rail blog 42 / Joachim Holstein

Es fährt ein Zug nach Irgendwo

2012 ging der Fall einer Sächsin viral, die telefonisch in Stuttgart ein Flugticket »nach Bordö« buchte und zwei hochdeutsche (!) Nachfragen »nach Bordeaux?« mit Ja beantwortete. Die Sächsin wollte aber nach Porto. Legendär wurden auch Flugreisende, die mit Surfausrüstung in Sydney (Kanada) landeten.

Auf der Schiene kann zwar niemand Austria und Australia verwechseln, aber mir begegnete mal im Nachtzug von Rügen nach Stuttgart eine US-Touristin auf dem Weg nach Polen, die man in Berlin zum Zug »nach Frankfurt« geschickt hatte. Wir schrieben ihr Ticket mit dem Vermerk »Beratungsfehler« für die Fahrt vom Main an die Oder gültig.

Mehr Glück hatte die Familie im Nachtzug von Dortmund nach Venedig, die mich hinterm Brenner fragte, warum man sie über Mailand schicke, wo sie doch an den Gardasee wollte: Auf der Fahrkarte stand nicht Limone sul Garda, sondern Limone Piemonte, 310 km weiter südwestlich, 50 km vor Monaco. Ihre Rettung war eine Reisegruppe, die in Rovereto mit einem Bus abgeholt wurde und noch Plätze frei hatte.

Apropos Monaco. Es ergibt durchaus Sinn, die Namen von Zielorten in der dortigen Landessprache anzuzeigen, egal wo der Abfahrtsbahnhof steht, denn ein US-Tourist könnte in München mit „Mailand“ genauso wenig anfangen wie eine Deutsche, die in Polen „Wieden“ statt „Wien“ lesen würde. Aber beim Nachtzug von Venedig nach Hamburg und Dortmund, dessen Kursgruppen in München getrennt wurden, stand „MONACO“ auf der Anzeigetafel, sodass Reisende nach Nizza zu uns kamen, anstatt zum Zug nach Mailand zu gehen.

Pech hatten Dänen auf dem Weg zum Skifahren. Anstatt sie mit dem Nachtzug nach Basel und via Genf in die Savoyer Alpen zu schicken, hatte man ihnen Tickets für den Nachtzug Hamburg-Paris verkauft, mit Umstieg in Brüssel in einen Thalys. Wie alle Frühaussteiger weckte ich sie einzeln und wies darauf hin, dass unser nächster Halt Bruxelles Midi sei. Da ich im nächsten Liegewagen einer Familie mit Gepäck helfen musste, verlor ich die Dänen aus den Augen – und traf sie nach Wiederabfahrt im Gang wieder.
„Warum sind Sie nicht ausgestiegen?“ – „Aber das war doch erst Brussel-Zuid!“

Belgien schrieb nicht beide Sprachen auf alle Schilder, sondern hängte alle paar Dutzend Meter im Wechsel einsprachige Schilder auf. Leider war der verpasste Thalys der einzige, der in die Alpen fuhr. Wir vermerkten das Malheur auf der Fahrkarte und hofften auf Kulanz der Kollegen im TGV ab Paris, denn dank der famosen »Liberalisierung« gab es ja keine einheitlichen Tickets für alle Züge mehr.

Über Joachim Holstein

(*1960) arbeitete von 1996 bis 2017 als Steward in Nacht- und Autozügen der DB, war von 2006 bis zur Einstellung dieser Verkehre Betriebsrat der DB European Railservice GmbH und zuletzt Sprecher des Wirtschaftsausschusses. Mitbegründer der Initiative zur Rettung des Nachtzuges Hamburg-Paris (2008; »Wir wollen nach Paris und nicht an die Börse«) und des europäischen Netzwerks für Nachtzüge »Back on Track« (2015; https://back-on-track.eu/de/); Weiteres unter www.nachtzug-bleibt.eu

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