Unbequeme Botschaften – Die Fortsetzung
Nach der Bundestagdebatte vom 25. September 2014 machte ich auch dem CDU-Abgeordneten Michael Donth das Angebot eines Faktenchecks zum Thema Nacht- und Autozüge. Ich wies ihn darauf hin, dass Nachtzüge auch die Aufgaben von Tageszügen übernehmen:
Und schließlich hat die DB 2013 bei diesem Segment nicht mehr berücksichtigt, dass manche Nachtzüge auch sogenannte Pendlerwagen mitführen. In Ihrer Heimat betrifft das den Nachtzug von München nach Amsterdam und Paris, mit dem man auch um 22:50 Uhr in München Hbf abfahren und um 01:16 Uhr in Stuttgart Hbf ankommen kann – mit Halt zum Ein- und Aussteigen in Augsburg, Günzburg, Ulm, Geislingen an der Steige, Göppingen und Plochingen. Morgens geht es von 4:35 Uhr bis 7:10 Uhr auf dieselbe Weise zurück. Diese Verbindungen werden als IC 60418 bzw. IC 60419 bezeichnet, werden aber durch drei Waggons des CNL 418 bzw. CNL 419 abgedeckt, die in Stuttgart Hbf beim Kopfmachen abgestellt und wieder beigestellt werden. Ähnliches passiert zwischen Berlin und Erfurt, Hamburg und Hannover sowie zwischen Duisburg und Basel. In diesen Pendlerwagen reisten 2010 rund 780.000 Personen, bis 2013 stieg diese Zahl auf ziemlich genau 1,2 Millionen, also um über die Hälfte! Da die DB Fernverkehr AG für den Betrieb dieser Verbindungen keine eigene Lok samt Lokführer, keine separate Fahrplantrasse und kein eigenes Zugbegleitpersonal bezahlen muss, sondern sich bei dem »sowieso fahrenden« Nachtzug bedient, wurde das bis einschließlich 2012 sauber zwischen den Gesellschaften DB Fernverkehr AG und DB AutoZug GmbH als Betreiber der Nachtzüge verrechnet. Da 2013 die DB AutoZug GmbH in der DB Fernverkehr AG aufging, hat man entschieden, dem Geschäftsbereich Nachtzug diese Leistung nicht mehr gutzuschreiben. Wir reden hier immerhin über 5,4 Millionen Euro – das sind 55 % des auf dem Papier stehenden Zuwachses des Defizits!
Hätte man 2013 genauso gerechnet wie 2012, hätte man vermelden müssen, dass der Deckungsbeitrag 1 sich von +11,1 auf +12,3 Mio. Euro verbessert hat.
Offenbar passten diese Zahlen nicht ins Konzept.
Zum Thema »Nachfrage« erläuterte ich:
Dabei ist das Angebot keineswegs gleichgeblieben. Bei den Nachtzügen waren einige Verbindungen gestrichen und andere (wieder) eröffnet worden; bei den Autozügen wurde das Netz sogar drastisch zusammengestrichen, worauf dann die Fahrgastzahlen zurückgingen. Diese Abfolge von Ursache und Wirkung lässt sich für das Autozugterminal in Lörrach über 20 Jahre hinweg nachverfolgen: nachdem die DB Verbindungen einstellte, sank die Fahrgastzahl; richtete die DB neue Verbindungen ein, stieg sie.
Man muss ganz klar sagen: Das Angebot an Verbindungen richtet sich nicht nach der Nachfrage, sondern nach anderen Faktoren (Trassengebühren, Wagenumläufe, politische Prioritäten).
Außerdem muss bei Zahlen, die der DB-Konzern veröffentlicht, immer gefragt werden, ob diese sich nur auf den Nachtverkehr oder auf Nacht- und Autozüge beziehen. Wir haben mehrmals erlebt, dass mit dem Rückgang bei Autozügen die Steigerung im Nachtzugbereich verdeckt werden sollte.
Lassen Sie uns gerne einmal den Bedarf an solchen Zügen erörtern! Eine Anhörung des Ausschusses könnte da einiges an Informationen erbringen: Ältere, Menschen mit Flugverbot, Familien mit Kindern, Motorradfahrer, Geschäftsreisende mit Abendtermin in der Stadt A und Frühtermin in der Stadt B, Umweltbewusste, Urlauber mit Europanetzkarte, Politiker, und und und.
Dann könnte man auch über Artikel 87 e Grundgesetz und das Aktienrecht debattieren. Denn wenn der Bund der DB vorschreiben kann, in Stuttgart einen funktionierenden Kopfbahnhof durch einen Tunnelbahnhof zu ersetzen, der nur wenig größer sein soll als der Nachfolger des Altonaer Bahnhofs, dann ist nicht einzusehen, warum der Bund nicht initiativ werden darf, wenn es um die Gewährleistung eines 24-Stunden-Betriebes auf den Schienen geht. Wir reden hier nicht von Details wie der Speisekarte im Bordrestaurant oder der Teamstärke auf den Zügen, sondern von Rahmenbedingungen. Da geht es zum Beispiel um die Ungerechtigkeit, dass eine Zugfahrt von Stuttgart nach Paris mit 19 % Umsatzsteuer belastet wird, während ein Flug von Echterdingen nach Charles de Gaulle umsatzsteuerfrei ist. Da geht es um eine Harmonisierung von Trassengebühren, um eine Anerkennung von technischen Normen und Lösungen, um Desaster wie das der »seitenselektiven Türsteuerung« im Italienverkehr zu vermeiden, und da geht es um die Frage, ob der Bund das Signal gibt, Ersatz für 34 ausrangierte Schlafwagen und diverse am Ende des Laufzyklus angekommene Autotransportwagen zu beschaffen.
Ich kann auch nicht erkennen, wie der Bund seiner Verpflichtung nachkommen soll, den Verkehrsbedürfnissen der Allgemeinheit Rechnung zu tragen, wenn er sich, wie Sie es sagen, nicht in die unternehmerischen Entscheidungen einmischen darf, sondern nur zuschauen soll, was der Vorstand der DB macht oder auch nicht macht.
Der Abgeordnete Donth hatte bei seiner Rede gegen eine Formulierung im Antrag der Linkspartei polemisiert, die auf die Bedeutung von Nachtzügen für den Zusammenhalt Europas abzielte:
»Mit dem Reduzieren der Nachtzugstrecken eine Spaltung Europas heraufzubeschwören, wie Sie es in Ihrem Antrag tun, ist sogar noch abenteuerlicher als die Fahrt im Orientexpress. Das Gegenteil ist doch der Fall: Die sinkende Nachfrage nach Nachtzügen ist doch gerade eine Folge des Zusammenwachsens Europas.«
Auch hier schlägt wieder die irrige Auffassung durch, Europa würde nur durch Flugreisen zusammenwachsen, bei denen man zwischen A und B nur Wolken und die Sonne sieht, aber nicht die Länder, die zwischen A und B liegen. Ich antwortete:
Dass die Nachfrage nicht sinkt, sondern steigt, haben wir schon gehört. Aber es geht darum, dass es mit Zügen immer schwieriger wird, Staatsgrenzen zu überwinden! Viel zu oft baut jede Bahn nur ein internes Hochgeschwindigkeitsnetz auf, und wer ins Nachbarland wechseln will, muss womöglich mehrfach umsteigen und auf abenteuerlichen Routen fahren – versuchen Sie es mal mit der Verbindung zwischen Frankfurt am Main und Lyon! Ein einziges Mal am Tag haben Sie da eine vernünftige Verbindung: TGV, knapp 6 Stunden, umsteigefrei. Ansonsten ein bis fünf Umstiege und Fahrten über Brüssel, Paris oder Basel, vielleicht auch mal Umsteigen in Offenburg und Strasbourg. Und keine einzige akzeptable Nachtverbindung. Bahnverbindungen nach Polen werden gekappt, Dänemark wird abgehängt, und so weiter. Als ich 1979 Abitur gemacht habe, gab es einen durchgehenden Zug von Paris nach Bukarest – also bis weit hinter Bratislava; heute müssen Sie zigmal umsteigen. Auch war der Fahrkartenkauf viel einfacher als heute.
Und weil es so schwierig geworden ist mit dem Überwinden von Grenzen per Bahn, profitieren die Billigflieger, die sich außerdem nicht mit dreimal wechselnder Signaltechnik und unterschiedlichen Fahrspannungen herumärgern müssen.
Das Büro des Abgeordneten fackelte nicht lange: Binnen 45 Minuten wurde meine Mail an die Konzernzentrale weitergeleitet. Ergebnis: Ich bekam eine Abmahnung – und an dem Tag, an dem mein Name auf der Liste der Sachverständigen für die Anhörung des Bundestagsausschusses zu Nachtzügen erschien, stellte der Konzern Strafanzeige wegen Verrat von Geschäftsgeheimnissen.
Ein Kommentar zu “rail blog 118 / Joachim Holstein”