Eine europäische Flächenbahn als Stütze einer ökologischen Verkehrswende
Vorbemerkung Die nachfolgende Neufassung eines 1996 im Rahmen der Biennale in Venedig im Buch „Renaissance der Bahnhöfe“ veröffentlichten Beitrages hat zwischenzeitlich nicht etwa an Aktualität verloren, sondern ist im Gegenteil aktueller denn je, weil die Klimakrise inzwischen die Notwendigkeit einer grundlegenden Verkehrswende und damit auch Wende der Bahnpolitik in Deutschland und Europa immer wichtiger macht und weil Deutschland im europäischen Kontext leider schon lange nicht mehr als Vorbild für innovative Bahnkonzepte gelten kann.
Bahn und Ökologie. Von Detailoptimierungen zum ökologischen Verkehrssystem
Häufig wird von Laien, aber auch von Politikern und Fachleuten der Bahn selber beim Stichwort Bahn und Ökologie an verkehrspolitisch und umweltpolitisch eher marginale Details gedacht:
- z.B. an die Beendigung des Einsatzes von Herbiziden und großen Holz-Schredder-Maschinen für das Freihalten der Bahntrassen von unerwünschtem Bewuchs;
- z.B. an die Einführung geschlossener Entsorgungssysteme für Toiletten und Brauchwasser in den Zügen;
- z.B. an die Verwendung von Leichtbaustoffen zur Minimierung der Zuggewichte und des Materialeinsatzes bei der Herstellung des Rollmaterials und davon abhängig
- an die Reduzierung der Gesamtgewichte, Achslasten etc. zur Verringerung des spezifischen und absoluten Energieverbrauchs der Bahn;
- z.B. an die Weiterentwicklung der Antriebs- und Filtertechnik für Dieseltriebwagen;
- z.B. an die Verwendung leicht abbaubarer Farben, Lacke und Verkleidungsmaterialien in der Fahrzeugherstellung;
- z.B. an eine bessere Entsorgung verbrauchter Kraft- und Schmierstoffe, Reinigungsstoffe etc.;
- z.B. an die Reduzierung des Müllaufkommens in den Speisewagen durch günstigere Portionierung, Verzicht auf Plastikgeschirr und -besteck;
- z.B. an eine landschaftsschonendere, platzsparende Trassierung beim Neubau und Ausbau;
Alle diese Initiativen sind zwar im Detail auch wichtig und ehrenwert, und die europäischen Bahnen haben schon genug Mühe, in diesen vordergründigen Feldern von ökologischer Qualität konsequent mit den Sünden der Vergangenheit aufzuräumen.
Doch die eigentliche ökologische Bedeutung erhält die Bahn in einem ganz anderen Bereich, ihrer Verkehrssystemqualität und der damit verbundenen Fähigkeit, massenhaft den Umweltfeind Nr. 1 im Verkehr, das Auto zur ersetzen. Und auch den zweiten großen Umweltverschmutzer, den Flugverkehr, soll und kann die Bahn massenhaft ersetzen. Mit ihrer verkehrspolitischen Positionierung und ihrer verkehrlichen Leistungsfähigkeit steht und fällt die eigentliche ökologische Bedeutung und Wirksamkeit der Bahn. Und da steht es derzeit bei den europäischen Bahnen alles andere als gut. Noch sind sie weit davon entfernt, den Ausstieg aus der umweltzerstörenden Autogesellschaft zu ermöglichen.
Bahn heute: vorne hui und hinten pfui
Vielmehr präsentieren sich die europäischen Bahnen sehr widersprüchlich. Zwar wird einerseits mit massivem Finanzeinsatz auf wenigen ausgewählten europäischen Magistralen in die Neu- und Ausbaustrecken der Hochgeschwindigkeitsbahn investiert. Und in ausgewählten Ballungsräumen und Großstädten wird auch am Ausbau von neuen S-Bahnsystemen oder an der Modernisierung alter S-Bahnsysteme gearbeitet. Trotzdem ist die Gesamtentwicklung des Eisenbahnnetzes in den meisten europäischen Ländern erschreckend negativ. Wenigen Neu-und Ausbaumaßnahmen steht an Vielfaches an Streckenstilllegungen und Fahrplanausdünnungen gegenüber. Die Diskrepanz zwischen dem ehrgeizigen Ausbau immer dichterer Straßennetze auch und gerade in dünn besiedelten Regionen und dem immer dünneren Bahnnetz wird immer erschreckender.
Ein System wird geplündert: der Tod der Flächenbahn
Die europäische Tiefbauindustrie baute in den letzten Jahrzehnten keine Bahnen, sondern Straßen, Autobahnen, Ortsumgehungen, Strassentunnels. Oder sie beseitigte Gleise. Statt Bahnausbau war 40 Jahre lang Bahnabbau angesagt. Kahlschlagsanierung dominierte das Bahngeschäft. Allein in Deutschland verschwanden 12.500 Kilometer Schienenstrecken aus dem Netz der Fern-, Regional- und Kommunalbahnen. Das Bundesbahnnetz schrumpfte um 30%, das Netz der Regionalbahnen um 60%, das Netz der Überlandbahnen um 43% und das Netz der Straßenbahnen um 62%. Die Zahl der Bahnhöfe der Bundesbahn und Regionalbahnen schrumpfte um 43%, sage und schreibe 6.000 Bahnhöfe und Haltepunkte verschwanden.
Verdrängung durch das Auto als neuer Flächenerschließer
Der neue Konkurrent, das Auto, setzte die Maßstäbe und Prioritäten. Das Auto galt als prioritäres Verkehrsmittel. Autogerechte Erschließung von Stadt und Land genoss maximale politische Aufmerksamkeit und finanzielle Dotierung in allen westlichen Staaten, ihren Regionen und Kommunen. Konzeptionell wurde das Auto zum ubiquitären Verkehrsmittel erklärt. Jeder sollte ein Auto haben, und jeder Winkel sollte optimal für Autos erschlossen sein, durch ein engmaschiges Straßensystem von Fern-, Regional- und Kommunalstraßen. In Deutschland wuchs das Netz der klassifizierten Straßen in nur 30 Jahren um 145.000 km, das Netz der nicht klassifizierten innerörtlichen verkehrswichtigen Gemeindestraßen um 83.000 km. Die Politik zog durch die Lande und rief: „Wer will noch Straßen?“, und überall war man fixiert auf die Vorstellung, das Straßennetz müsse dicht und von hoher Qualität sein, als Garant hoher Mobilität und wirtschaftlichen Wachstums.
Die Flächenbahn: das historische Vorbild
Angesichts einer solchen Entwicklung fragt man sich, was vor 2-3 Generationen die damaligen Verkehrs- und Industriepolitiker, Ingenieure, Planer und Bankiers eigentlich motiviert hat, so viel Geld in den Ausbau eines dichten Bahnnetzes zu investieren, obwohl damals weder im Personen- noch im Güterverkehr annähernd ähnlich grosse Verkehrsvolumina bestanden. Damals waren die Länder wesentlich ärmer als heute, weniger dicht besiedelt und wir hatten noch eine wenig entwickelte Bahnbautechnik. Trotzdem schuf man damals in Mitteleuropa und Nordamerika eine Flächenbahn mit einem ungeheuer dichten Netz. Zur Zeit der grössten Netzdichte Ende der 20er Jahre gab es in Mitteleuropa eine ganz geringe „Bahnferne“, auch im dünn besiedelten ländlichen Raum war der nächste Bahnhof selten mehr als 10 Kilometer entfernt, die Bahninfrastruktur war nahezu ubiquitär.
Natürlich folgte die Frühphase der Bahnentwicklung zunächst den Korridoren und den Metropolen. Auch damals hatte man aus verständlichen Gründen zunächst das Interesse, die aufkommensstarken Ströme zu bedienen. Aber danach griff das Bahnnetz schon um die Jahrhundertwende immer mehr in die Fläche aus. Auch in dünn besiedelten Gebieten wollte jede Kleinstadt und jeder Industriebetrieb einen Bahnanschluss als sog. „Lebensader“. Man muss sich die Bedingungen vergegenwärtigen, unter welchen dieses Netz entstanden ist: Die Bauwerke mussten „von Hand“ erstellt werden. Da waren Tausende von Arbeitern mit Hacken, Schubkarren und Loren an der Arbeit, es gab keine Großmaschinen, allenfalls das Dynamit war eine gute Hilfe im Tunnelbau. Bahnbau war eine mühselige Arbeit. Und trotzdem wurden Jahr um Jahr tausende Neubaukilometer erstellt.
Flächenbahn: neue Möglichkeiten ungenutzt
Heute schaffen es die europäischen Länder mal gerade, pro Jahr mickrige 40, 60 oder auch mal 100 km Bahnstrecke neu zu bauen, obwohl sie nach allen ökonomischen und fiskalischen Indikatoren sehr viel reicher als damals sind. Ihre Verkehrsmärkte sind heute sehr viel größer als damals. Die technischen Möglichkeiten für Bahnbau sind heute sehr viel besser als damals. Es gibt nahezu vollautomatische Bahnbauzüge, die 200 mal schneller als früher neue Gleise verlegen. Wir haben gigantische Baumaschinenparks. Und wir geben große Geldsummen im Verkehrsbereich aus, dagegen sind die Verkehrsausgaben unserer Urgroßväter „Peanuts“. Und trotz dieser idealen Bedingungen schaffen wir in Europa nur einen Bruchteil der Neu- und Ausbauleistungen von früher.
Die Schere im Kopf: (Sch)Rumpfbahnkonzepte als Selbstverstümmelung der Bahn
Der Grund ist die konzeptionelle Selbstverstümmelung der meisten europäischen Bahnen. Sie haben heute nicht mehr den gleichen verkehrspolitischen und kommerziellen Ehrgeiz wie in der Gründerzeit. Statt dessen passten sie sich dem neuen Trend schnell an, nahmen ihren Rollenwechsel vom universellen Verkehrsmittel Nr. 1 zum Lückenbüßer der Verkehrspolitik hin, opferten ihren ursprünglichen Verkehrsauftrag der Autobegeisterung der Verkehrspolitik. Ziel wurde eine kleine, feine Bahn, die sich auf die Hauptkorridore und das sog. „Hauptgeschäft“ konzentrieren sollte, den Transport von Geschäftsleuten und sog. bahnaffinen Gütern über lange Strecken. Nebenstrecken galten als verzichtbarer Ballast. Als sog. arteigener Vorteil der Bahn wurde immer mehr die schnelle Fahrt auf wichtigen Achsen angesehen. Damit geriet man in immer größere Diskrepanz zum Verkehrsmarkt, der im Personen- wie im Güterverkehr zu großen Teilen aus Nah- und Regionalverkehr besteht. Der klar gebündelte Fernverkehr ist nur ein sehr begrenztes, kleines Marktsegment. Als universeller Verkehrsträger und Instrument einer Verkehrswende kann eine Rumpf- oder Korridorbahn kaum mehr ernst genommen werden. Sie überlässt den Hauptmarkt einfach der Straße. Der fatale Wendepunkt zum Abschied als Verkehrsträger Nr. 1 war mit dem heute überall rituell von Politik und Verwaltungen sowie Autolobbyisten beschworenen Kernsatz vollzogen, dass die Schiene nicht für die Flächenerschließung tauge, eine Flächenbahn also unmöglich sei. Damit war klar, dass nennenswerter Neubaubedarf bei der Bahn nur noch bei den Magistralen des Hochgeschwindigkeitsnetzes bestand, dass für die Bahn in der Fläche nichts mehr zu investieren war. Und so verkam die Bahn in der Fläche in den meisten europäischen Ländern schnell zum maroden Restsystem, stigmatisiert durch miserable Infrastrukturqualität, veraltetes Rollmaterial, wenig kundenfreundliche Betriebssysteme, vorsintflutliche Logistik und schlechtes Marketing. Der Teufelskreis negativer Entwicklung war eingeleitet: dem Nachfrageeinbruch dank sinkender Angebotsqualität folgte die nächste Fahrplanausdünnung, ihr folgte die schrittweise Teilstilllegung erst einzelner Haltepunkte und Strecken, dann ganzer Netzteile.
Die verschlafene Chance
Natürlich wäre aus heutiger Sicht auch eine ganz andere Strategie denkbar gewesen: die der Qualitätsoffensive in der Fläche. Die Bahnen hätten ihre angestammten Marktanteile verteidigen können und das wachsende Verkehrsvolumen zum Anlass für eine zweite Generation massiven Bahnausbaus nehmen können. Ein Modernisierungsschub im ganzen System, im Rollmaterial, in der Logistik, im Betriebssystem und Fahrplan hätte einen Quantensprung im Angebot ermöglicht. Verknüpft mit einer Tarif- und Marketingoffensive hätten die Bahnen eine dominante Rolle im Verkehrsmarkt behalten. Aber das hat in Ansätzen nur das „Musterländle“ der Bahnentwicklung, die Schweiz gemacht. Sie holt aus ihren Bahnnetzen eine vielfache Leistung heraus, arbeitet rationeller, effizienter und bindet weit größere Nachfrage als die anderen Bahnen. Sie hat kontinuierlich investiert und modernisiert. In den übrigen Ländern unterblieb eine vergleichbar breite Netz- und Systemmodernisierung, weil Politiker, Administratoren und Lobbyisten sich in ihren Infrastruktur- und Finanzprioritäten stark auf den Autoverkehr fixierten. Hierin bestärkte sie der von den Bahnen selber propagierte Grundsatz, Bahn tauge als schienengebundenes Verkehrsmittel nicht zur Flächenerschließung. Das könnten nur das Auto und der LKW.
Flächenbahn ist wieder möglich, man muss sie nur wollen
Der historische Exkurs zeigt, dass dieses Axiom der Verkehrspolitik falsch ist. Flächenbahn taugt zur Flächenerschließung. Diese Argumentationslinie muss man verknüpfen mit der Feststellung, dass die europäischen Länder immer noch viele Milliarden für Verkehrsinvestitionen ausgeben, nur eben leider meist für Straßen und Parkraum, neuerdings auch elektronische, straßenbezogene Leitsysteme. Man muss der Politik und den Bürgern bewusst machen, dass aufgrund der technischen Möglichkeiten der Bahnfahrzeugindustrie, Schienenbauindustrie und Logistikindustrie Flächenbahn eigentlich leicht möglich wäre, wenn man sie nur wollte. Am wichtigsten ist die Konzeptfrage für die Flächenbahn. Man muss die Killerphrasen und Totschlagargumente gegen die Flächenbahn entkräften und den Leistungsauftrag für die Flächenbahn ehrgeizig neu bestimmen und die Bahn zur wichtigsten Stütze in der Verkehrswende und Umweltpolitik machen.
Technische und betriebliche Optionen der Flächenbahn
Die technischen und betrieblichen Optionen der Flächenbahn sind überwiegend schon entwickelt und erprobt, in einzelnen ausgewählten Einzelbeispielen. Es fehlt lediglich ihr systematischer Einsatz im ganzen europäischen Bahnnetz.
- Der integrale Taktfahrplan ist eine wichtige Qualitätsoption, aus der sich viele infrastrukturelle und betriebliche Notwendigkeiten ableiten lassen. Nach der Systemphilosophie des integralen Taktes definieren die Knotenpunkte und die Zeitlagen zwischen den Knotenpunkten sowie davon ableitbare Fahrplansymmetrien entscheidend den Infrastrukturbedarf für Streckenausbau, Beschleunigung, Bahnhofsgestaltung, Rollmaterial und Logistik sowie für den Fahrplanaufbau. Der integrale Takt sichert qualitätsvolles Reisen durch alle Teilsysteme von Nah-, Regional- und Fernverkehr, er erlaubt es, sich nahezu blindlings auf die Bahn zu verlassen.
- Die Schienenfahrzeugtechnologie ist weit entwickelt. Sie wurde stark beeinflusst vom kommunalen Schienenverkehr. Leichttriebwagen ersetzen die alte schwere Traktion. Dadurch kann besser beschleunigt und gebremst werden. Häufiges Halten in kurzen Abständen ist leichter möglich. Wendefahrzeuge sparen zeit- und kostenaufwendiges Rangieren und erlauben rationellen Personaleinsatz. Die vielen alten Kopfbahnhöfe können mit Wendezuggarnituren viel rationeller betrieben werden, ohne gossen Um- und Ausbau. Pendolinofahrzeuge erlauben Beschleunigungseffekte ohne großen Ausbauaufwand, vor allem auch auf kurvenreichen Nebenstrecken. Die neue Niederflurtechnik erlaubt enorme Kosteneinsparungen bei den Bahnhöfen und Haltepunkten. Angepasste Ausbau- und Sicherheitsstandards erlauben auf vielen Strecken kostengünstige, ebenerdige Zu- und Abgänge ohne teure Passagiertunnel. Große Türen sichern rationellen Betrieb mit schnellem Ein- und Aussteigen und minimalen Haltezeiten. Modulare Bauweisen erlauben die bedarfsgerechte Modifikation der Komponenten auf die differenzierte Ausgangslage im Netz. Man kann nahezu alles mit allem kombinieren: Mehrfachantriebe überwinden die bisherigen Friktionen im Netz zwischen Dieselstrecken und elektrifizierten Strecken bzw. Kommunalstrom- und Bahnstromstrecken. Sie erlauben nahtloses Durchfahren der europäischen Teilnetze ohne die bisher üblichen Umspann- und Wartezeiten an den Grenzen. Automatikkupplungen garantieren schnell wechselnde Traktionen bzw. erlauben im Flügelzugprinzip, dass sich mehrere Züge treffen, verbinden und wieder trennen. So kann „im Fahren“ umgestiegen werden. Bei der Güterbahn bieten Automatikkupplungen und dezentrale, einfache Straße- Schiene- Umschlagtechniken für Selbstbedienung, Selbstläuferwagen, teilautomatischen Güterumschlaganlagen, neue Containersysteme neue Möglichkeiten für schnellen Querverschub im nahezu rangierfreien, schnellen Gütertaktverkehr mit IC- bzw. S-Bahnqualität.
- Die elektronische Verkehrslenkung erlaubt rationellen Betrieb mit guter Anschlusssicherung. Sie optimiert die „Leistungsausbeute“ der Strecken, auch bei eingleisigen Abschnitten mit Ausweichmöglichkeiten. Satellitengestützte Navigation und moderner Bahnfunk sichern reibungslose Kommunikation zwischen allen Fahrzeugen und bieten der Betriebsüberwachung den vollen Überblick. Zugsicherung und Bahnkommunikation erlauben auch eine vereinfachte Bahnübergangssicherung und verkürzte Blockbildung
- Die Gleisbautechnik mit modernsten Maschinen erlaubt große Ausbauleistungen in kurzer Zeit..
Diese inzwischen verfügbaren technischen und betrieblichen Potentiale sowie die weit entwickelten Möglichkeiten moderner Bahnbautechnik würden -mit System flächendeckend eingesetzt- sehr schnell eine dramatische Verbesserung der Bahnqualität ermöglichen und es erlauben, in allen Teilverkehrsmärkten die Bahn wieder zum Verkehrsträger Nr. 1 zu machen.
Hochgeschwindigkeitsbahn: Motor oder Bremse der Systeminnovation?
Aber ein solches breites Ausbau- und Modernisierungskonzept verfolgen die meisten Bahnen nicht. Wenn überhaupt, beschränken sie ihr investives Engagement auf einige wenige Vorzeigeprojekte des Hochgeschwindigkeitsverkehrs, wie z.B. in Frankreich den TGV, in Deutschland den ICE. In einer Art Rekordwettlauf und in der irrigen Annahme, dass es riesige Märkte für Hochgeschwindigkeitsbahntechnologie gebe, werden hier grosse Milliardensummen gebunden, die der breiten Systeminnovation der Bahn fehlen. Das verkehrs- und umweltpolitische Kosten-Nutzen-Verhältnis dieser Investitionen ist äußerst fraglich. Lawinenartige Veränderungen am Verkehrsmarkt schaffen sie nicht, allein schon aufgrund der geringen Netzbildung. Den ca. 20 Hochgeschwindigkeitsachsen stehen etwa 20.000 Regionalbahnstrecken gegenüber. Vor allem auf ihnen muss die Systeminnovation greifen, hier muss investiert werden. Mit einer Rumpf- und Korridorbahn werden weder die Straßen noch die Lüfte „leergefegt“. Und die Städte und Regionen ersticken trotz ICE und TGV weiter im Autoverkehr. Eine sinnvolle Vergleichsrechnung, was beispielsweise der Einsatz von 600 neuen Pendolinozügen zum Aufbau eines attraktiven Interregiosystems zwischen allen deutschen Mittel- und Oberzentren an verkehrlichem Nutzen und Systemeffekt gebracht hätte, ist nie präsentiert worden.
Der Ansatz isolierter hochtechnologischer Partialinnovationen ist von Grund auf falsch, weil er zu einem verheerenden Nebeneinader hochmoderner und total veralteter Systemteile führt. Letztere werden immer das Gesamtsystemimage beschädigen. Ein wirklich leistungsfähiges, polyvalentes, dem Auto überlegenes Verkehrssystem kann so nie entstehen. Dafür müssen alle relevanten verkehrlichen Zwecke abgedeckt werden, alle Regionen einbezogen werden: also nicht nur Geschäftsreisende und Berufspendler sondern gleichermaßen der Einkaufs- und Freizeitverkehr, der Urlaubsverkehr, der Spätverkehr, der Nahverkehr, der Regionalverkehr und der Fernverkehr; also nicht nur ein paar Hauptmagistralen (und den Rest macht die Straße), sondern alle Verkehrsverflechtungen.
Die Optionen der neuen Bahn sind weithin unbekannt
Was eine neue Bahn alles könnte, ist weithin unbekannt. Der Modernitätsanspruch der europäischen Bahnen fokussiert sich auf TGV oder ICE oder Eurostar. Die phantastisch moderne Vielfalt neuer Regionaltriebwagen, die hochinteressante Palette neuer Pendolinoprodukte, die Faszination automatisch gekuppelter Flügelzüge oder automatischer Güterumschlaganlagen ist dagegen weithin unbekannt, findet bei Politik und Medien wenig Interesse und stößt folglich auch nicht auf die notwendige Investitionsbereitschaft. Während die europäische Autoindustrie Jahr um Jahr mit großen Milliardensummen in allen Medien ihre Produkte anpreist und massive Besitzwünsche weckt, beschränkt sich das Wissen um die neuen Optionen moderner Bahnen auf ein paar wenige Insider, bleibt bei den Bürgern das altväterliche Image der schlechten, maroden Bahn bestimmend. Leider gilt das auch für die Informations- und Motivationslage vieler lokaler und regionaler Entscheidungsträger, die nach den in vielen europäischen Ländern jetzt angelaufenen sogenannten „Bahnreformen“ zunehmend für die Bestellungen von Bahnqualitäten und Bahnleistungen zuständig sind. In Deutschland sind höchstens 5 % der für Verkehrsfragen zuständigen Regional- und Kommunalpolitiker, Wirtschaftsvertreter und Mitarbeiter von Verkehrsbetrieben zumindest im Prinzip informiert über die neuen technischen und betrieblichen Optionen, die neuen Fahrzeugtypen und die Konsequenzen aus der Bahnregionalisierung. Bei den restlichen 95 Prozent besteht eine konzeptionelle Verengung auf die „alte Bahn“. 40 Jahre leidvoller Erfahrung mit der alten Bahn zementieren die Vorurteile, was Bahn alles nicht kann, und blockieren jedes weitere Nachdenken über eine neue Bahn. Solange das so ist, kommt keine Lawine von Bestellungen; solange das so ist, wird bei jeder Zweckverbandsversammlung, bei jeder Neukonstitution von Aufgabenträgern als erstes gesagt: „das bringt alles nichts, das kann die Bahn nicht, das ist alles viel zu teuer, das können wir uns alles nicht leisten“. Ohne engagierte Motivation und qualifizierte Information kommen die für eine systematische Verkehrswende notwendigen Bestellungsvolumina nicht zustande. Doch die betroffene Industrie überlässt die Motivations-, Informations- und Werbearbeit kampflos der Autoindustrie. Folglich kämpft derzeit die Waggonindustrie – obwohl sie zu den hoffnungsvollsten Zukunftsindustrien zählt – mit Stagnation, Entlassungen und Werksschließungen. Gebraucht wird ein europäischer „Wanderzirkus der neuen Bahn“, gemeinsam organisiert von den Fahrzeugherstellern, Schienenherstellern, Logistikanbietern und den europäischen Bahnen Von Nord bis Süd, von Ost bis West sollte Region für Region „abklappert“ werden, um der Öffentlichkeit und der Politik „vor Ort“ zu zeigen, was moderne Bahn alles bieten könnte. Solche Bahntage sollten genutzt werden zur Präsentation von Rohkonzepten, wie in den jeweiligen Regionen moderne Regionalbahnen aussehen könnten. Damit Bürger und Entscheidungsträger „Appetit“ auf moderne Bahn bekommen und motiviert werden, Geld für moderne Bahn auszugeben, statt nur über befürchtete Defizite zu jammern. Der Politik muss präsentiert werden, was man für eine Flächenbahn alles bräuchte, was man damit verkehrlich bewegen könnte.
Das Bahnhofsthema neu angehen
Die Zukunft der Bahn ist nicht nur eine Frage der Netze, sondern natürlich auch der Punkte und Knoten, also der Bahnhöfe und Haltepunkte. Allein in Deutschland müssten für die Flächenbahn 6.000 neue Bahnhöfe und Haltepunkte geschaffen werden, europaweit sicher das Zehnfache. Neuerdings scheint es, als würden die Bahnen von sich aus das Bahnhofsthema ernster nehmen. Wenn man aber genauer hinsieht, dominieren auch hier Konzentrationsdenken und Kaskadierung. Neubau- und Modernisierungsprojekte konzentriert sich – bis auf wenige Ausnahmen, z.B. im Programm „Umweltbahnhof“ in Rheinland-Pfalz – auf wenige, prominente Großstadtbahnhöfe. Und auch dort sind die Vorzeigeprojekte nur bedingt zukunftsweisend. Meist gibt es rund um den Bahnhof viel Straßen- und Parkhausbau, wie etwa bei Kassel-Wilhelmshöhe. Oder es werden aberwitzige Investitionen im Untergrund bewegt, wie bei Stuttgart 21 oder Berlin Mitte, so als ob es den ganzen „U-Bahn-Kater“ in den Großstädten nicht gegeben hätte. Nun wird auch die Fernbahn im stadtnahen Bereich mehr und mehr in den Untergrund gesteckt, um lukrative Immobilienverwertung bei den dann aufzugebenden oberirdischen Gleisspinnen betreiben zu können. Gegen den Verkauf wirklich entbehrlicher Bahnflächen ist nichts einzuwenden, aber für die Frage der Entbehrlichkeit müssen auch sinnvolle Zukunftsoptionen geprüft werden. Sonst werden neue, künstliche Nadelöhre oder gar Netzlücken geschaffen, die der Integration von Fernbahn, Regionalbahn, S-Bahn und Stadtbahn enge Grenzen setzen. Die Tunnelitis bindet viele Milliarden DM, die bei tausenden anderen Bahnhofsprojekten fehlen. Immer noch blockieren falsche Standards und Konstruktionsprinzipien wichtigen Spielraum. Selbst bei kleinen Haltepunkten werden für unsinnige Millionenbeträge niveaufreie Personentunnel gebaut, die unnötige Zeitverluste, lästiges Treppensteigen und schlechte Qualitäten („schummrige Pissecken“) garantieren. Bei den Gebäuden und Überdachungen dagegen wird meistens spartanisch gespart. Statt transparenter, filigraner Glasarchitektur dominieren dann plumpe „Wartecontainer“ übler Einfallslosigkeit.
Ignorierter Umweltverbund
Die europäischen Bahnen setzen bis auf die Nederlandse Spoorwegen und die Schweizer Bundesbahn durchweg noch auf das Auto als wichtigstes Kombinationsverkehrsmittel, obwohl die Kombination Auto-Bahn eher selten ist (nur 5% aller Bahnkunden kombinieren die Bahnreise mit einer Auto-An-oder -Abfahrt, 95% erreichen und verlassen den Bahnhof zu Fuß, mit Bus und Bahn, Taxi oder dem Fahrrad, also dem Umweltverbund). Trotzdem dominieren bei der Bahnhofsplanung regelmäßig die Belange des Autoverkehrs. Die Bahnen engagieren sich mit viel Geld (aus angeblich zwingenden Imagegründen) für die Präsenz des Automietservice im Bahnhof. Sie halten riesige Parkplatzkapazitäten am Bahnhof vor und engagieren sich für Park & Ride- Anlagen. Modernem Bike & Ride mit vernünftigen Fahrradstationen verweigern sich dagegen noch die meisten europäischen Bahnen, weil ihnen das Fahrrad als Zubringer- und Kombinationsverkehrsmittel suspekt ist, obwohl bei vielen Bahnen 15-20 % der Bahnkunden den Bahnhof mit dem Fahrrad erreichen, in Holland sogar 40 %. Fahrradmitnahme im Alltagsverkehr der Bahnen wird durch viele tarifliche und technische Hindernisse erschwert. Das wichtige Leihfahrradgeschäft an Bahnhöfen wird weithin ignoriert. Nur die Schweiz und Holland bieten für Fahrrad-Bahn-Kombinierer durchdachten Systemservice.
Auch für die Kombination mit Bussen und Straßenbahnen tun viele europäischen Bahnen eher wenig. Obwohl traditionell der Bahnhof einer der wichtigsten Nahverkehrsknoten war. In den meisten europäischen Ländern wurden die Kooperation von Bahn, Bahnbus und Postbus abgeschafft, die Busdienste eingestampft. Fahrplaninformationen über den jeweils örtlichen Nahverkehr bekommt man im Zug nicht. Umgekehrt findet man bis auf die Schweiz kaum Nahverkehrshaltestellen, an denen gleichzeitig die Zugabfahrtspläne des Bahnhofs hängen. Durchtarifierung und Generalabos sind den meisten europäischen Ländern noch fremd. Richtig engagiert sind die Bahner erst bei der Forderung nach neuen Parkhäusern oder Parkplätzen rund um den Bahnhof, weil ihnen Park & Ride stets die wichtigste Verkehrsmittelkombination ist.
Am schlimmsten ergeht es an vielen Bahnhöfen den Fußgängern. An Großstadtbahnhöfen werden sie meist zu Gunsten breiter Autostraßen mit ungehemmten Autoverkehrsfluss in den Untergrund verbannt. Im Umfeld der Bahnhöfe fehlen meist fußgängerfreundliche Ampeln und Überwege. Die Gehwege im Bahnhofsumfeld haben Miniformat, obwohl gerade hier Fußgänger fast immer „bepackt“ sind, mit Koffern und Taschen, und also viel Platz bräuchten. An Kleinstadtbahnhöfen werden Fußgängern oft endlos lange Umwege zugemutet, weil es nur zu einer Seite und nur an einem Ende Zu- und Abgänge gibt.
Vereinfachte Bau- und Sicherungstechniken ermöglichen
Der größte Feind der Flächenbahn sind die betonfixierten Sicherungsmaßnahmen alter Prägung. Wer in Deutschland eine Regionalbahnstrecke anpackt, muss erst mal Unsummen in Bahnübergänge und zweigleisigen Streckenausbau stecken. Intelligentere Methoden der Streckenbeschleunigung werden erschwert: z.B. die Beseitigung bahnübergangsbedingter Langsamfahrstrecken durch elektronische Sicherung, durch effizientere straßenverkehrsrechtliche Vorrangregelungen für die Bahn vor dem Auto und durch massive Geschwindigkeitsbegrenzungen für den Autoverkehr an Übergängen. Wichtig wäre auch eine selektive Bevorzugung von Fussgängern und Radfahrern bei der Schrankenöffnung an Bahnübergängen, da sie im Vergleich zu einem zwischen den Schranken liegengebliebenen Auto wesentlich günstigere Räumzeiten haben. Erschwert wird auch die Ertüchtigung eingleisiger Strecken durch mehr Ausweichstellen und bessere elektronische Steuerung anstelle des durchgängig zweigleisigen Ausbaus. Zwei Drittel des Investitionsvolumens an solchen Strecken gehen in unsinnigen Tiefbau mit zweifelhaftem Kundennutzen, statt sie kundenorientiert vor allem in neue Fahrzeuge und gute oberirdische Haltestellengestaltung zu stecken. Viele dieser teuren Tiefbauinvestitionen helfen am Ende mehr der Beschleunigung des Autoverkehrs und kaum der Attraktivitätssteigerung der Bahn. In Holland und der Schweiz akzeptiert man noch viel häufiger niveaugleiche Bahnübergänge und niveaugleiche Zugänge. Gefragt sind für alle Bahnen neue Gesetze und Vorschriften, die einen einfachen, effizienten, rationellen Bahnausbau- und Betrieb ermöglichen. Wenn von modernem Verkehrssystemmanagement die Rede ist, sollte zuerst und systematisch die Bahn von ihm profitieren und dadurch von unsinnigen Baulasten befreit werden.
Flächenbahn im Güterverkehr. Aufbruch zu neuen Märkten
Die Flächenbahn hat auch hohe Bedeutung für den Güterverkehr. Ursprünglich motivierte ja vor allem der Güterverkehr zum Ausbau der Flächenbahn. Sie taugte damals für jeglichen Güter- und Warentransport.
- Rückzug der Güterbahn: Erst später fing die Güterbahn an, sich aus vielen Teilen des Transportmarktes zu verabschieden, sie dem LKW preiszugeben und sich auf das angeblich bahnaffine Geschäft zurückzuziehen: die Massengüter und die Transporte auf lange Entfernungen. Die Folge dieser Selbstamputation: die Straße brummt, die Güterbahn geht kaputt.
- Bahn und Gütermarkt wachsen auseinander: Die konservative Fixierung auf wenige angeblich bahnaffine Gütergruppen und die Preisgabe des übrigen Marktes an den LKW ist fatal. Denn der sogenannte bahnaffine Bereich (billige Massengüter) schrumpft seit Jahren, und der nicht bahnaffine (anspruchsvolle Konsum- und Investitionsgüter) wächst. Aus den kurzlaufenden Märkten verabschiedete sich die Güterbahn, weil sie sich mit ihrer uralten Betriebs- und Rangiertechnik dem flexiblen, schnellen LKW hoffnungslos unterlegen sah. Die kleinen Mengen und Ströme über kurze Distanzen erschienen ihr in ihrer Betriebslogik uninteressant, weil man dafür viel Personal brauchte und nach dem konventionellen Tarifsystem nur wenig daran verdienen konnte. Wenn es sich um ein kleines Marktsegment gehandelt hätte, wäre das noch halbwegs verständlich gewesen. Aber der Nah-und Regionalverkehr ist nach dem Fahrtenaufkommen der wichtigste Güterverkehrsmarkt überhaupt. Und er macht die größten Verkehrsprobleme. Er konditioniert damit auch das generelle Verhältnis der Wirtschaft zu den Verkehrsträgern. Wer hier auf den LKW verwiesen wird, wird auch sonst LKW-fixiert handeln.
Optionen einer kundengerechten Güterbahn
In diese Märkte kommen die europäischen Bahnen erst wieder rein, wenn sie kundengerecht operieren. Mit vertakteten, regionalen Güter-S-Bahnsystemen und vereinfachtem, möglichst rangierfreiem Güterumschlag. Dafür gibt es viele erfolgversprechende Ansatzpunkte:
- Güterbahn mit Selbstbedienung: schneller Straße-Schiene-Umschlag darf nicht von den Dienstzeiten und hohen Personalkosten der Bahn abhängig sein. Bei kleinen Gütermengen ist deren Auslastung ohnehin schwer. Statt dessen sind hier Formen moderner Selbstbedienung, z.B. durch die LKW-Fahrer, gefragt. Kleine Gütermengen erlauben die neuen Roll-on- & Roll-off-Techniken mittels ACTS und Trailer-Systemen, bei denen ein Container oder eine Pritsche in kürzester Zeit zwischen Straße und Güterwaggon wechseln kann. Erfunden wurden sie für Baustoffe und Mülltransport. Aber einsetzbar sind sie auch für alle anderen Gütergruppen, die in Behältern laufen. Auch mit Hilfe von Gabelstaplern lassen sich kleinere Container leicht zwischen Rampe, Güterwaggon und LKW umsetzen. Es gäbe allein in Deutschland tausende von Stellen im Schienennetz, an denen so kleine Umschlagpunkte entstehen könnten, ohne große Infrastrukturerfordernisse. Es reicht ein Stück parallelgeführter Straße und Schiene, notfalls eine kleine Rampe und ein Lagerschuppen. Bahnpersonal ist dafür oft nicht nötig, weil das LKW-Personal „sich selbst bedient“.
- Rangierfreier Querverschub: Das umständliche Rangieren ist der Ruin einer attraktiven Güterbahn. Es kostet viel Personal, Zeit und Geld. Trotzdem hält die Bahn am veralteten Prinzip des Rangierens über riesige Gleisharfen fest. Sie versucht allerdings, das Rangieren elektronisch zu perfektionieren, durch Computereinsatz und Automatiksteuerung der Weichen und Traktion. Doch das ist eine groteske Mischung aus „alter Bahn“ und „High-Tech“. Die Elektronik ist vom Feinsten, aber das Konzept bleibt veraltet. Die großen Versandhäuser machen vor, wie Querverschub und Hochregaltechnik teil- und vollautomatischen Güterumschlag ermöglichen. Thyssen-Krupp haben mit ihrer Pilotanlage versucht, diese Lehren für die Güterbahn umzusetzen. Doch wieder bleibt die große, systemwirksame Serie aus. Etwa 600 kleine, mittlere und große Querverschubanlagen wären in Deutschland nach den Strömen und Knoten des Güterverkehrs nötig, um die Strassen zu „entlastern“, für Europa etwas die zehnfache Menge.
- Gütertaktverkehr: Neben der Umschlagtechnik geht es bei der Güterbahn auch um das Betriebssystem. Die Wirtschaft braucht nicht unbedingt maximale Geschwindigkeiten auf der Strecke, wohl aber genau kalkulierbare Zeitabläufe, in denen es keine Lücken geben darf. Vorbild für ein modernes Güterbahnsystem in Deutschland sind IC, IR und S-Bahnen. Untereinander verknüpfte und vertaktete Güterbahnen mit vielen Knoten und „Güterbahnhöfen“ (neuer Prägung) sind gefragt. Da müsste investiert werden.
- Auch bei der Güterbahn gilt: nicht ein paar Pilotprojekte bringen die Wende. Erst die tausendfache Systeminvestition führt zum Markterfolg mit rationellem, kostengünstigem Betrieb. Das Handling wird nicht durch schlecht ausgelastete Bahnleute gemacht, sondern der Verlader selber vollzieht es schnell und problemlos. Der LKW-Einsatz reduziert sich damit auf die Feinstverteilungsrolle. Doch in alter Tradition verfolgt die Güterbahn erst mal ganz andere Wege, weg von der Flächenbahn, hin zur reinen Korridorbahn. Mit wenigen, riesigen Umschlagknoten (Güterverkehrs- und Frachtzentren) und wenigen Nachtsprung-Korridoren hofft sie, den von ihr als bahnaffin erachteten Teilmarkt zu binden, und lässt den ganzen Rest eher unbeachtet.
Flächenbahn: Ein fundiertes Szenario
Für Deutschland ist erstmals 1995 eine Flächenbahnstudie erstellt worden. Das Wuppertal-Institut für Klima, Umwelt und Energie und das Institut für Ökologische Wirtschaftsforschung haben darin systematisch ermittelt, dass eine neue, moderne Flächenbahn einen wirklichen Ausstieg aus der Autogesellschaft ermöglicht, zunächst mit einer Halbierung des Autoverkehrs im Personen- und Güterverkehr, Vervierfachung des Bahnmarktanteils im Personenverkehr und Verdreifachung im Güterverkehr. Der infrastrukturelle Bedarf hierfür wird grob abgesteckt. Er ist durchaus nicht utopisch und relativ leicht finanzierbar. Man müsste ca. 20.000 neue Triebwagen und Zuggarnituren im Personenverkehr einsetzen. Dafür sind nach heutigen Großserienpreisen ca. 30 Mrd. DM für Rollmaterial im Personenverkehr erforderlich. Einschließlich der Reparaturen und Wartung macht das ca. 4,5 Mrd. DM pro Jahr. Im Güterverkehr werden ebenfalls ca. 4,5 Mrd. DM pro Jahr für neues, zeitgemäßes Rollmaterial benötigt. Der Personalbedarf der Flächenbahn beträgt etwa 50.000 Mitarbeiter im Personenverkehr, 50.000 Mitarbeiter im Güterverkehr, 50.000 Mitarbeiter in der Streckenwartung. Dafür sind pro Jahr etwa 14 Mrd. DM erforderlich. Für den Streckenneubau setzt das Flächenbahnkonzept jährlich 600 km und für den Streckenausbau jährlich 2.400 km fest und kommt damit (bei vereinfachter Bauweise und reduzierten Kilometerkosten) auf einen jährlichen Baufinanzbedarf von ca. 10 Mrd. DM. Insgesamt müsste man im Bahnbereich etwa doppelt so viel Geld bewegen wie zur Zeit vorgesehen. Also keine gigantische Kostenexplosion verglichen mit den immer noch weit höheren Ausgaben der Gebietskörperschaften für das Autosystem.
Flächenbahn und Flächenbus als Ergänzung
Die Flächenbahn kann die Verkehrswende weg vom Auto nicht allein leisten. Sie braucht die Ergänzung durch den Flächenbus, ein ähnlich differenziertes, konsequent modernisiertes Bussystem in Stadt und Land, das natürlich vielfältig mit der Flächenbahn verknüpft ist. Die Systeme stützen sich gegenseitig. Die Revolution im Busverkehr muss „vor Ort“ ansetzen, in den Klein- und Mittelstädten, die heute meist schlecht und recht durch veraltete Regionalbusse mitbedient werden. Es gibt atemberaubende Beispiele aus der Schweiz (Frauenfeld, Schaffhausen, Baden-Wettingen, Bülach), Österreich (Bregenz, Dornbirn, Feldkirch), Holland (Almere), Süddeutschland (Lindau, Radolfzell, Eichstätt) und Ostwestfalen (Lemgo, Bad Salzuflen und Detmold). Die modernen Ortsbussysteme haben moderne Niederflurbusse, jeweils ca. 60 Haltestellen je 10.000 Einwohner, mindestens Halbstundentakt, meist Viertelstundentakt, besitzen klar strukturierte Durchmesserlinien mit einer attraktiven, zentralen Redezvoushaltestelle. Sie werden fulminant vermarktet. Sie steigern die vorher meist minimale Nachfrage von 2-3 % auf Marktanteile zwischen 20 und 30 %. Man verkauft dort mehr Jahresnetzkarten als neue Autos. Man schafft es, trotz ländlichem Umfeld und kleinstädtischer Stadtstruktur zwischen 30 und 50 % aller Neufahrgäste aus dem Segment bisheriger Autofahrer zu gewinnen. Mehr als 2 Mio. Fahrgäste pro Jahr sind dort bei Kleinstädten mit 20-30.000 Einwohnern keine Seltenheit,. das bedeutet 60-80, evtl. sogar 100 Busfahrten je Einwohner und Jahr. Busnutzung wird so zur vertrauten, regelmäßigen Verhaltensweise. Gut 1.300 solcher Systeme wären allein in Deutschland zweckmäßig, weil es so viele Klein- und Mittelstädte gibt. Sie bräuchten etwa 13.000 neue Niederflurbusse und 1.300.000 neue Haltestellen. Da sich die neuen Ortsbusse ganz auf die lokale Versorgungsaufgabe konzentrieren, bedarf es für die anschließenden Streusiedlungslagen am Ortsrand sowie für das zersiedelte Umland ergänzender ÖPNV- Systeme, einmal in Form von Rufbus- und Anrufsammeltaxi-Systemen, einmal in Form von gemeinde- und städteverbindenden Regionalbussen. Für wichtige, nicht vom Schienenverkehr bediente Hauptrelationen gibt es besondere Schnellbuslinien. Durch die neuen Ortsbussysteme können die regionalen Busangebote räumlich gestrafft werden, was sie deutlich schneller macht. Auch im Bussystem gibt es einen integrierten Taktfahrplan, der auf die Bahn abgestimmt ist.
Das beschriebene Szenario für die Flächenbahn prognostiziert eine Halbierbarkeit des Autoverkehrs. Wenn man es um ein Flächenbusszenario ergänzt und beide miteinander kombiniert, dann gibt es erstmals eine begründete Perspektive für eine Verkehrswende. Massenhafter Autoverkehr ist überflüssig, wenn intelligente Mobilität im Umweltverbund gemanagt wird. Ergänzt durch konsequente Fußgänger- und Fahrradförderung, eingebettet in eine integrierte Verkehrs-, Stadt- und Regionalentwicklungsplanung, flankiert von den nötigen ordnungspolitischen Weichenstellungen eröffnet sich so eine Perspektive für eine wirkliche Verkehrswende. Mittelfristig können wir auf das Auto als Verkehrsträger verzichten.