Durchsetzungsmechanismen und Trugschlüsse bei Klimakillerprojekten nach dem System Stuttgart21
Tatort Köln: Im RailBlog 116 haben wir die Rede von Rolf Beierling-Hémonet vom Bündnis Verkehrswende Köln, aufgegriffen, die er auf der 665. Montagsdemo gehalten hatte: Monströse Visionen vom Umkrempeln der halben Stadt und immer wieder Tunnelbau. Motto auch des Kölner Widerstands: Oben bleiben!
Tatort Frankfurt/M: Zwei Montagsdemos später, nach der furiosen 666. Jubiläums-MoDemo spricht Dipl.-Ing. Karl-Heinz Peil, vom Bündnis Verkehrswende Frankfurt auf der 667. MoDemo über die Tunnelpläne der DB in Frankfurt.
Von der DB Netz wurde dort vor zwei Jahren eine sogenannte Machbarkeitsstudie für das Projekt Fernbahntunnel als Ergänzung des bestehenden Kopfbahnhofs vorgelegt. Karl-Heinz Peil hat nicht nur die darin enthaltenen Ungereimtheiten und offenen Fragen dokumentiert, sondern nach langer Vorarbeit Anfang April dieses Jahres zusammen mit Hans Heydemann von den Stuttgarter Inhgenieure22 und Dr. Christoph Engelhardt/http://wikireal.info/wiki/Hauptseite eine fachtechnische Bewertung des darin enthaltenen Brandschutzes vorgenommen. In seinem Redebeitrag geht es aber mehr um die wohl typische Kommunikation der DB Netz für dieses Großprojekt.
Auch Peils Rede endet: „Unsere Aussage – auch in Frankfurt – sowohl zum Brandschutz wie auch zum Klimaschutz ist ganz einfach und eindeutig: Oben bleiben!“
Tatort München: Am 18. Juli 2023 enthüllt der Bayrische Rundfunk in einem Radiobeitrag eine bisher unter der Decke gehaltene weitere Kostensteigerung des Projekts 2. Stammstrecke von irgendwann 3.2 Mrd.€ auf jetzt 14 Mrd.€. Bauzeitverlängerung: weitere 8 Jahre. Ausführlich beschreibt der Beitrag die Geschichte der politischen Manipulationen, der zurückgehaltenen Informationen und Lügen, die es haben soweit kommen lassen. Dass „die 2. Münchner-S-Bahn-Stammstrecke aller Voraussicht nach teurer wird als der neue Berliner Flughafen und als der unterirdische Bahnhof Stuttgart 21“ stimmt leider nicht. Zu den bisher eingeräumten, lange nicht aktualisierten 10 Mrd. € für das bisherige Stuttgart21 summieren sich die dazugehörige Neubaustrecke nach Ulm mit 2022 eingeräumten Kosten von 4 Mrd.€ und vor allem die sogenannten S21-Ergänzungsprojekte („Zweites Stuttgart21“ mit weiteren 47km Tunnel, weiteren THG-Emissionen, weiteren 5.2 Mrd.€ Kosten und Bauzeitverlängerung bis Ende der 30er Jahre. Stuttgart21 hält weiter den traurigen Rekord des teuersten und dümmsten Bahnprojekts in Deutschland.
Tatorte dieser Art gibt es viele. Im Aktionsbündnis Bahn-Bürgerinitiativen ABBD haben sich allein in Deutschland 24 Bürgerinitiativen gegen sinnlose bis destruktive, klimabelastende Bahnprojekte zusammengeschlossen. Zahllose weitere gibt es europa- und weltweit. Der Bürgerbewegung gegen S21 am nächsten stehend sind sicher die großen langjährigen Proteste der NoTAV-Bewegung gegen den Tunnelbau von Lyon nach Turin, quer durch die Alpen. Vom 29. bis 30. Juli findet in Venaus im Susa-Tal wie jedes Jahr das Alta-Felicita-Festival mit Tausenden Besuchern*innen, alt -und jung, aus vielen Ländern statt.
Die Bürgerbewegung gegen Stuttgart21 hat von Anfang an ihren Protest nicht nur auf diesen einen Bahnhof bezogen gesehen. Die Rede war immer vom „System Stuttgart21“, von „Stuttgart21 überall“ von „Projekten à la Stuttgart21“. Die Berichte aus Köln, Frankfurt, München und all den anderen Projekten, die auch in diesem RailBlog diskutiert werden, zeigen die Gemeinsamkeit, was die dahinterstehenden ökonomischen Interessen und die politisch skrupellosen Durchsetzungsstrategien betrifft.
Was aber erklärt, dass diese Projekte selbst jetzt, in Zeiten eskalierender Klimaentwicklungen, unbeirrt fortgeführt und immer wieder neu aufgelegt werden?
Zwei Thesen dazu:
Projekte à la Stuttgart21 laufen unter dem Radar der offiziellen Klimabilanzen. Die Stadt Stuttgart etwa rühmt sich, bis 2035 klimaneutral zu sein. Diese bisher ohnehin vage Versprechung kann nur aufgehen, weil die von S21 ausgelösten Emissionen, die die größte Klimabelastung der Stadt darstellen dürften, nicht einbezogen werden. Diesem effektiven Verdrängungsmechanismus leistet die offizielle statistische Erfassung von Treibhaugasemissionen Vorschub. Zur Vermeidung von Doppelbuchungen werden Emissionen dort, wo sie entstehen und nicht dort, wo sie verursacht werden, berechnet. Also die Emissionen des durch S21 verbrauchten Stahlbetons werden in Stahlwerken und Betonfabriken gemessen, die im Emissionshandel entsprechend belastet werden, aber nicht bei der Stadt Stuttgart und ihren Projektpartnern, die diese klimabelastenden Verbräuche auslösen, also die eigentlich Schuldigen sind. Die Emissionen der Tausenden LKW-Fahrten werden bei den Dieselverkäufen verbucht, nicht bei Stuttgart21. Dringend zu fordern wären also projektbezogene Erfassungen der jeweiligen Klimabelastungen.
Zum Zweiten werden die negativen Klimabilanzen von Projekten à la Stuttgart21 dadurch verdeckt, dass es Bahnprojekte sind. Wer wollte der Forderung nach Verlagerung von Ressourcen von der Straße auf die Schiene widersprechen? Eine undifferenzierte Verlagerung von Mitteln ohne unabhängige Klima- und Umweltverträglichkeitsprüfung lenkt die Bahnmittel aber geradewegs in klimadestruktive Milliardenlöcher wie die Vielen hier angesprochenen. Übersehen wird dabei, dass im Grenzfall die Klimabilanz eines Kilometers Bahntunnelstrecke auf einer Hochgeschwindigkeitstrasse unter Einbeziehung der Grauen Energie, die bei der Erstellung anfällt, negativer ausfällt als die eines Flugkilometers. Es geht nicht nur darum, mehr Geld in die Schiene zum pumpen, sondern um Umschichtung der Mittel in Richtung starke Schiene und Klimabahn.
Siehe hierzu taz-Beitrag von Auhagen/Sauerborn.