„Milliarden für die Bahn dürfen nicht in die Verkehrswende rückwärts investiert werden!“
Beitrag von Werner Sauerborn auf der Verkehrswende-Demo von Fridays for Future am 21.4. 2023 auf dem Stuttgarter Schlossplatz
Liebe Freundinnen und Freunde einer Verkehrswende VORWÄRTS!
Das „Vorwärts“ betone ich deshalb, weil es leider auch die Gefahr einer Verkehrswende rückwärts, also zurück von der Schiene zum Auto gibt. Und der Inbegriff dafür nimmt gerade unter unser aller Augen Gestalt an mit Deutschlands größtem und teuersten Bahninfrastrukturprojekt an, dem never- ending Stuttgart 21.
Jetzt denken sicher viele: Da hat er zwar recht, aber jetzt ist es zu spät.
Dazu zweierlei:
Auf allen Kanälen wird ja gerade raustrompetet, S21 würde 2025 fertig. Von wegen! Wesentliche Teile des Projekts wie die Flughafenanbindung sind planerisch dermaßen gescheitert, dass sie ganz neu angesetzt werden müssen. Und weil, wer die Grundrechenarten beherrscht, weiß, dass S21 viel zu klein sein wird, werden jetzt schon sogenannte Ergänzungsprojekte angegangen, die die Probleme auch nicht lösen, aber mit weiteren 47km Tunneln zusätzliche Kosten in Höhe von 5.5 Mrd.€ und weitere massive Klimaschäden zur Folge haben werden. Fertigstellung Ende der 30er Jahre, wenn überhaupt jemals. Wir nennen dieses Vorhaben Stuttgart21 ZWO.
Und zum Zweiten:
Seit dem Ausstieg aus Atomenergie, Kohle, demnächst dem Verbrennerauto und der fossilen Wärmeerzeugung, wissen wir: es ist nötig, möglich und v.a. machbar, aus technologischen Fehlentwicklungen und Großprojekten auszusteigen, wenn sie am Ende negative Folgen haben – egal wie weit sie bereits entwickelt sind und wieviel Geld in sie investiert wurde.
Und genau das ist bei Stuttgart21 der Fall!
Mit einer Halbierung von Gleisen und Bahnsteigen wäre der Bahnhof schon heute viel zu klein und erst recht, wenn sich – wie ja als Teil der Verkehrswende geplant – bis 2030 die Fahrgastzahlen auf der Schiene verdoppeln sollen.
Diese Verkleinerung ist das irreversible verkehrspolitische Grundübel von Stuttgart21.
– daran ändert sich auch nichts, weil es ein Durchgangsbahnhof wäre, denn der Kapazitätsvorteil dadurch ist relativ gering
– auch die geplante Zugleittechnik ETCS – als neues Wundermittel gegen das Kapazitätsproblem gepriesen – ändert daran nichts: Die Schweiz, bahnpolitisches Musterland, bilanziert nach 20-jähriger Erfahrung mit ETCS: Weder die Sicherheit des Bahnverkehrs noch dessen Kapazität ließ sich steigern.
– auch noch mehr Tunnelzuläufe helfen nicht, weil der Tiefbahnhof selbst der Flaschenhals ist.
Stuttgart21 ist auf ewig zu klein. Deswegen würde im Südwesten auch auf ewig der Integrale Taktfahrplan nicht funktionieren. Für komfortables Umsteigen müssen zeitgleich Züge aus allen Destinationen Platz haben. Das bedeutet 14 Gleise und zwei in Reserve, also genau die 16 des Kopfbahnhofs!
Verkehr, für den kein Platz mehr auf der Schiene ist, landet auf der Straße. Und zwar der jetzige UND der zu Erwartende! Je nach Szenario werden sich gutachterlich belegt bis 2050 durch diese Verkehrsverlagerungen (incl. CO2 durch Beton-Tunnelbau) zusätzliche THG-Emissionen von zwischen 3,5 und 5,6 Mio.t ergeben – allein durch Stuttgart21 EINS!
Hinzu kommt, auch das auf ewig, ein immenser Energieverbrauch im Betrieb von S21: Unzählige Rolltreppen und Aufzüge, Beleuchtung im Kellerbahnhof Tag und Nacht! Tunnelfahrten verbrauchen viel mehr Strom als Fahrten auf freier Fläche und wenn ein voll besetzter, fast 1000kg schwerer ICE 4 von einem Tiefbahnhof tagein tagaus in einen steilen Tunnel hinein beschleunigen muss, dann ist auch das klimapolitisch desaströs.
Schon jetzt, lange vor der erträumten Eröffnung, zwingen Zugausfälle, Verspätungen, Unzuverlässigkeiten viele Menschen, aufs Auto zurückzugreifen. Die Aussichten auf die Komplettsperrungen der nächsten Wochen und demnächst die Abkoppelung der Gäubahn vom Stuttgarter Hauptbahnhof werden diesen negativen Trend beschleunigen.
Zum Thema Verkehrswende rückwärts durch Stuttgart21 gehört auch die Förderung des Flugverkehrs. Denn zu S21 gehört ein weiterer an den ICE-Verkehr anzuschließender Tiefbahnhof am Flughafen, mit dem die ehrgeizigen Ziele der Steigerung der Fluggastzahlen von Stuttgart aus um 40% bis 2033 erreicht werden sollen.
Angeblich haben ja Politik und Bahn aus den Fehlern der Vergangenheit, die die Bahninfrastruktur so geschädigt haben, gelernt. Jetzt würden viele Milliarden in die Schiene investiert. Solange dieses Geld in Stuttgart 21 und andere Unsinnsprojekte in Hamburg, Frankfurt oder München fließt, solange die Bahn weiter in Hochgeschwindigkeitswahn und Prestigeprojekte investiert statt in die Fläche, in die BürgerBahn, wird die Verkehrswende nicht funktionieren und werden wir die Klimaziele nicht erreichen.
Und das Positive zum Schluss: so wie die Erneuerbaren die Antwort auf den Fossilismus sind, ist das Konversionskonzept Umstieg21 die ökologische Antwort auf Stuttgart21!