Interview mit ZEIT ONLINE zum sog. Schienengipfel
Der vollmundig angekündigte „Schienengipfel“ mit Minister Wissing und Bahninfrastrukturchef Huber ließ die von Gipfeln eigentlich immer besonders gute Aussicht und Fernsicht schmerzlich vermissen. Man
muss befürchten, dass am Tag des Schienengipfels gerade Nebel oder Wolken die Fernsicht behinderten.
Sonst hätten die Gipfelstürmer erkennen müssen, dass ihr Blick nicht bis an den Rand des Schienennetzes
reicht, wo viele Strecken in einem erbarmungswürdigen Zustand sind und keineswegs von der
sogenannten Generalsanierung profitieren werden. Denn die Generalsanierung konzentriert sich ja nur aufwenige Hauptkorridore und lässt den Rest des Netzes weiter verkümmern.
Verkehrswende geht anders. Sie kümmert sich um die Bahn im ländlichen Raum, in den vielen Klein- und
Mittelstädten. Sie sorgt für viele schnelle Reaktivierungen. Sie reduziert die Ausbaustandards, um schnell
mehr Netz zu ermöglichen. Sie erhöht die Kapazität durch Wiedereinbau der vielen im Zuge der
gnadenlosen Rationalisierungs- und Sparübungen der sogenannten Bahnsanierer Dürr, Mehdorn und
Grube herausgerissenen Weichen. Sie verteilt die Investitionen dezentral im ganzen Netz. Und sie beendet die Monopolisierung der Investitionen auf wenige Großprojekte der Hochgeschwindigkeit und
Immobilienspekulation an wenigen Großbahnhöfen. Verkehrswende sorgt für ausreichend Personal- und
Materialreserve, um den bevorstehenden Ansturm neuer Nachfrage adäquat zu bewältigen.
Zu all diesen Themen hat der Sprecher von „Bürgerbahn – Denkfabrik für eine starke Schiene“, Heiner Monheim, dem Magazin ZEIT-Online am Freitag ein Interview gegeben, das wir hier spiegeln.
ZEIT ONLINE: Herr Monheim, die Deutsche Bahn will per sogenannter Generalsanierung bis 2030 für 80 Milliarden Euro das Schienennetz erneuern – es sei alternativlos, den Sanierungsstau endlich zu beseitigen. Für Vielfahrer wie Sie eine gute Nachricht?
Heiner Monheim: Nein, Der Begriff ist völlig falsch. Generalsanierung klingt so, als würde das gesamte Netz saniert. Tatsächlich erneuert die DB nur die Korridore für wenige Hochgeschwindigkeitsstrecken. Für die Fahrgäste wird das eine lange Durststrecke. Denn die DB will will diese Korridore nacheinander für jeweils mehrere Monate voll sperren. So werden viele Reisende in diesen Korridoren mit Schienenersatzverkehr oder auf langen Umwegen durch die Gegend bummeln.
ZEIT Online: Sind diese Hochgeschwindigkeitsstrecken nicht wichtig? In den ICE-Zügen quer durchs Land sitzen doch weit mehr Menschen als im Provinzzug.
Monheim: Nein, das Gegenteil ist richtig. Die große Mehrzahl der Bahnreisenden sind Nahverkehrskunden in S-Bahnen, RB und RE Zügen. Und deshalb ist wichtig, dass das ganze Netz saniert und ausgebaut wird und nicht nur wenige Korridore. Die Verkehrswende muss eben auch im ländlichen Raum stattfinden. Ein paar Hochgeschwindigkeitszüge auf wenigen Korridoren bringen wenig für die Verkehrswende.
ZEIT Online: Schnelle ICE-Züge könnten dazu beitragen, dass sich weniger Menschen in ein Flugzeug setzen. Frankreich konnte einige Inlandsflugstrecken verbieten, weil es dort mit den schnellen TGV adäquaten Ersatz gibt. Ein Vorbild?
Monheim: Den Luftverkehr zu reduzieren, ist klimapolitisch wichtig. Aber für die deutsche Verkehrswende ist das marginal. Sie fliegen ja nicht in den Kindergarten, Sie fliegen auch nicht mal eben zum Einkaufen. Sie müssen also vor allem im Bereich der kurzen und mittleren Distanzen möglichst viel Autoverkehr ersetzen, durch gute Bahnangebote. Ubrigens hat der TGV beim Autoverkehr in Frankreich wenig erreicht. Dort dominieren weiterhin die Staus, wie in Deutschland. Darum brauchen wir eine Flächenbahn, die auch alle ländlichen Regionen anbindet.
ZEIT Online: Auch dort ist Pünktlichkeit ein Problem. Wie kann die Bahn im Regionalverkehr schneller werden?
Monheim: Also erstens ist der Nahverkehr viel pünktlicher als die Fernbahn mit IC und ICE. Und leidet trotzdem unter dem generellen Verspätungsimage der Bahn. Und zweitens ist für die Kapazität des Netzes schädlich, wenn die Geschwindigketisdifferenzen zwischen Güterbahn, Nahverkehr und Fernverkehr zu groß werden. Hochgeschwindigkeitsverkehr auf der Schiene kostet viel Kapazität und bremst den Güterverkehr und Nahverkehr gandenlos aus. Eine Harmonisierung der Geschwindigkeiten und eine Kapazitätssteigerung im Netz durch viel mehr Weichen und zweigeleisigen Ausbau eingleisiger Strecken sind die entscheidenden Hebel für eine bessere Bahn. Warum haben wir auf den Autobahnen so viele „Staus aus dem Nichts“? Weil es zu viele Raser gibt. Das ist reine Physik. Nur wenn die Geschwindigkeit einigermaßen harmonisiert ist, fließt der Verkehr. Die Fixierung auf die „Porsche-Bahn“ verhindert die dringend nötige Verkehrswende. Denn Hochgeschwindigkeit kostet wahnsinnig viel Geld für die Fahrwege mit vielen Brücken und Tunnels, hohen Lärmschutzwänden. Und sie verbaucht sehr viel Energie. Eine Hochgeschwindigkeitsstrecke kostet ein Vielfaches einer gewöhnlichen Bahnstrecke. Und ünrigens: Wir bauen ja auch keine Autobahn nur für Porsches und daneben eine für Kleinwagen und noch eine für Lastwagen.
ZEIT Online: Im Ernst, Sie wollen die Bahn langsamer machen?
Monheim: Nein, ich will die ganze Bahn schneller machen, also die vielen Langsamfahrstrecken beseitigen, endlich den integralen Taktfahrplan einführen, die Regionalbahnen beschleunigen und die langen Wartezeiten der Güterbahn abbauen. Ganz schlimm sind die langen Wartezeiten auf eingleisigen Strecken und sonstigen Engpaßstrecken. Also wird die Bahn schneller durch Abbau der Verlustzeiten und nicht durch Jagd nach Geschwindigkeitsrekorden. Mit mittleren Geschwindigkeiten von 120 bis 160 km/h ist die Bahn absolut konkurrenzfähig zum Auto- und Lkw-Verkehr. Die Schweiz verzichtet auf Hochgeschwindigkeit und ist damit sehr erfolgreich.
ZEIT Online: Die Pünktlichkeit liegt dort bei 90 Prozent…
Monheim: Die hatten wir in Deutschland auch mal, bevor das Netz kaputtgespart wurde. Das alte Deutschland hatte in den 1920er Jahren mal 74.000 Kilometer Bahnnetz. Die Hälfte davon wurde stillgelegt. Nun müssen wir viele tote Bahnstrecken reaktivieren, wir brauchen wieder die vielen kleinen Bahnhöfe auf dem Land und die vielen Güterschuppen und Gütergleise.
ZEIT Online: Setzen sich dann die autoverliebten Deutschen in die Bummelbahn?
Monheim: Ja natürlich. Auch die Schweiz hat viele autoverliebte Menschen. Die sitzen trotzdem viel mehr in Zügen als das deutsche Autovolk. Aber auch deutsche Automenschen sind ja reifer geworden. Es gibt fast keinen mehr, der alles mit dem Auto macht. Viele Leute sind aufs Fahrrad umgestiegen, sie kombinieren unterschiedliche Verkehrsmittel. Dafür brauchen wir auch wieder den Post-Bus und den Bahn-Bus als Zubringer zur Schiene– zwei einst sehr erfolgreiche Teilsysteme, die leider auch stillgelegt wurden. Und wir brauchen eine dezentrale Flächen-Bahn, die im ganzen Land Verkehrsleistungen erbringt für den Personen- und den Güterverkehr. 80 Prozent aller Gütergleise in Gewerbegebieten und Industriebetrieben wurden wegrationalisiert. Das ist übrigens der „Mehdorn-Effekt“. Ex-Bahnchef Hartmut Mehdorn wurde einst gefeiert als der große Sanierer. In Wahrheit war Mehdorn der Totengräber der Deutschen Bahn.
ZEIT Online: Bis die vielen toten Strecken reaktiviert sind, ist Geduld gefragt: Der Deutschland-Takt, der Fern- und Regionalzüge perfekt aufeinander abstimmen soll, wird wohl erst 2070 kommen…
Monheim: Sagt Herr Theurer, der Beauftragte der Bundesregierung für die Bahn. Aber sein Deutschland-Takt wird zum Betrug. Denn er konzentriert sich auf Neu- und Ausbaustrecken des Hochgeschwindigkeitsverkehrs. Eigentlich war der Deutschland-Takt eine Erfindung des Nahverkehrs. Sattdessen geht es jetzt um Hannover-Hamburg oder Hamm-Bielefeldt oder irrsinnig teure Prestigeprojekte wie Stuttgart 21 oder Hamburg-Altona. Damit macht man den Deutschland-Takt aber kaputt. Denn der Deutschlandtakt muss vor allem den Nahverkehr optimieren.
ZEIT ONLINE: Wann wäre denn der Deutschland-Takt möglich, wenn sich der Ausbau wie von Ihnen gefordert auf die Fläche konzentriert?
Monheim: Ein echter Deutschland-Takt mit maßvollen Infrastruktur- und Geschwindigkeitsstandards könnte 2040 im ganzen Netz funktionieren. Dafür müsste jede Investition unter dem Vorbehalt des ‘Wie netzwirksam ist das?’ gestellt werden. Dann gäbe es statt weniger Großprojekte tausende kleine. Das erforderte aber, dass der Bund den Haushalt umschichtet: Der Straßenbau muss drastisch reduziert werden auf die Pflege des Bestandes. Straßen-Neubau ist völlig absurd in Zeiten des Klimaschutzes.
Infokasten: Wenn jemand die Deutsche Bahn kennt, dann Heiner Monheim: Der Verkehrswissenschaftler aus Kasseedorf in Holstein fährt jährlich 60.000 bis 100.000 Kilometer mit dem Zug. Der emeritierte Professor wirkte zuletzt an der Universität Trier und setzt sich für weniger Auto- und mehr Rad- und Fußverkehr ein und berät Kommunen und Verkehrsunternehmen bei der Mobilitätswende.
Heienr Monheim bringt genau das Problem der heutigen Bahn auf den Punkt. Es sit einfach unverstädnlich, warum die Poltiik das einfach nicht kapieren will. oder sind die Interessen der Tunnelbohmaschinenhersteller und der Bahnbauindustrie mehr wert, als die Interessen der Fahrgäste. Viele kleine Maßnahmen bieten auch deutlich weniger Risiken, wenn ein Projekt sich verzögert, oder nicht so läuft wie ursprünglich geplant. Noch ist Zeit zum Umsteuern!