Nachtzüge auf den »Horber Schienentagen« 2017
Ein knappes Jahr nach dem Ausstieg der DB hatte ich Gelegenheit, auf den »Horber Schienentagen über »Neue Perspektiven der Nacht- und Autozüge« zu sprechen:
Das selbstverschuldete Aus der Nachtzüge der Deutschen Bahn
Die privatisierte DB AG hat wenig für den Erhalt der Nachtzüge getan, aber viel für ihre Zerstörung. Wichtige und gut frequentierte Destinationen wurden gestrichen, Fahrzeiten wurden zunehmend unattraktiv gestaltet, die Internetbuchung war schwierig und teilweise unmöglich: Beim Nachtzug bekam man oft die Meldung »Preisauskunft nicht möglich« zu sehen, während der ICE oder IC problemlos zu buchen war. Bei baustellenbedingten Fahrplanabweichungen wurden manche Nachtzüge komplett aus der Buchung herausgenommen, anstatt wie bei Tageszügen das Überprüfen der Fahrzeiten kurz vor dem Reisetermin zu empfehlen.
Proteste von Beschäftigten und Fahrgästen
Im September 2014 demonstrierten Beschäftigte der für Nacht- und Autozüge zuständigen DB European Railservice GmbH (DB ERS) vor dem Bahntower und informierten auf der Bundespressekonferenz. Als Anfang November 2014 der Nachtzug von und nach Kopenhagen gestrichen wurde, gab es einen großen Flashmob im Kopenhagener Hauptbahnhof. Als Mitte Dezember der Parisverkehr eingestellt wurde, gab es in Hamburg, Berlin, Hannover, München und Paris eindrucksvolle Proteste.
2015/2016: neues Nachtzugkonzept erfolgreich, aber mittendrin gestoppt
Im Januar 2015 hatte DB-Vorstand Ulrich Homburg dem Verkehrsausschuss des Bundestages mitgeteilt, man verzeichne eine stabile Nachfrage nach Nachtzügen, arbeite an neuen Konzepten und werde, wenn diese erfolgreich seien, weiter Nachtzüge fahren. 2015 wurde ein neuer Liegewagentyp mit Einzelkabinen entwickelt, dessen Modell in Frankfurt Politikern, Medienvertretern und einzelnen Mitarbeitern vorgeführt, aber nicht öffentlich ausgestellt wurde. Für das Fahrplanjahr 2016 gab es eine kleine – einheitliche Fünferbelegung im Liegewagen – und eine große Änderung: die Reservierungspflicht in Sitzwagen wurde aufgehoben, die auf manchen Linien abschnittweise vorhandenen »Pendlerwagen« wurden auf der gesamten deutschen Strecke mitgeführt und freigegeben, und auf manchen Linien wurde ihre Anzahl erhöht. Das Ergebnis: Im Zeitraum Dezember 2015 bis September 2016 stieg die Anzahl der Reisenden in den Nachtzügen um 14 Prozent, auf einigen Linien um über 50 Prozent im Vergleich zum entsprechenden Vorjahreszeitraum! Detaillierte Untersuchungen der DB zeigten, dass bei Verdoppelung und Verdreifachung der Anzahl der Sitzwagen sich auch die Anzahl der Sitzwagenreisenden verdoppelte und verdreifachte. Die DB bezeichnete das als »Zuwachs der Nachfrage« – in Wirklichkeit war die Nachfrage schon vorher da, konnte aber nicht in ausreichendem Maße befriedigt werden.
Die Zahlenmanipulationen der DB
Die DB hatte immer wieder verkündet, die Fahrgastzahlen in den Nachtzügen seien rückläufig; genannt wurden ein »Rückgang auf 1,4 Millionen Reisende« und ein »Anteil von nur einem Prozent Nachtzugreisenden« am Fernverkehr. Eine Grafik zeigte drei Balken mit 2,0 Mio. Nachtzugreisenden 2009, 1,8 Mio. 2011 und den schon erwähnten 1,4 Mio. Reisenden 2013. Der Wirtschaftsausschuss der DB ERS fand aber heraus, dass dies nur die Reisenden in den reservierungspflichtigen Schlaf-, Liege- und Ruhesesselwagen waren, und forderte die Reisendenzahlen in den »IC-Pendlerwagen« an. Die DB lieferte folgende Zahlen: 2010: 781.000, 2011: 1,037 Mio., 2012: 1,173 Mio., 2013: 1,204 Mio. Sitzwagengäste ohne Reservierung – eine Steigerung um sage und schreibe 54 Prozent in drei Jahren!
Warum las man davon nichts in den Verlautbarungen der DB, die doch sonst jeden Passagierrekord vermeldete, etwa für die ICEs nach Amsterdam (nach Einstellung des Nachtzuges)? Korrekterweise hätte die DB für 2013 nicht 1,4 Mio., sondern 2,6 Mio. Nachtzugreisende angeben müssen, also fast das Doppelte!
Die realen Zahlen straften auch die Negativpropaganda von nur einem Prozent Nachtzuganteil Lügen, denn entscheidend ist nicht die Kopfzahl der Reisenden (da kommt übrigens der ICE nur auf 3,5 Prozent). Die ÖBB nennen stets den Umsatzanteil: Nachtverkehr 17 Prozent. Übliches Maß für die Beförderungsleistung sind die Personenkilometer. Da die durchschnittliche Reiseweite in Schlaf- und Liegewagen mit 700 km deutlich länger ist als in Tageszügen mit 280 km, erbringen die von der Bahn eingeräumten 1,4 Mio. Reisenden rund 2,5 Prozent der Beförderungsleistung. Nimmt man bei den unterschlagenen 1,2 Mio. Sitzwagenreisenden die gleichen 280 km Reiselänge wie in Tageszügen an, dann kommen die Nachtzüge auf insgesamt 3,5 Prozent der Beförderungsleistung im Fernverkehr. Wenn das ein »Nischenprodukt« ist – was ist dann der ICE?
Das Nachtzugnetz der ÖBB 2017
Die ÖBB führten 2017 ihre bestehenden täglich verkehrenden Nachtzüge von Wien nach Hamburg und Düsseldorf – beide mit Automitnahme – bis Nürnberg gemeinsam und tauschten dort Kursgruppen mit einem neuen Zug aus Innsbruck, so dass die Verbindungen Innsbruck-Hamburg und Innsbruck-Düsseldorf – ebenfalls mit Fahrzeugmitnahme – hinzukamen. Damit wurden die CNL der DB München-Hamburg und München-Amsterdam mehr oder minder ersetzt, allerdings wurden Ulm, Stuttgart und Mannheim dabei abgehängt. Ferner übernahmen die ÖBB den Nachtzug Zürich-Berlin und verlängerten ihn bis Hamburg, womit die Nachtverbindungen aus der Schweiz nach Kassel, Göttingen und Hannover wegfielen. Die drei italienischen Destinationen wurden beibehalten, allerdings wurden die Züge nach Rom und Mailand wie zuvor schon der Zug nach Venedig via Salzburg und Villach geführt, so dass seitdem keine Nachtverbindung mehr über Innsbruck und den Brenner besteht.
Neben den genannten Lücken und dem kompletten Wegfall der Niederlande bedeutete dies den Verlust von drei wichtigen Nachtverbindungen: Köln-Berlin (mit Weiterfahrt nach Warschau und Prag), Zürich-Köln-Amsterdam und Zürich-Dresden-Prag.
Die ÖBB zogen im Herbst 2017 ein Fazit des ersten Dreivierteljahrs, nachdem ihr Fernverkehrs-Chef Kurt Bauer dem Verkehrsausschuss des Bundestages schon bei einer Anhörung im Februar 2017 einen erfreulichen Beginn vermelden konnte. Wichtigstes Ergebnis: mit rund 1,4 Mio. Reisenden auf den »deutschen« Linien wurden die Erwartungen erfüllt, schwarze Zahlen geschrieben und der Nachtzuganteil auf 20 Prozent des Fernverkehrsumsatzes gesteigert. Das geschah trotz des Tunneleinsturzes von Rastatt, durch den die ÖBB rund 30.000 Fahrgäste verlor.
Die ÖBB haben sich nicht öffentlich zur Qualität ihres Subunternehmers Newrest Wagons-Lits Austria geäußert, der das Personal auf den Nightjets stellt. Mehrfach fuhren Züge mit großer Verspätung ab, weil das Personal zu spät oder nicht vollzählig zum Dienst erschienen war; die Fluktuation ist hoch, Mitarbeiter kündigen teilweise von unterwegs fristlos, weil sie die Nase von den Arbeitsbedingungen, dem Betriebsklima und der Entlohnung voll haben: der Tarifgrundlohn liegt nur wenig höher als 7 Euro pro Stunde. Während manche Reisende die eventuell durch Trinkgeldaffinität bedingte Freundlichkeit der Stewards lobten, berichteten andere entsetzt, dass das Zugpersonal minutenlang die Sirene der Brandmeldeanlage ignorierte. Auch mangelnde Deutschkenntnisse wurden kritisiert. Hier zeigt sich, dass die ÖBB gut daran getan hätten, im Zuge eines sauberen Betriebsübergangs den Mitarbeitern der DB ERS ein Übernahmeangebot zu machen.
Rastatt und der Nachtzug Hamburg-Berlin-Karlsruhe-Zürich
Während der Streckensperrung zwischen Rastatt und Baden-Baden hatte die DB einen Busverkehr eingerichtet, durch den die Fahrgäste ihre Reise mit einem Zeitverlust von ein bis zwei Stunden absolvieren konnten. Der ÖBB-Nachtzug Hamburg-Zürich wurde jedoch komplett gestrichen, so dass auch die nächtlichen Verbindungen etwa zwischen Berlin und Frankfurt oder Erfurt und Mannheim wegfielen, für deren Nutzer überhaupt nicht einsehbar war, warum sie unter dem Katastrophenmanagement von Rastatt leiden mussten. Die Erklärung ist ebenso schlicht wie peinlich für die DB: da die Gäubahn wegen Bauarbeiten gesperrt war und die Strecke Tübingen-Horb für Güterzüge reserviert wurde, gab es keine Möglichkeit, den Nachtzug über Stuttgart und Singen umzuleiten. Und der Plan der ÖBB, die beiden Zuggarnituren zwischen Hamburg und Karlsruhe/Rastatt pendeln zu lassen, wurde vereitelt, weil die DB nicht bereit oder nicht in der Lage war, die dafür in Hamburg notwendigen Rangierleistungen für die Komposition dieses Pendelzuges aus dem aus Wien bzw. Innsbruck kommenden Wagenmaterial durchzuführen.
Zukunftsaussichten der ÖBB-Nachtzüge
Die ÖBB haben betont, dass sie durchaus bereit sind, ihr Liniennetz zu erweitern. Dies hänge von der wirtschaftlichen Entwicklung und den Rahmenbedingungen ab, vor allem von den Trassengebühren, die zwar 2018 in den Nachtstunden generell sinken, aber in den Tagesrandlagen steigen. Neue Fahrzeuge stehen aber erst 2020/2021 zur Verfügung, wenn die ÖBB für den Italienverkehr Rollmaterial brauchen, das den dann dort geltenden Sicherheitsvorschriften genügt. Bestellt sind 91 Wagen, mit denen 13 Züge gebildet werden sollen, die jeweils aus zwei Schlafwagen, drei Liegewagen, einem Multifunktionswagen mit Behindertenabteil und Fahrradmitnahme sowie einem Steuerwagen bestehen.
Die in ungefähr gleicher Anzahl freiwerdenden Wagen stünden dann als Ersatz für auszumusterndes Rollmaterial, aber auch für neue Verbindungen zur Verfügung. Die Wunschliste ist relativ naheliegend: Vertreter aus Dänemark und Frankreich wünschen Verbindungen mit Kopenhagen und Paris (zumindest mit Straßburg), für Deutschland sind es die Linien Köln-Berlin, (Amsterdam-)Köln-Zürich, Zürich-Dresden (über Stuttgart?) und Berlin-München, denn selbst die neuen ICE-Sprinter werden es nicht schaffen, so früh anzukommen wie der ehemalige Nachtzug der DB. Bedarf besteht auch auf der Strecke zwischen Wien/Budapest und Berlin, wo zum Fahrplanwechsel im Dezember 2017 der ungarische Euronight »Metropol« auf den nördlichen Endbahnhof Prag verkürzt wird.
Verpasste Chancen
Das Streichen der Nachtverbindung Budapest/Wien – Berlin ist ein bezeichnendes Beispiel dafür, wie Bahnunternehmen den Transportbedarf ignorieren und ihre Chancen am Markt nicht wahrnehmen. Seitdem die Pleite von Air Berlin absehbar war, konnte man sich ausrechnen, welche Nachfrage nach Alternativen auf den »Rennstrecken« dieser Fluglinie entstehen würde. Neben Wien-Berlin betraf dies auch innerdeutsche Strecken – die DB hat das sehr wohl erkannt und äußerte sich im November 2017 ganz offen gegenüber der Presse: Wegen der um bis zu 50 Prozent gestiegen Ticketpreise wichen die Flugreisenden auf die Bahn aus: »Aktuell verzeichnen wir einen sehr positiven Buchungsverlauf für die nächsten Monate von mehr als zehn Prozent«, betroffen seien vor allem »die Verbindungen von Berlin nach München sowie Köln und Düsseldorf, außerdem von München nach Köln oder Düsseldorf«. Man gehe davon aus, dass »insbesondere Geschäftsreisende … auf die Züge der Deutschen Bahn wechseln« würden, und setze »große Hoffnungen … auf die neue Hochgeschwindigkeitsstrecke von Berlin nach München«.
Als die DB 2014 diverse Szenarien für den Nachtzug entwarf, war hingegen ein Preisanstieg beim Fliegen – ebenso wie beim Fernbus – kategorisch ausgeschlossen worden. Über einen Wegfall von Flugkapazitäten hatte man nicht einmal nachgedacht. Und ausgerechnet das »hochpreisige« Kundensegment der Geschäftsreisenden war 2014 bei der Zielgruppenanalyse der Nachtzüge ausgeblendet worden.
Auf der ersten genannten Strecke von Berlin nach München fährt seit Ende 2015 kein Nachtzug mehr. Er wird jetzt schmerzlich vermisst, und mit seiner Ankunftszeit am frühen Morgen wird er auch von den neuen ICE-Sprintern nicht ersetzt werden können.
Auf der zweiten genannten Strecke von Berlin nach Düsseldorf und Köln fährt die DB seit Ende 2016 nachts nur noch mit Sitzwagen – das ist für Geschäftsreisende nicht akzeptabel; Sandra Maischberger äußerte sich Ende 2016 dazu sehr deutlich gegenüber der Presse.
Auf der dritten Strecke von München nach Köln und Düsseldorf fährt seit Dezember 2016 der Nachtzug der ÖBB, allerdings dauert die Fahrt jetzt zwei Stunden länger, so dass die Ankunftszeiten in Köln und Düsseldorf jetzt zwischen 8 und 9 Uhr liegen, was für manche Geschäftstermine schon zu spät ist; aus Richtung Süden fehlt auch der Halt in Bonn.
Wäre die DB ehrlich, müsste sie jetzt sagen: Die Abschaffung der Nachtzüge war ein Fehler, wir könnten zwischen Berlin und München sowie zwischen Berlin und Rhein/Ruhr jede Nacht mit drei, vier, fünf ausgebuchten Schlafwagen und einigen Liegewagen unterwegs sein.
Die Situation bei Autoreisezügen
Die DB hatte ihre treueste Kundschaft über Jahre hinweg vergrätzt. Autozüge wurden kurzfristig gestrichen, obwohl schon Buchungen vorlagen, die Gastronomie an Bord wurde zurückgefahren – der DB-Autozug war trotz großen Engagements der auf den Zügen eingesetzten Mitarbeiter ein lieblos gemanagtes und vernachlässigtes Produkt. Marktchancen wie den wachsenden Anteil an Motorradtouristen oder die Perspektive, für Elektro- und Hybridfahrzeuge eine Lademöglichkeit während des Bahntransports zu schaffen, wurden komplett ignoriert. Nach dem Ausstieg der DB aus ihrer letzten Linie Hamburg-Lörrach Ende 2016 betreibt die Firma BTE (BahnTouristikExpress) diese Verbindung weiter – und zwar erfolgreich und mit schwarzen Zahlen. Das Firmenkonglomerat aus MSM-Gruppe und Train4you hat ihr Autozugangebot ausgedehnt und fährt jetzt auch von Hamburg nach Lörrach, ferner Hamburg-München, Hamburg-Villach, Hamburg-Verona, Hamburg-Innsbruck und Düsseldorf-Verona. Das sind Strecken, die bei der DB zu den beliebtesten und rentabelsten gehören.
Hinzu kommen die ÖBB, die 2017 ganzjährig die Autobeförderung von Hamburg nach Wien und Innsbruck (jeweils täglich) sowie von Düsseldorf nach Wien (4x pro Woche) und Innsbruck (3x pro Woche) anboten; 2018 wird das Angebot auf täglich Hamburg-Wien und Düsseldorf-Innsbruck verschlankt, um Zuverlässigkeit und Pünktlichkeit zu erhöhen.
Politische Rahmenbedingungen
Dass die Bahn unter politischer Benachteiligung leidet, ist allen Beteiligten klar: volle Bemautung jedes gefahrenen Kilometers (anders als Fernbusse), volle Energiesteuer (anders als Flugzeuge), Vorgabe der Eigenfinanzierung im Fernverkehr (anders als bei den vielen subventionierten Flughäfen). Anstatt das umweltfreundlichste Verkehrsmittel zu bevorzugen oder ihm zumindest einen fairen Wettbewerb zu ermöglichen, wird es systematisch benachteiligt. Außerdem lehnte der Eigentümer mit Bezug auf das Aktiengesetz eine Einflussnahme auf die strategische Ausrichtung der Bahn ab. Ein Journalist schrieb dazu sinngemäß, bei einem Privatunternehmen sei es schlechterdings nicht vorstellbar, dass ein Eigentümer der Geschäftsführung freie Hand lasse, wenn diese dabei sei, den Laden vor die Wand zu fahren.
Aber es gibt neuerdings Anzeichen für eine Veränderung. Im Februar 2017 beschloss der Bundesrat den Entwurf für das seit der Grundgesetzänderung von 1994 überfällige Schienenpersonenfernverkehrsgesetz. Im selben Monat äußerten sich bei der Anhörung im Verkehrsausschuss die Vertreter von SPD und CDU erstmals eindeutig positiv zu Nachtzügen, während sie bei der vorigen Anhörung Anfang 2015 diese noch als Auslaufmodell für Nostalgiker abtaten. Hier half offenbar, dass ÖBB-Fernverkehrschef Kurt Bauer dem Ausschuss eine positive Bilanz der Nachtzüge seit der Übernahme vorlegen konnte. Im Juni 2017 schließlich, als nach über einem Jahr der Antrag der Linkspartei zu Nachtzügen im Bundestag zur Abstimmung stand (und wie zu erwarten abgelehnt wurde), nahm das Parlament einen nicht so weit gehenden Antrag der Regierungsparteien mit dem Titel »Kooperationsmodelle im Nachtzugverkehr stärken« (Bundestags-Drucksache 18/12363) an. Darin wird unter anderen festgestellt:
- Nachtzüge stellen umweltfreundliche Reiseangebote dar;
- der Kundenzuspruch wächst, die Qualität wird positiv beurteilt;
- DB Fernverkehr und DB Vertrieb verkaufen auch Nachtzugangebote anderer Bahnunternehmen;
- durch die Ende 2017 in den Nachtstunden sinkenden Trassenpreise verbessern sich die betriebswirtschaftlichen Rahmenbedingungen der Nachtzüge;
Die Bundesregierung wird – ein Novum! – aufgefordert, auf den Bahnvorstand dahingehend einzuwirken, dass dieser
- die bestehenden Kooperationen aufrechterhält und eine Ausweitung des Streckenangebotes prüft;
- nicht mehr benötigtes Rollmaterial nicht verschrottet, sondern zum Kauf anbietet; und
- den Beschäftigten der DB ERS alternative Beschäftigungsmöglichkeiten anbietet.
Ferner soll die Bundesregierung
- einen diskriminierungsfreien Zugang für alle potentiellen Nachtzugbetreiber sicherstellen;
- sich auf EU-Ebene für Rahmenbedingungen zum Abbau bestehender administrativer, technischer und wettbewerblicher Hemmnisse grenzüberschreitender Verkehre einsetzen;
- sich für ein internationales, einheitliches Buchungssystem einzusetzen.
Und schließlich wird die Bundesregierung verpflichtet, in jeder Legislaturperiode einen Bericht zur Entwicklung des Nachtzugverkehrs vorzulegen und dabei Fahrgastzahlen und Fahrpreise zu nennen sowie Angaben zu den intermodalen Wettbewerbsbedingungen zu machen.
Damit wurden einige Forderungen von Beschäftigten, Gewerkschaften, Verkehrs- und Umweltverbänden sowie anderen Bahnexperten aufgegriffen. Der in jeder Legislaturperiode vorzulegende Bericht bietet eine gute Gelegenheit für inhaltliche Debatten und öffentliche Diskussion nicht nur zu Nacht- und Autozügen, sondern zur Verkehrspolitik insgesamt.
Ein Blick ins Ausland
Im Gegensatz zu Osteuropa wurden zwischen Lappland und Andalusien in den letzten Jahrzehnten viele Nachtzüge eingestellt. In aller Regel wurde bei ihrem Ableben »nachgeholfen«, fast immer mit denselben Methoden: unterlassene Modernisierung, Verschlechterung der Fahrpläne, regelrechtes Verstecken in den Fahrplanmedien, komplizierte Buchungsprozeduren, verzerrte Wirtschaftlichkeitsberechnungen und eine nicht zu unterschätzende öffentliche Stigmatisierung durch Politik und Bahnbetreiber als »veraltet« oder »unmodern«.
In einigen Ländern gibt es positive Entwicklungen. Die Slowakei bekennt sich zum Nachtverkehr und will ihn bis nach Wien durchbinden. In Großbritannien wird kräftig in den »Caledonian Sleeper« investiert. In Schweden konnten Nachtzüge gerettet werden, indem ihr Fahrplan optimiert und neue Serviceangebote eingeführt wurden.
Auf der anderen Seite fordert der spanische Netzbetreiber fast eine Verdreifachung der Trassengebühren von Nachtzügen, das wäre quasi eine Anhebung auf das Niveau von Hochgeschwindigkeitszügen, obwohl die Nachtzüge bei gleicher Länge viel weniger Reisende befördern und wegen ihrer geringeren Geschwindigkeit die Gleise viel weniger beanspruchen. Eine solch drastische Anhebung steht im Widerspruch zur einschlägigen EU-Direktive, die prohibitive Gebühren verbietet und ihre Absenkung auf die Grenzkosten anregt, um Verkehre zu fördern.
In Frankreich haben Netzbetreiber und SNCF mit ähnlichen Methoden wie die DB gearbeitet, um die Nachtzüge zu diskreditieren und zum Verschwinden zu bringen: schlechte Auffindbarkeit im Buchungssystem, Vernachlässigung des Wagenmaterials, überproportionale Belastung mit Fixkosten – und auch hier sind geschäftsschädigende Äußerungen des Bahnchefs zu verzeichnen: Guillaume Pepy behauptete im März 2017, es gäbe keine Nachtzüge mehr und »als es noch Nachtzüge gab«, seien diese nur freitags und sonntags mit mehr als ein paar Gästen gefahren. Nun, erstens gab es sie immer noch, und zweitens stand auch an Donnerstagen in Paris Austerlitz auf der Anzeigentafel: Briançon – ausgebucht; Nizza – ausgebucht; Latour de Carol – ausgebucht; Port Bou – ausgebucht; Rodez – ausgebucht.
Die sehr aktiven und gut vernetzten Unterstützer der französischen Nachtzüge haben eine Studie zu Nachtzügen vorgelegt, haben zahlreiche Proteste und eine öffentliche Konferenz in Perpignan organisiert, an der auch Vertreter des europäischen Nachtzug-Netzwerks »Back on Track« teilnahmen, und sind mit Politikern vom regionalen Vertreter bis hin zu EU-Abgeordneten im Gespräch. Für Ende Januar 2018 hat »Back on Track« dazu eine Fachkonferenz im EU-Parlament in Brüssel organisiert.
Die französischen Mitstreiter haben sich von einer der berühmtesten Fabeln von Jean de la Fontaine – der von der Schildkröte, die ein Wettrennen mit dem Hasen gewinnt – zum Slogan inspirieren lassen: »Es kommt nicht darauf an, möglichst schnell unterwegs zu sein; es kommt darauf an, unterwegs schlafen zu können«. Oder anders: »Paris ist von Südfrankreich nur eine Stunde entfernt – mit dem Nachtzug: eine halbe Stunde bis zum Einschlafen, eine halbe Stunde fürs Frühstück«. Sie machen so auf einen der wichtigsten Vorteile der Nachtzüge aufmerksam: mit ihnen ist die Reisezeit keine verlorene Zeit, sondern gewonnene Zeit. Das gilt überall, und anstatt Milliarden für ein paar eingesparte Minuten auf Hochgeschwindigkeitsstrecken auszugeben, wäre es wesentlich sinnvoller, für ein paar Millionen Euro ein Nachtzugnetz zu unterhalten, mit dem man mehrere Stunden gewinnt und nicht nur Metropolen und verschiedene Regionen des eigenen Landes, sondern auch verschiedene Länder Europas miteinander verbindet.