rail blog 235 / Joachim Holstein

Was der Himmel so herabwirft

Es gibt Dinge, die kann man sich nicht ausdenken – es sei denn, man schreibt für den Postillon.

Da gab es am 6. und 7. Dezember zwei Pressemitteilungen zum Offenbarungseid der DB angesichts des Winterwetters im Großraum München:

»Es fährt kein Zug nach nirgendwo« ist für uns nicht hinnehmbar. Bayern ist Hochtechnologieland, kein Entwicklungsland. Dass wegen zu viel Schnee und Glätte tagelang der Bahnverkehr zum Erliegen kommt, ist für uns nicht akzeptabel. Die Bahn darf Millionen Menschen nicht so im Stich lassen. Wir erwarten klare Aussagen, wie es zu dem Totalausfall kommen konnte und mit welchen Infrastrukturmaßnahmen und Investitionen hier künftig nachgebessert und die bestehenden Probleme gelöst werden können.

Die Deutsche Bahn und die lokalen Verkehrsunternehmen hatten viele Tage Zeit, um den Betrieb wieder ordnungsgemäß herzustellen. Stattdessen fallen nach wie vor viele Zugverbindungen aus. Die Leidtragenden sind erneut diejenigen, die auf die Bahn als Verkehrsmittel angewiesen sind.

Nach dem Wintereinbruch ist … vor dem nächsten verpassten Pünktlichkeitsziel. Bei der Bahn kommt gerade alles zusammen, was zusammenkommen kann: fehlendes Personal, Bahnhöfe als Engpassstellen und vor allem eine sanierungsbedürftige Schieneninfrastruktur. Wir haben es mit einem Managementversagen der Deutschen Bahn zu tun!

Die Bahn pfeift aus dem letzten Loch!

Nein, diese Pressemitteilungen stammen nicht von einer der vielen Bürger- oder Fahrgastinitiativen, sie stammen auch nicht von einer bayrischen Kleinpartei, sondern – – – sie stammen von der Partei, die von Oktober 2009 bis Dezember 2021 den Bundesverkehrsminister stellte und seit 1957 durchgehend die bayrische Regierung stellt.

Sie glauben es nicht? Das kann doch nur ein Witz sein? Nein, das ist CSU im höchster Vollendung.

https://www.csu-landtag.de/lokal_1_4_1956_Bahn-Versaeumnisse-CSU-Fraktion-zitiert-DB-und-BEG-in-Verkehrsausschuss.html

https://www.csu-landtag.de/lokal_1_4_1957_Bahn-und-Schneechaos-CSU-Fraktion-bemaengelt-Managementversagen-der-DB.html

»Herr, wirf Hirn vom Himmel«, möchte man da rufen, aber wie wir alle wissen, ist der Münchner Dienstmann Alois Hingerl alias Engel Aloisius im Hofbräuhaus versackt, sodass die bayrische Staatsregierung von Eingebungen und Einsichten unbeleckt geblieben ist.

Ein betroffener Bürger (eingleisige, nicht elektrifizierte Bahnstrecke neben einer neu gebauten Autobahn) fragte übrigens sofort nach, ob denn die vier ehemaligen CSU-Minister Ramsauer, Dobrindt, Schmidt und Scheuer auch von der CSU in den bayrischen Verkehrsausschuss zitiert werden, um Rede und Antwort zu stehen. Und die örtliche Presse in Gestalt des »Münchner Merkur« sehnt sich nach der Bundesbahn:

»Alle reden vom Wetter – wir nicht«, das war seit 1966 lange Jahre der Slogan der Deutschen Bundesbahn. Ob Eis oder Schnee, auf die Bahn war irgendwie Verlass. Klar, es gab früher in Summe weniger Zugverbindungen. Aber es gab auch unbestreitbar mehr Kümmerer, Leute, die statt Betriebswirtschaft Eisenbahner im Betriebsdienst gelernt hatten – und die ihr Metier von der Pike auf verstanden.

Wir brauchen eine winterfeste Bahn – so wie früher.

Ein grandioses Video ist dieser Tage in Nürnberg entstanden: alles steht. Eine fährt.

Und da Nürnberg nicht nur der Geburtsort der deutschen Eisenbahnen, sondern auch des derzeitigen bayerischen Ministerpräsidenten ist, kann ich in diesem Blog tatsächlich aus dem Postillon zitieren:

https://www.der-postillon.com/2023/12/soeder-weltraumbahnhof.html

Er setzt die richtigen Prioritäten: Bayerns Ministerpräsident Markus Söder,in dessen Bundesland der öffentliche Nahverkehr komplett zusammenbricht, sobald es ein paar Zentimeter schneit, hat am Dienstag in seiner Regierungserklärung den Bau eines bayerischen Weltraumbahnhofs angekündigt.

Wann die ersten Raketen von Oberpfaffenhofen starten sollen und ob diese auch bei Schneefall per Straßenbahn erreichbar sein werden (»Oberpfaffenhofen, wir haben ein Problem!«), ließ Söder offen.

Aber auch dies ist keine Satire, sondern stammt aus Markus Söders Regierungserklärung vom 5. Dezember 2023:

Laut »Süddeutscher Zeitung« wurde der Konter schon in der Sitzung gesetzt:

Grünen-Fraktionschefin Katharina Schulze nahm die Weltraum-Pläne des Ministerpräsidenten zu Beginn ihrer Replik auf. „Ihre Mondlandungen in allen Ehren, aber für den Anfang würde mir ein Zug, der fährt, schon reichen“, sagte sie in Anspielung auf das Winterchaos bei der Bahn in Südbayern.

https://www.sueddeutsche.de/bayern/bayern-regierungserklaerung-soeder-genderverbot-afd-weltraumbahnhof-kuenstliche-intelligenz-1.6314292

Als ich 1979 aus Süddeutschland nach Hamburg zog, lernte ich den Witz von den zwei herabfallenden Schneeflocken kennen:

Treffen sich zwei Schneeflocken: »Wohin fliegst Du?«, fragte die eine. – »Nach Bayern, die Kinder erfreuen. Und Du?« – »Nach Hamburg, den Verkehr zum Erliegen bringen.«

Wie gesagt: 1979. Vor der Bahnreform und vor den CSU-Verkehrsministern.

Über Joachim Holstein

(*1960) arbeitete von 1996 bis 2017 als Steward in Nacht- und Autozügen der DB, war von 2006 bis zur Einstellung dieser Verkehre Betriebsrat der DB European Railservice GmbH und zuletzt Sprecher des Wirtschaftsausschusses. Mitbegründer der Initiative zur Rettung des Nachtzuges Hamburg-Paris (2008; »Wir wollen nach Paris und nicht an die Börse«) und des europäischen Netzwerks für Nachtzüge »Back on Track« (2015; https://back-on-track.eu/de/); Weiteres unter www.nachtzug-bleibt.eu

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