, die vom kommenden Jahr an deutlich ausgeweitet wird.
Dieser Geldsegen stieß in Bahnkreisen auf breite Zustimmung. Tatsächlich ist Skepsis angebracht. Alles spricht dafür, dass dieser enorme Betrag von mehr als 100 Milliarden Euro, die nun plötzlich in die Schiene investiert werden sollen, in drei kontraproduktive Bereiche fließen wird:
Erstens in die in anderen Railblogs bereits beschriebene sogenannte Generalsanierung. Dabei wird im Zeitraum 2024 bis 2030 Jahr für Jahr ein großer Schienenkorridor rund ein halbes Jahr lang gesperrt sein – mit enormen negativen Auswirkungen auf den Schienenverkehr als Ganzes. Die seit mehr als 100 Jahren erprobte Instandhaltung im laufenden Betrieb („unter rollendem Rad“) wird aufgegeben. Der ehemalige Chef der Schweizerischen Bundesbahnen, Benedikt Weibel, nannte das Vorhaben „selbstmörderisch“.
Zweitens werden neue Milliarden Euro in rund ein Dutzend der neuen Beton-Großprojekte fließen, überwiegend im Bereich Hochgeschwindigkeitsverkehre, die bahnverkehrszerstörerisch wirken. Dabei werden zur Durchsetzung derselben – und gegen den Widerstand von Dutzenden Bahn-BIs – die neuen Beschleunigungsgesetze Anwendung finden. Jede Kritik an diesen Projekten, begründet mit Umwelt- und Klimaschutz, wird so ausgehebelt.[1]
Drittens geht es erneut um Stuttgart 21. Die DB hatte bereits 2021/2022 sogenannte „Ergänzungsbauten“ angemeldet, mit denen faktisch der Kapazitätsabbau, mit dem S21 verbunden ist, kaschiert werden soll. Dazu zählt der sogenannte, 10 Kilometer lange „Pfaffensteigtunnel“. Inzwischen wird im Rahmen des Projektes „Digitaler Knoten Stuttgart (DKS)“ auch geplant, dass ein Teil des regionalen Schienenverkehrs den Stuttgarter Hauptbahnhof gar nicht mehr anfahren wird. Diese neuen Schienenprojekte in Stuttgart erfordern bei aktueller Kostenschätzung bereits zusätzliche Investitionen in Höhe von sieben bis 15 Milliarden Euro. Die „reinen“ S21-Kosten liegen offiziell derzeit bei 10 Milliarden Euro.
So unterschiedlich diese Vorhaben im Einzelnen sind, so haben sie die folgenden Gemeinsamkeiten: Sie sind mit gewaltigen Kosten verbunden (offiziell waren es bei den angeführten Projekten bereits 2021 mehr als 50 Milliarden Euro). Sodann werden mit ihnen Millionen Tonnen Treibhausgase freigesetzt (vor allem wegen des Einsatzes von Beton und Stahl). Des Weiteren können sie erst Mitte oder Ende der 2030er fertig erstellt sein. Und schließlich gibt es in allen Fällen überzeugende Alternativen, die allerdings den gewaltigen Nachteil haben, dass mit ihnen jeweils nur ein Bruchteil des Kapitals bewegt wird, wie bei den Großprojekten.
Der bereits zitierte Benedikt Weibel äußerte jüngst in einem Interview: „Jeder große Ausbau [im Bereich Schiene; W.W.] braucht heute 25 Jahre. Das kommt eh zu spät im Hinblick auf das Klima. Wir müssen deshalb die Bestandsnetze besser auslasten.“
Darum sollte es in erster Linie gehen: Um die Optimierung des Netzes. Um die Sanierung des gesamten Netzes. Um einen Plan zur Elektrifizierung desselben zu 100 Prozent. Um die schnellstmögliche Beseitigung von „Flaschenhälsen“ und Engpässen. Und schließlich um die Inangriffnahme von solchen Streckenreaktivierungen, die in relativ kurzer Zeit umgesetzt werden können.
Warum wird dieses Naheliegende nicht angegangen? Auf die Frage „Ist Deutschland am Ende einfach Autoland?“ antwortete Benedikt Weibel: „Natürlich, gerade im Vergleich zur Schweiz. Wir sind ein Bahnland. Wir haben keine Autoindustrie.“
Anmerkung:
[1] Es geht dabei unter anderem um die Projekte: (1) Schließung des Fernbahnhofs Hamburg-Altona und dessen Verlegung an den Stadtrand von Altona, nach Diebsteich. (2) In Frankfurt/M. Bau eines Fernbahntunnels, der in gut 30 Meter Tiefe verlaufen wird. (3) In München um die sogenannte „Zweite S-Bahn-Stammstrecke“, ein Projekt, das bereits im Bereich der Vorplanung auf 10 Milliarden Euro Kosten beziffert wird. (4) Um mindestens vier neue Hochgeschwindigkeitsstrecken: Hamburg-Hannover, Hannover-Bielefeld, Würzburg-Nürnberg und Ulm-Augsburg. Und (5) um eine Reihe weitere Betonprojekte wie den „Brenner-Nordzulauf“ (30 km Tunnelstrecken), die Verbindung Dresden-Prag mit 26 km Tunnel unter dem Erzgebirge, die Anbindung an die Fehmarnbelt-Querung.
Winfried Wolf ist einer der Sprecher von Bürgerbahn – Denkfabrik für eine starke Schiene (www.buergerbahn-denkfabrik.org) Am 29. März legten wir den (140 Seiten starken) 15. Alternativen Geschäftsbericht Deutsche Bahn AG 2022 vor. In diesem werden die hier angesprochenen Themen – und viele andere – ausführlich dargelegt.
Welche Alternativen zu den NBS Nürnberg-Würzburg, Augsburg-Ulm, München-Rosenheim-Kufstein, Dresden-Prag schlägt die Denkfabrik vor? Bitte in knapper und für Nicht-Bahnexperten verständlicher Form! Danke!